#positivarbeiten

„Offenheit – auch gegenüber dem Thema HIV – ist für unser Unternehmen essenziell“

Von Axel Schock
© DAH
Seit über zehn Jahren setzt sich das IT-Unternehmen IBM für einen diskriminierungsfreien Umgang mit Menschen mit HIV ein – nicht zuletzt als Mitinitiator der Arbeitgeber_innen-Deklaration #positivarbeiten. Wir sprachen mit den Geschäftsführern von IBM Deutschland, Norbert Janzen und Stefan Lutz, sowie mit Axel Wedler, Senior Manager bei IBM, der vor 13 Jahren seine HIV-Infektion im Unternehmen öffentlich machte.

Herr Janzen, Sie sind seit 2015 Geschäftsführer von IBM und als Arbeitsdirektor auch für den Bereich Human Resources in Österreich und der Schweiz zuständig. Was hat Ihr Unternehmen bewogen, sich beim Thema HIV so stark zu engagieren?

Norbert Janzen: Die Idee eines Engagements im Bereich HIV wurde schon vor über zehn Jahren gemeinsam mit der Deutschen Aidshilfe entwickelt. Im Laufe der Zeit hat sich diese Kooperation immer mehr vertieft. Federführend war hier unser Mitarbeiter Axel Wedler. Manchmal reicht schon ein Funke Einzelner, um eine große Flamme zu erzeugen.

Wie kam es zur Arbeitgeber_innen-Deklaration #positivarbeiten?

Norbert Janzen: Die Idee dazu gab es schon lange. Wir dachten, wir fangen einfach mal an und gehen mit den ersten zwei, drei Unternehmen in den Dialog. Bereits nach kurzer Zeit haben wir gemerkt, dass wir damit auf große Resonanz stoßen, etwa bei einer LGBT-Veranstaltung, die wir im vergangenen Jahr in München durchgeführt haben und die ein gutes Forum dafür bot. Mit Bosch und SAP hatten dort gleich zwei weitere große Unternehmen zugesagt, aber auch die Deutsche Bank und Daimler sowie pwc und Accenture waren sehr schnell mit im Boot.

Über 50 Organisationen und Unternehmen haben die Arbeitgeber_innen-Deklaration #positivarbeiten schon unterzeichnet

Hätten nur wir allein die Trommel gerührt, wäre das sicherlich nicht so schnell ans Laufen gekommen. Mittlerweile haben über 50 Organisationen und Unternehmen die Deklaration unterzeichnet. Das zeigt, wie viele Menschen dem Thema gegenüber aufgeschlossen sind.

Norbert Janzen, Geschäftsführer IBM Deutschland, Director Human Resources DACH IMT (© IBM)

Stefan Lutz: Sehr erfreulich und sicherlich mitentscheidend war, dass recht schnell Arbeitgeber aus unterschiedlichsten Branchen unterzeichnet haben, beispielsweise auch Stadtverwaltungen und Mittelständler. Das hat uns gezeigt: Diese Deklaration ist tatsächlich etwas für alle, sie betrifft keineswegs nur Großunternehmen.

Axel Wedler: Mittlerweile ist eine Bäckerei in Hamburg genauso mit dabei wie die Deutsche Bahn, mit 500.000 Mitarbeitern einer der größten deutschen Arbeitgeber. Für diese große Resonanz ist sicherlich von Bedeutung, dass IBM seit nunmehr einem Jahrzehnt eine Erfolgsgeschichte bei diesem Thema präsentieren kann und so auch andere Unternehmen überzeugen konnte.

Wir haben uns als internes Ziel gesetzt, in einem Jahr 100 Unterzeichner der Deklaration zu gewinnen. Ein schöner Nebeneffekt ist auch, dass Unternehmen, die im Business sonst in direkter Konkurrenzsituation stehen, wie etwa pwc und Accenture, sehr gut und problemlos bei einem solchen Thema zusammenarbeiten können.

Was erhoffen Sie sich von der Deklaration? Was kann sie in Ihrem Unternehmen beziehungsweise in der Gesellschaft bewirken?

Stefan Lutz: Ich bin als Geschäftsführer im Bereich Global Business Services, also Beratung, IT-Services und Business Process Outsourcing, für mehrere Tausend Beschäftigte und für unser sogenanntes People Business verantwortlich. Dabei geht es mir einerseits darum, Mitarbeiter für unser Unternehmen zu gewinnen, indem wir nach außen zeigen, dass wir ein wenig anders ticken als vielleicht andere Unternehmen am Markt.

„Wir wollen unserem Anspruch in Sachen Diversity gerecht werden“

Zum anderen wollen wir unserem Anspruch in Sachen Diversity gerecht werden. Mit der Deklaration #positivarbeiten versuchen wir, auch diesen Aspekt von Diversity und Inklusion jeden Tag lebbar zu machen – und damit auch eine Umgebung zu schaffen, in der Menschen Spaß an der Arbeit haben und sich geben können, wie sie sind. Indem wir diesen hohen Standard der Zusammenarbeit setzen, erreichen wir auch ein hohes Level an Engagement und Motivation. Und das zahlt sich am Ende des Tages auch für unsere Kunden und für das Unternehmen aus.

Wie kann diese Deklaration im Arbeitsalltag, etwa im Management umgesetzt werden?

Norbert Janzen: Wir haben schon vor der Veröffentlichung der Deklaration Aktionen gestartet, denn für uns hat das Thema HIV auch unabhängig davon eine große Bedeutung. So gab es dazu Informations- und Gesprächsveranstaltungen für Mitarbeiter in unterschiedlichen Abteilungen, oft auch zusammen mit Axel Wedler oder beispielsweise in Kooperation mit der Hamburger Aidshilfe.

„Für uns hat das Thema HIV eine große Bedeutung“

Wir möchten auch an den IBM-Hauptstandorten in Deutschland sowie in Österreich und der Schweiz die Aufklärung vorantreiben. Wir haben daher mit jedem Niederlassungsleiter vereinbart, bis zum Ende des Jahres eine Veranstaltung für Manager zu planen, bei der wir über das Thema HIV/Aids und chronische Erkrankungen sprechen.

Es geht also nicht nur um eine Unterschrift unter einer Deklaration, sondern darum, das Thema im Unternehmen transparent zu kommunizieren – und damit Mitarbeitern auch zu zeigen, dass sie mit den Managern offen darüber sprechen können, wenn sie es möchten.

Axel Wedler: Neben internen Veranstaltungen dieser Art öffnen wir uns auch bewusst nach außen. So hatten wir im Juni eine Gemeinschaftsveranstaltung mit SAP in Walldorf. Für Berlin planen wir sogar ein Parlamentarisches Frühstück, bei dem wir die Parteien darüber informieren möchten, wie IBM mit dem Thema umgeht.

„Mich gegenüber meinen Vorgesetzten zu öffnen, war ein Befreiungsschlag“

Herr Wedler, Sie gehen schon lange offen mit Ihrer HIV-Infektion um und engagieren sich dafür, das Thema im Unternehmen zu verankern. Inwieweit hat das Ihr Verhältnis zu Ihrem Arbeitgeber verändert?

Axel Wedler: Die Bindung an das Unternehmen hat sich dadurch natürlich noch weiter vertieft und verstärkt, weil ich den überzeugenden Eindruck gewonnen habe, dass die Firma hinter mir steht und mich in allen Belangen unterstützt. Viel entscheidender für mich aber ist, dass ich eine Last losgeworden bin. Ich habe vier Jahre gebraucht, mich gegenüber meinen Vorgesetzten zu öffnen. Das war ein wirklicher Befreiungsschlag. Das bedeutet: Ich habe vier Jahre mit Angst gelebt, und das ist mit das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann. Denn wer in Angst leben muss, wird in allen Bereichen des Lebens gehemmt.

Axel Wedler, Senior Manager bei IBM, outete sich vor 13 Jahren im Unternehmen (© IBM)

Wie wurde das Engagement von Axel Wedler in Ihrem Unternehmen anfangs aufgenommen? Gab es persönliche Unsicherheiten, vielleicht sogar Vorurteile zu überwinden? Überfordert man womöglich auch Kolleg_innen in der Leitung und im Unternehmen?

Norbert Janzen: Wir haben damals recht schnell und offen mit Axel über alles gesprochen, und so kam auch keinerlei Befremdung zustande. Diese Offenheit zeichnet uns bei IBM aus. Das betrifft nicht nur das Thema HIV, sondern beispielsweise auch die Gleichberechtigung von weiblichen Führungskräften oder Menschen unterschiedlicher Hautfarbe.

„Diversity wird bei uns einfach gelebt“

Diversity wird bei uns inzwischen einfach gelebt und gar nicht mehr infrage gestellt. Selbstverständlich gilt es, dies immer weiterzuentwickeln. HIV ist dabei ein Aspekt. Diese Offenheit, diese Vielfalt an Meinungen und Perspektiven ist für ein Unternehmen wie das unsere absolut essenziell.

Das Wesentliche dabei ist in meinen Augen stets das Gespräch zwischen Managern und Mitarbeitern ­– ganz gleich, um welches Thema es im Einzelnen geht. Wir haben dafür verschiedene Programme und Rahmenbedingungen entwickelt, die wir für solche vertrauensvollen Gespräche nutzen können.

Stefan Lutz: Für mich war die Eigeninitiative, die Axel Wedler vorgelegt hatte, ein entscheidender, abschließender Impuls, der gezeigt hat, dass wir uns als Unternehmen dem Thema HIV widmen müssen – und auch ich mich persönlich. Mitentscheidend dabei waren seine Botschaften und sein unermüdliches Engagement. Mir wurde bewusst, dass er dadurch ganz besondere Hebel in Bewegung setzen und andere Mitarbeiter noch einmal ganz anders erreichen kann. Dafür verdient er unsere Unterstützung.

Axel Wedler: Ich glaube, dass dieses Thema – und das betrifft letztlich jede chronische Erkrankung – erst dann glaubhaft transportiert werden kann, wenn es ein Gesicht hat. Wenn sich also in einer Firma Mitarbeiter finden, die mit ihrer chronischen Erkrankung offen umgehen, dann geben sie den Kollegen die Chance, darüber nachzudenken, wie sie mit solchen Erkrankungen und Kollegen, die betroffen sind, umgehen.

Stefan Lutz: Dafür bedarf es dann allerdings auch einer Umgebung im Unternehmen, in der ich mich trauen kann, ein solch persönliches Thema offen anzusprechen, ohne Angst zu haben, dass ich dadurch Nachteile erfahre.

Das setzt voraus, dass ein Unternehmen seinen Beschäftigten zugesteht, nicht immer voll leistungsfähig zu sein. Eine chronische Erkrankung kann ja immer auch bedeuten, dass man vielleicht zeitweilig nur eingeschränkt einsetzbar ist. Und das angesichts einer Leistungsgesellschaft, die den Menschen oft mehr abverlangt, als ihnen guttut. Was bedeutet das für die Arbeitgeber, die die Deklaration unterzeichnen?

Norbert Janzen: Eine Firma ist immer auch ein Abbild der Gesellschaft, und ich bin als Manager damit automatisch auch mit den Sorgen und Nöten dieser Gesellschaft in meinem Team konfrontiert. Für mich bedeutet das, dass ich mit jedem Einzelnen über seine persönliche Note spreche und gegebenenfalls individuelle Lösungen finde, wie ich ihn bestmöglich einsetzen kann. Dazu stehen uns bei IBM eine ganze Reihe an Instrumenten zur Verfügung – etwa Bildungsmöglichkeiten, Berufswiedereingliederung, die Vertrauensarbeitszeit oder Auszeiten wie Sabbaticals.

Stefan Lutz: Ich möchte gern ergänzen: Es geht nicht zuerst darum, wie „ein Problem“ zu managen ist. Es geht auch darum, dass ein solches Engagement in einer großen Organisation wie IBM sehr viel positive Motivation freisetzen kann. Ein Umfeld zu schaffen, in dem Angst keinen Platz hat und jeder sich so geben kann, wie er ist, führt, wie Studien belegen, zu zweistelligem Wachstum in der Produktivität. Das ist gerade für unseren Bereich IBM Services, in dem wir keine Produkte verkaufen, sondern der direkte Kontakt zu den Kunden, zum Beispiel in beratender Funktion, im Zentrum steht, von besonderer Bedeutung.

Ich kann Einwürfe verstehen wie: „IBM mit vielen Tausend Beschäftigten kann sich eine solche Philosophie leisten, aber wie soll ich als Bäcker mit nur wenigen Mitarbeitern meinen Betrieb aufrechterhalten?“ Dennoch glaube ich, dass das richtige Arbeitsumfeld und Engagement-Level in einem Unternehmen sich nachhaltig positiv auswirken und so auch individuelle Sonderregelungen ohne Verlust mitgetragen werden können.

Stefan Lutz, Geschäftsführer Global Business Services (© IBM)

Wir haben nun sehr viel über die Kommunikation zwischen Leitung und Beschäftigten gesprochen. Wie aber sieht es bei den Angestellten untereinander aus? HIV hat mit Sexualität und oft auch mit Homosexualität zu tun. Dazu kommen häufig irrationale Ängste vor einer Ansteckung. Das kann mithin – auch unbewusst – zu Diskriminierung und Ressentiments führen. Wie geht man bei IBM damit um?

Axel Wedler: Aus meiner eignen Erfahrung kann ich sagen, dass IBM hier für mich beispielhaft ist. Ich habe in den zurückliegenden Jahren mit sehr vielen Beschäftigen zu tun gehabt, und ich habe auch bei jüngeren Consultants erlebt, dass sie sehr frei und offen über all diese Dinge reden können. Sie haben keine Scheu oder Berührungsängste.

Norbert Janzen: Diese Offenheit ist die Basis unseres Unternehmens, und wir haben sie uns über einen langen Zeitraum erarbeitet. Wir sind über 400.000 Mitarbeiter, und bei so vielen Menschen stellen wir auch einen Durchschnitt der Bevölkerung dar. Das heißt, Sie werden immer Einzelne finden, die eine ganz andere Meinung haben. Es gibt durchaus Herausforderungen, aber eines ist klar: Unsere Firma toleriert das nicht.

Umso wichtiger sind solche Aktionen wie die Deklaration: sie setzt ein Highlight und ist hoffentlich ein guter thematischer Zugang für viele.

Geschäftsführer Norbert Jansen und Axel Wedler, Senior Manager bei IBM

Seit mittlerweile elf Jahren arbeiten Dualstudierende der IBM zeitweilig in der DAH-Geschäftsstelle in Berlin. Welchen Nutzen zieht Ihr Unternehmen aus dieser Form der Kooperation?

Norbert Janzen: Diese Kooperation bietet die wesentliche Chance, den Mitarbeitern eine neue Perspektive abseits der Business-Themen zu geben. Darüber hinaus können sie bei diesen Einsätzen erfahren, was es bedeutet, Verantwortung zu übernehmen: zum Beispiel für das Projekt, das sie leiten durften, denn sie sind in diesen Monaten des Praxiseinsatzes nicht einfach nur „mitgelaufen“, wie man es als Berufsanfänger am Anfang der Karriere vielfach macht.

„Nach dem Praxiseinsatz bleiben viele Kollegen dem Thema HIV nachhaltig verbunden“

Diese Erfahrung ist für viele dieser Kollegen so tiefgreifend, dass sie dem Thema HIV nachhaltig verbunden bleiben. In Gesprächen mit ihnen bemerke ich auch immer wieder einen gewissen Stolz, dass sie ihrer Verantwortung gerecht geworden sind, die sie im Rahmen ihres Projekts und für das Thema hatten.

Die Einsätze bei der DAH zeigen den IBM-Dualstudierenden, was sie alles leisten und bewegen können. Sie sehen, dass jeder Einzelne, der bei einer Organisation wie der DAH oder einer anderen NGO arbeitet, ein großes persönliches Engagement mitbringt, wie es in einem normalen Wirtschaftsunternehmen sicherlich nicht jeden Tag der Fall ist. Es macht eben auch einen Unterschied, ob du eigenverantwortlich in einem gemeinnützigen Umfeld tätig bist oder in einem wie auch immer wichtigen „Internet-of-Things“-Projekt.

Das gibt ihnen eine ganz andere Basis, an Dinge heranzugehen, auch später in ganz normalen Geschäftssituationen. Das bringt sie nicht nur in ihrer persönlichen Entwicklung einen großen Schritt voran. Auch für die IBM ist es ein großer Gewinn, wenn wir den jungen Mitarbeitern ein Lernumfeld bereitstellen können, welches das ermöglicht.

Welche Zwischenbilanz zur Deklaration hoffen Sie in einem Jahr ziehen zu können, mal abgesehen davon, dass aus den 50 Unterzeichnungen 100 geworden sind?

Stefan Lutz: Wir haben in den zurückliegenden Monaten immer wieder einzelne Unternehmen erlebt, die sich zwar für die Deklaration interessierten, dann aber entschieden, doch nicht zu unterschreiben, weil sie der Ansicht waren, dass ihre Kundschaft in der Mehrheit noch nicht so weit sei.

Ich hoffe daher, dass diese Aktion große mediale Aufmerksamkeit erhält und eine breite Wirkung in die Öffentlichkeit hinein entfaltet. Für IBM hoffe ich, dass wir dadurch als Unternehmen an Attraktivität am Markt gewinnen, was auch die Rekrutierung von Talenten erleichtert.

Für mich ist diese Deklaration ein weiteres Puzzlestück, das zeigt, dass Diversity in unserem Unternehmen tatsächlich gelebt wird. Das zeigt sich nicht zuletzt in dem positiven Geist, den wir innerhalb der Belegschaft und im Unternehmen tatsächlich feststellen können und der nachhaltig den Zusammenhalt, das Engagement und die Bindung zu unserem Unternehmen festigt.

Vielen Dank für das Gespräch!

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