Brückenbauer und Allrounder: die neue Leitung im Waldschlösschen
Der 32-jährige Kevin Rosenberger versteht sich als Scharnier zwischen alter und neuer Generation, schwuler Emanzipation und FLINTA*-Familienfreizeit.
Mit der Wahl von Kevin Rosenberger zum neuen Vorstandsvorsitzenden der Stiftung Akademie Waldschlösschen wurde nun auch in der Leitungsebene des Tagungshauses ein Generationenwechsel vollzogen.
Ein Gespräch über Veränderungen, Kontinuitäten – und die Herausforderungen durch Corona.
1981 und damit vor ziemlich genau 40 Jahren verwandelte eine Gruppe schwuler Männer um Rainer Marbach und Ulli Klaum das einstige „Kurhotel Waldschlösschen“ unweit von Göttingen in ein „freies Tagungshaus.“ Ende 2003 wurde die Akademie in eine Stiftung überführt.
Für die Schwulen- und HIV-Bewegung ist das idyllisch gelegene Haus auch nach vier Jahrzehnten ein wichtiger Ort für Vernetzung, Weiterbildung, Selbsterfahrung, Austausch und Empowerment.
Im November wurde der 32-jährige Bildungswissenschaftler Kevin Rosenberger zum Vorstandsvorsitzenden der Stiftung Akademie Waldschlösschen gewählt. Er ist nun neben dem Mitgründer Ulli Klaum und der langjährigen Verwaltungschefin Ulrike Benstem Teil der dreiköpfigen Geschäftsführung und für die Geschicke des Tagungshauses verantwortlich. Rainer Marbach ist als Vorsitzender in den Stiftungsrat gewechselt, betreut aber auch weiterhin noch wichtige Projekte der Akademie.
Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zu deiner neuen Funktion in der Akademie Waldschlösschen! War das für dich ein folgerichtiger Schritt, vom Teil des Teams in die Leitungsebene zu wechseln? Musste man dich dazu überreden?
Kevin Rosenberger: Als man mich gefragt hat, ob ich mir das vorstellen könnte, habe ich lange darüber nachgedacht und auch mit vielen Menschen gesprochen. Denn diese Position ist sowohl eine große Herausforderung wie auch eine Bürde. Das Waldschlösschen ist schließlich eine bedeutende Institution, dort ist in den letzten 40 Jahren so viel aufgebaut worden. Dementsprechend sind auch hohe Erwartungen an diese Position geknüpft.
Mit der Einrichtung der Stiftung übernahm der Waldschlösschen-Mitbegründer Rainer Marbach die Funktion des Vorstandsvorsitzenden. 2021 wurde die Stelle dann nach einer Ausschreibung neu besetzt, allerdings blieb der Nachfolger nur zwei Monate im Amt.
Diese externe Lösung hat einmal mehr gezeigt: Das Waldschlösschen ist nicht nur eine einzigartige Einrichtung, sondern auch ein einmaliger Arbeitsort. Denn eine Heimvolkshochschule, was wir tatsächlich sind, gibt es institutionell in der Erwachsenenbildung nur in Niedersachen und in Nordrhein-Westfalen. Insofern ist das Aufgabengebiet kaum vergleichbar mit anderen Positionen. Man leitet nicht nur einen Bildungs- und Tagungsort, sondern hat faktisch auch einen Hotelbetrieb zu managen. Das Ganze, zudem mit einem queeren Schwerpunkt, ist eine einzigartige Mischung. Dafür jemanden extern zu finden, der sich zudem auch mit der Geschichte und der Philosophie des Hauses verbunden fühlt, ist nicht einfach.
Da ich bereits seit 2016 im Haus arbeite, kenne ich die verschiedenen Prozesse und Besonderheiten ganz gut und habe über die Jahre entsprechende Kenntnisse und Kompetenzen erwerben können.
Du übernimmt diese Leitungsfunktion in nicht gerade einfachen Zeiten. Die erste Corona-Welle hat das Haus durch eine Spendenaktion überlebt. Wie ist inzwischen die Situation?
Wir sind in der Tat vor allem durch diese großartige Spendenaktion, aber auch durch Corona-Hilfen von Bund und Land bislang mit einem blauen Auge davongekommen. Von den 22 anderen Heimvolkshochschulen, die es in Niedersachsen gibt, sind zwei unter anderem durch Corona in die Knie gezwungen worden.
Unser Veranstaltungskalender für 2022 ist wieder voll. Wenn die Corona-Lage sich nicht verschlimmert und kein Shutdown mehr kommt, können wir optimistisch ins nächste Jahr schauen.
Inwieweit haben Hygieneregeln oder begrenzte Teilnehmendenzahlen den Betrieb erschwert oder zu nachlassender Nachfrage geführt?
Sobald mit steigenden Infektionszahlen neue Vorschriften verkündigt werden, melden sich viele Menschen ab, ganz einfach, weil sie ängstlich sind. Auf der anderen Seite, so möchte ich behaupten, sind wir einer der sichersten Orte der Republik. Denn als es im März 2020 mit Corona losging, waren wir mit die ersten, die Seminar- und Speiseräume mit Luftfilteranlagen ausgestattet haben – aus dem medizinischen Sektor, wie sie in Operationssälen eingesetzt werden und die 99,9 % der Aerosole aus der Luft filtern. Wir hatten damals großes Glück, dass wir solche Anlagen noch bekommen konnten. Die haben uns zwar 60.000 Euro gekostet, aber wir hatten in den zwei Jahren – zumindest nicht wissentlich – keinen einzigen Infektionsfall im Tagungshaus. Außerdem ist unser Schutz- und Hygienekonzept sehr eng mit dem Gesundheitsamt abgestimmt, und so können wir den bestmöglichen Schutz für die Gäste herstellen. Das spiegeln sie uns auch immer wieder sehr wertschätzend. Insgesamt ist die Nachfrage nach unseren Seminaren gut, denn die Menschen brauchen Bildung und Begegnung, die am Bildschirm nicht möglich ist.
Mit dem Stiftungsrat ist der Generationswechsel im Waldschlösschen weitgehend abgeschlossen. Verändern sich dadurch auch die Schwerpunkte des Tagungsprogramms?
Diese Brücke zu schlagen zwischen der Gründergeneration, dem Gründergedanken und dem Stiftungsziel zum einen und den Erwartungen der neuen Generation zum anderen, ist in der Tat eine weitere große Herausforderung.
Im pädagogischen Team ist der Generationenwechsel am deutlichsten. Ich bilde gewissermaßen das Scharnier zwischen der alten und neuen Generation. Die neue hat selbstverständlich eigene Erwartungen und bringt ganz andere Ideen und damit auch Veränderungen mit hinein.
Das Waldschlösschen ist gerade in dem spannenden Prozess, sich nicht nur zu verjüngen, sondern im wahrsten Sinne des Wortes sich zu diversifizieren und zu verqueeren.
Wie zeigt sich das konkret?
Dazu muss man sich nur das Programm für das kommende Jahr anschauen: Wir haben im Bereich Trans* und Inter* so viele Veranstaltungen wie noch nie. So gibt es z.B. erstmals ein Angebot für Logopädinnen zu Trans in der Stimmtherapie.
Durch die Neuen im Team mit ihren ganz persönlichen Hintergründen kommen auch weitere Themenschwerpunkte hinzu, etwa im Kunst- und Theaterbereich. So haben wir ebenfalls zum ersten Mal eine FLINTA*-Familienfreizeit für Eltern und ihre Kinder. Zugleich, und das ist auch meine Aufgabe, wollen wir den Gründungsgedanken und die Tradition des Tagungshauses weiterhin bewahren und weiterführen.
Welche Schwerpunkte werden also weiterhin erhalten bleiben?
Das Haus ist aus der schwulen Emanzipationsbewegung entstanden, und natürlich wird es wichtig sein, nicht nur im queeren, sondern auch im schwulen Diskurs immer ein Ohr an der Tür zu haben. Dabei gibt es Gruppen, die zum Teil seit 30 und sogar 40 Jahren im Waldschlösschen dabei sind, etwa die queeren Hochschulreferate, die schwulen Lehrer und die schwulen Väter. Es gibt also Gruppen, die hier einen Ort gefunden haben und immer wieder gerne kommen. Für diese sind die Treffen im Waldschlösschen stets auch wie ein Nachhause-Kommen. Das ist einfach toll und soll auch so bleiben. Deshalb werden wir solche Veranstaltungen auch weiterhin pflegen.
Auch HIV/Aids war schon sehr früh ein wichtiges Thema im Tagungsprogramm. Wird es da Veränderungen geben?
Auch dieser Bereich wird immer ein fester Bestandteil bleiben, denn er ist sehr eng mit der Geschichte des Waldschlösschens verbunden.
Eine der größten Veränderungen war, dass Wolfgang Vorhagen, der ihn federführend innehatte und mit großem Engagement und Herzblut aufgebaut hat, nicht mehr fest im Haus ist. Wir haben uns natürlich gefragt, wie wir das auffangen können. Inzwischen hat Ulli Klaum die Betreuung dieser Veranstaltungen übernommen.
Die Themen im HIV-Aktivismus werden wir weiterhin sehr eng in der bewährten Kooperation mit der Deutschen Aidshilfe und dem Niedersächsischen Sozialministerium aufgreifen und einen reflektierenden Ort zur Verfügung stellen, auch für Aktivist*innen etwa zum Empowerment und zum Austausch.
Vielen Dank für das Gespräch!
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