Von Dirk Schäffer, Referent für Drogen und Haft bei der Deutschen Aidshilfe

An die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP nach der Bundestagswahl 2021 sind hohe Erwartungen und Hoffnungen auf einen Politikwechsel in verschiedenen Bereichen geknüpft.

Auch drogenpolitisch scheint sich einiges zu bewegen. Nach über 90 Jahren Prohibition in Deutschland (das „Opiumgesetz“ trat 1930 in Kraft, das darauf basierende „Betäubungsmittelgesetz“ 1981) und einem weitgehenden drogenpolitischen Stillstand in den jeweils 16 Jahren Kohl- und Merkel-Regierung ist endgültig klar: Die formulierten Ziele (Prävention des gesundheitsschädlichen Konsums, Beratung und Behandlung/Hilfen zum Ausstieg, Schadensreduzierung sowie Angebotsreduzierung und Strafverfolgung) sind nicht erreicht worden.

Die Strafverfolgung hat von Jahr zu Jahr zu immer neuen Rekorden an Strafverfahren geführt, die Unmengen von Ressourcen für Bagatelldelikte fressen.

Prohibition wirkt nicht: Heute gibt es mehr gefährliche Drogen denn je

Insgesamt haben Prohibition und Repression für hunderttausende Konsument*innen, ihre Familien und ihr soziales Umfeld Leid und Elend mit sich gebracht – und zu vielen tausend vermeidbaren Todesfällen geführt.

Jugendliche, die man besonders schützen wollte, haben sich in immer größerer Zahl Cannabis, aber auch Amphetaminen oder Kokain zugewandt. Die Abschreckung, welche die Prohibition ausüben sollte, läuft völlig ins Leere.

Heute steht trotz Drogenverboten die bisher größte Palette von illegalen Substanzen zur Verfügung – in unbekannter Qualität, vertrieben durch die organisierte Kriminalität. Das ist das Ergebnis jahrzehntelanger Prohibition.

Ein Weg, der die Lehren aus Kriminalisierung und Drogentod zieht, ist also dringender denn je erforderlich – und zwar nicht nur mit Blick auf Cannabis.

Vorfahrt für Cannabis?

Es war erwartbar, dass die Koalitionär*innen in spe – einige von ihnen traditionell Redner*innen bei den Hanfparaden der letzten Jahre – das Thema Cannabis in den Blickpunkt rücken. Die Cannabislobbyist*innen, darunter Unternehmer*innen, die wirtschaftliche Interesse im Blick haben, Konsument*innen, die endlich ohne Angst Cannabis erwerben und konsumieren möchten, und Strafrechtler*innen, die auf die Bürgerrechte fokussieren, haben in der Tat einen guten Job gemacht und besitzen jene Stärke, die anderen Konsument*innengruppen aus verschiedenen Gründen fehlt.

Allerdings wäre es zu kurz gesprungen, den Besitz geringer Cannabismengen zum Eigenbedarf für Erwachsene zu entkriminalisieren und alles andere weitgehend unbeachtet zu lassen.

Es wäre zu kurz gesprungen, allein Cannabis zu legalisieren

Kurz sei an dieser Stelle auf eines der gewichtigsten Argumente der Gegner*innen einer Cannabis-Entkriminalisierung eingegangen, die Gefahr von Psychosen (insbesondere bei jugendlichen Kiffer*innen) aufgrund des deutlich erhöhten THC-Gehalts illegaler Züchtungen. Diese Gefahr besteht – aber sie geht auf die Bedingungen der Prohibition, hoher Strafandrohung sowie immensen Verfolgungsdrucks zurück.

Um gesundheitliche Schädigungen durch Cannabis mit meist unbekanntem und oft sehr hohem THC-Gehalt sowie vielerlei Streckstoffen zu vermeiden, hilft daher nicht mehr vom Gleichen (Prohibition und Repression), sondern vielmehr die Übernahme von Produktion und Vertrieb durch den Staat.

Der Schwarzmarkt wird durch Entkriminalisierung deutlich reduziert

Natürlich wird sich die organisierte Kriminalität gegen diesen Entzug von Kontrolle und Geldströmen wehren und versuchen, Cannabis illegal verbilligt anzubieten. Der Schwarzmarkt wird daher bleiben, solange andere Substanzen weiterhin nur illegal zu erwerben sind – aber er wird in Bezug auf Cannabis deutlich reduziert und reguliert werden. Denn wenn man kontrolliert gezüchtetes Cannabis ungestreckt und legal erwerben kann, ohne Angst vor Strafverfolgung und Gewalt, wird die allergrößte Zahl der Konsument*innen sich diesem Angebot zuwenden.

Dass die Zahl der Konsument*innen durch eine solche Legalisierung steigt, ist dabei keineswegs ausgemacht. In einigen Ländern, die auf eine staatlich kontrollierte Abgabe setzen, ist die Zahl der Konsument*innen sogar gesunken.

Wenn man Jugendliche und Erwachsene vor gefährlichen synthetischen Cannabinoiden schützen und den Produzent*innen den Markt entziehen will, muss man den Cannabismarkt also regulieren und kontrollieren – und darüber diskutieren, wie man mit jugendlichen Konsument*innen umgeht, deren Drogenkonsum in den meisten Fällen nur eine Station auf dem Weg zum Erwachsenwerden darstellt.

Jugendlichen den Zugang zu legalem Cannabis ab 16 Jahren zu gewähren und vielleicht die Mengen zu begrenzen, die sie erwerben können, könnte eine Lösung sein. Junge Menschen werden jedenfalls deutlich eher den Wunsch nach Hilfe artikulieren, wenn sie keine Angst vor Strafverfolgung haben müssen – ohne extrinsische „Motivation“ durch Schule, Justiz oder Eltern.

Wir brauchen Mut zu einer wirklichen Neuausrichtung der Drogenpolitik

Doch die Politik darf sich nicht mit diesen (zwar wichtigen, aber nicht grundlegenden) Korrekturen begnügen.

Wir brauchen vielmehr Schutz und Hilfe für die Konsument*innen von illegalisierten Substanzen wie Opiaten und (Meth-)Amphetaminen, die durch die Kriminalisierung von Erwerb und Besitz und den illegalen Markt in ganz besonderer Weise geschädigt werden. Infektionserkrankungen wie HIV und Hepatitis, Schäden an Herz- und Lunge, eine um zehn bis 15 Jahre verfrühte Alterung – diese Folgen der Prohibition sind für alle klar zu erkennen. Hinzu kommen die oft dramatischen persönlichen und sozialen wie auch die volkswirtschaftlichen Schäden.

Legalisierung im Sinne staatlicher Regulierung und Kontrolle

Auch mit Blick auf Opiate und andere Substanzen müssen wir also über Legalisierung im Sinne staatlicher Regulierung und Kontrolle diskutieren.

Wir müssen über Legalisierung im Sinne staatlicher Regulierung und Kontrolle diskutieren

Dass sich die Gefängnisse durch die Entkriminalisierung von Erwerb und Besitz von Mengen zum Eigenbedarf sichtbar leeren würden und die psychischen Belastungen durch immer wiederkehrende, jahrelange Inhaftierungen dramatisch reduziert würden, sei hier nur am Rande erwähnt.

Kurzfristig sind außerdem dringend wirksame Maßnahmen gegen den stetigen Anstieg der drogenbedingten Todesfälle erforderlich – der Bund war in den letzten Jahren rat- und tatenlos, was Angebote für Konsument*innen anderer psychoaktiver Substanzen wie Kokain, Amphetamine oder Ecstasy angeht.

Drugchecking, die Möglichkeit, solche Substanzen auf Gehalt und Inhaltsstoffe testen zu lassen, etwa im Kontext von Partys oder Raves, sollte daher zwingend in einem Paket drogenpolitischer Maßnahmen enthalten sein, ebenso wie Maßnahmen zur Förderung eines kontrollierten Konsums und der Unterstützung durch Peers.

Was ist jetzt zu tun?

Leicht erreichbare, niedrigschwellige Drogenkonsumräume in allen Bundesländern und dort nicht nur in den Metropolen, die Förderung der Drogenmündigkeit, Entstigmatisierung von Drogengebraucher*innen, Anreize zur Gewinnung von Nachwuchskräften für die Suchtmedizin und vieles mehr: All das sind Aufgaben, die Gesellschaft und Drogenpolitik dringend angehen müssen.

Die Koalitionär*innen in spe müssen sich unterdessen den gesetzlichen Grundlagen der Drogenpolitik widmen. Hier einige Beispiele:

  • Die Produktion, Qualitätskontrolle und Vertrieb von Cannabis zum Gebrauch für Erwachsene und Jugendliche ab 16 Jahren muss in die Verantwortung des Staates übergehen. Die Abgabe von Cannabisprodukten könnte zum Beispiel durch lizenzierte Fachgeschäfte erfolgen.
  • Auch für Konsument*innen anderer psychoaktiver Substanzen als Cannabis muss der Erwerb und Besitz von Mengen zum Eigenbedarf entkriminalisiert werden.
  • Die Forschung zur medikamentösen Behandlung für Kokain- und (Meth)-Amphetamin-Konsument*innen muss gefördert, praxisnahe Angebote der Information, Prävention und Schadensminderung müssen geschaffen werden.
  • Die medikamentöse Behandlung der Opioidabhängigkeit muss modernisiert werden, etwa durch den Ausbau der Diamorphinbehandlung. Zudem müssen Anreize zum Umstieg auf andere Konsumformen als Injektionen (zum Beispiel auf den nasalen Konsum oder das Rauchen von Folie) geschaffen werden.
  • Die Position der*des Drogenbeauftragten der Bundesregierung muss mit einer fachlich versierten Person besetzt werden, die in ihre Arbeit die Expertise aus Wissenschaft, Praxis, Medizin und Zivilgesellschaft und insbesondere von Konsument*innen einbeziehen muss.

Es bleibt zu hoffen, dass sich die neuen politisch Verantwortlichen die gewünschten und die tatsächlichen Effekte der bisherigen deutschen Drogenpolitik sowie Erfahrungen aus anderen Ländern (Stichwort portugiesisches Modell) vorbehaltlos anschauen und auf dieser Grundlage eine Neuausrichtung der Drogenpolitik vornehmen.

Die Vorschläge liegen lange auf dem Tisch. Jetzt ist die Zeit, zu handeln.

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