Buddies: Zeitdokument der Aidskrise und Meilenstein der Filmgeschichte
Dieser Film ist eine Zeitmaschine. Wer durch die ersten Bilder nicht irritiert ist, sondern sie unmittelbar versteht, outet sich automatisch als Kind der 80er-Jahre:
Ein Nadeldrucker hämmert pixelige Buchstaben aufs Endlospapier. Geräte wie diese stehen heute ebenso im Museum wie der VHS-Videorekorder, der einige Szenen später als neueste technische Errungenschaft gepriesen wird und hier das Abspielen eines Pornofilms ermöglicht.
Dieser Film ist eine Zeitmaschine
Aber auch die scheinbar endlose Liste, die der Drucker erbarmungslos ratternd ausspuckt, mag manchen jüngeren Zuschauer_innen Rätsel aufgeben. Anderen hingegen erschließt sie sich auf den ersten Blick: Es sind die Namen und Sterbedaten der 1985 in den USA an Aids verstorbenen Menschen. Über 5500 wurden damals offiziell gezählt, darunter als wohl Prominentester der Filmstar Rock Hudson.
Die Filmindustrie in Hollywood, die sonst keine Zeit verstreichen lässt, um aus Schlagzeilen Material für Filme zu machen, verhielt sich damals auffällig zurückhaltend. „Longtime Companion“, der erste mit größerem Budget produzierte Spielfilm zu Aids, sollte erst 1989 ins Kino kommen, „Philadelphia“ vier Jahre später.
Buddies ist Zeitdokument und zeitlos
Und so war es an Arthur J. Bressan, einem unabhängigen Filmemacher (und Pornoproduzenten), mit „Buddies“ den ersten Kinofilm zur Aidskrise zu drehen. Gerade einmal 27.000 Dollar hat der Film gekostet und dennoch Filmgeschichte geschrieben.
Ja, ganz recht: Filmgeschichte. Denn mit dreieinhalb Jahrzehnten Abstand betrachtet ist „Buddies“ ein bedeutendes Zeitdokument über den Umgang der schwulen Community mit der Aidskrise, in dem Bressan letztlich all jene Aspekte der gesellschaftlichen wie individuellen Auseinandersetzung mit der Epidemie erkannt und aufgegriffen hat, die uns zu einem großen Teil bis heute noch umtreiben: die Ignoranz der Verantwortlichen in der Pharmaindustrie und der Politik. Die Heuchelei, die Anfeindungen und die Stigmatisierung aus der Mitte der Gesellschaft heraus. Die Schuld und die Scham, die Angst und die Hysterie.
Ignoranz, Heuchelei, Stigmatisierung, Angst, Hysterie – sie treiben uns bis heute um
Und mehr noch: In „Buddies“ treffen zwei Generationen offen schwul lebender Männer aufeinander, die im Alter nur unwesentlich auseinander sind, deren Selbstverständnis jedoch kaum unterschiedlicher könnte.
David (David Schachter) ist 25 und lebt, wie er einmal betont, in einer glücklichen, monogamen schwulen Beziehung. Man verdient gut und kann sich auf die Unterstützung der Eltern verlassen. Das Schwulsein ist für ihn Privatsache. Warum die eigene Sexualität bei Paraden auf die Straße tragen und sich selbst zum Außenseiter machen?
David, der als Schriftsetzer arbeitet (ein Beruf, der heute ebenso verschwunden ist wie der VHS-Rekorder), hat sich in einem schwulen Community Center als ehrenamtlicher Helfer gemeldet. Seine Aufgabe: einem an Aids erkrankten Mann Gesprächspartner zu sein, ihm Gesellschaft und – nach Bedarf – Trost, Aufmerksamkeit und Beistand zu leisten.
Zwei Männer aus zwei völlig verschiedenen schwulen Welten
Es scheint, als wäre Davids erster Besuch bei Robert (Geoff Edholm) auf der Aidsstation in einem New Yorker Krankenhaus womöglich auch der letzte. Die Schutzkleidung, die das Klinikpersonal ihm offensichtlich aufgedrängt hat, legt er zwar schnell ab. Doch Nähe will sich zwischen Robert und seinem Buddy zunächst nicht einstellen. David und der sieben Jahre ältere Robert leben gewissermaßen in zwei verschiedenen schwulen Welten: der spießbürgerliche Yuppie in der einen, der kämpferische Aktivist in der anderen.
Buddies erzählt die langsame Annäherung und beginnende Freundschaft der beiden Männer als geradezu klassisches Kammerspiel. Ob Davids Lebenspartner, eine Krankenschwester oder eine Reporterin – sie bleiben Stichwortgeber_innen und schattenhaft im Hintergrund. Nicht einmal ihr Gesicht ist zu sehen.
Buddies ist ein klassisches Kammerspiel
Bressan möchte, dass sich die Zuschauer_innen ganz auf die beiden Hauptfiguren und ihre verbale Auseinandersetzung konzentrieren. Nur wenige Szenen lang verlagert sich die Handlung aus dem Krankenzimmer hinaus in die Welt der Gesunden – an die New Yorker Piers, in Davids Wohnung und in sein Sportstudio.
Roberts Bewegungsradius, seine Welt ist geschrumpft auf die wenigen Quadratmeter seines Krankenzimmers. Niemand außer David scheint ihn zu besuchen. Seine Lover, Freund_innen und politischen Mitstreiter_innen scheinen ihn vergessen zu haben – oder sie sind selbst erkrankt, vielleicht sogar schon gestorben.
Aufruf zu Solidarität und Respekt
Mögen die Dialoge bisweilen auch etwas hölzern erscheinen, die darstellerische Leistung von Geoff Edholm und David Schachter nicht unbedingt Oscar-verdächtig und die Filmmusik stellenweise aufdringlich und kitschig sein – das alles tritt in den Hintergrund angesichts der Dringlichkeit und Direktheit, mit der Bressan die damals noch spärlichen medizinischen und epidemiologischen Fakten vermittelt und die existenziellen Fragen seiner schwulen Community zu Beginn der Aids-Epidemie verhandelt.
Zudem berührt Bressan Grundsätzliches zum (schwulen) Miteinander, etwa Wertschätzung für unterschiedlicher Haltungen oder das Recht auf sexuelle Freiheit und damit auch auf ein promiskes Sexualleben.
Und nicht zuletzt ist Buddies auch als Aufruf zu (schwuler) Solidarität und Respekt vor den individuellen Lebensleistungen und Entscheidungen zu verstehen.
Dass der auf 16 Millimeter gedrehte Film dank Bressans Schwester Roe und der Filmhistorikerin Jenni Olson nun digital restauriert wieder einem breiten Publikum zugänglich wird, ist nicht nur aus filmhistorischen Gründen zu begrüßen: „Buddies“ ist zwar ein Dokument der Aidskrise, in seinem Kern aber tatsächlich zeitlos.
„Es ist bizarr zu sehen, wie sich die Schwulen von diesem Thema abwenden und die Konfrontation scheuen“
Arthur J. Bressan hatte den Film 1985 in Windeseile fertiggestellt. Gedreht im Sommer, feierte er bereits im September Premiere. Gezeigt haben ihn in den USA allerdings nur wenige Arthouse-Kinos, und auch in Deutschland blieb die Resonanz bescheiden.
Für Manfred Salzgeber hingegen, seinerzeit Leiter der Sektion „Panorama“ der Berliner Filmfestspiele, war Buddies der Film der Stunde. Er sah in ihm die Chance einer „Bewusstseinsveränderung angesichts der Aids-Problematik“, einer „emotionalen Befreiung“, um angesichts des Schocks, unter dem die Szene stand, eine „kathartische Wirkung“ zu erreichen, wie er in einem Interview mit dem Berliner Schwulenmagazin Siegessäule erklärte.
Für Manfred Salzgeber war es deshalb unverständlich und unerträglich, dass kein Verleih ihn hierzulande herausbringen wollte. Also nahm er es selbst in der Hand – und gründete dafür einen eigenen Verleih. Die deutsche Filmkritik reagierte wohlwollend bis begeistert, doch die Zahl der Kinobesucher_innen war gering.
„Es ist bizarr zu sehen, wie sich die Schwulen von diesem Thema abwenden und die Konfrontation scheuen“, kommentierte Salzgeber das fehlende Interesse. Diese Erfahrung hatte ihn zwar aufgebracht, aber nicht entmutigt. Seine Edition wurde zum wichtigsten Verleih für Filme zum Thema HIV/Aids und zu Homosexualität und blieb es auch nach seinem Tod infolge von Aids im Jahr 1994.
Dass seine Nachfolger_innen nun auch die restaurierte Fassung von „Buddies“ auf DVD bzw. als Video-on-Demand ins Programm genommen haben, ist nicht zuletzt auch eine Hommage an den Firmengründer Manfred Salzgeber.
„Buddies“. USA 1985- Buch und Regie Arthur J. Bressan. Mit David Schachter, Geoff Edholm. 81 Minuten, OmU.
DVD erschienen in der Edition Salzgeber, außerdem zu sehen via Video on Demand.
Link zum Trailer zu „Buddies“
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