In bayerischen Gefängnissen wurden HIV-positive Insassen durch Arbeitsverbote jahrelang diskriminiert. Damit ist jetzt Schluss: Eine Petition des Münchner Ex-Häftlings Richard H.* zwang das Justizministerium zum Handeln.

Richard ist schon viele Jahre HIV-positiv. Seit 2008 nimmt er antiretrovirale Medikamente, verspürt kaum Nebenwirkungen und macht seine Infektion weder im Beruf noch privat zum Thema. Dass HIV jemals wieder eine Hauptrolle in seinem Leben spielen würde, hätte er kaum für möglich gehalten. Auslöser war ein Gefängnisaufenthalt: Wegen Betrugs war er zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden.

Ein roter Punkt auf seiner Akte bedeutete, dass er mit HIV oder Hepatitis C infiziert war

Bei seiner Festnahme hatte er seine Infektion nicht verschwiegen, und auch nicht bei der Erstuntersuchung in der JVA München-Stadelheim. „Doch schon beim ersten Gespräch fielen Bemerkungen wie ‚Da werden die anderen ja Freude mit Ihnen haben‘“, erinnert sich Richard. Der Termin beim Anstaltsarzt war ohne jede Privatsphäre: „Die Tür des Untersuchungsraums stand offen, Gefangene oder Pfleger liefen vorbei und konnten alles mithören.“ Dass er schwul und positiv war, war bald ein offenes Geheimnis. So hatte man ihm bei jeder Verlegung eine Einzelzelle zugewiesen, was den Verdacht der Mithäftlinge schürte. „Wirklich gewusst haben es aber nur diejenigen, mit denen ich häufig zu tun hatte – und die Anstaltsleitungen.“

Das sollte sich als Problem herausstellen, denn Richard wollte arbeiten. Anfangs wurde ihm auch ein Job als „Hausarbeiter“ versprochen, bei dem er in der Essensausgabe oder der Reinigung des Trakts eingesetzt worden wäre. Doch dazu kam es nicht, weil der „Sicherheitsvermerk“, ein roter Punkt auf seiner Akte, entdeckt wurde. Dieser bedeutete, dass er mit HIV oder Hepatitis C infiziert war – und daher für den Job nicht in Frage kam. Medizinisch gesehen sei das zwar kein Problem, versicherte der Anstaltsarzt, der ihm die Nachricht durch die Kostklappe mitteilte. Aber die Politik des Hauses sei nun einmal eine andere.

„Eine Bedrohung für den Tierbestand“

Diese „Politik“ stützte sich auf eine Verwaltungsvorschrift zum Bayerischen Strafvollzugsgesetz, nach der „zur Vermeidung unbegründeter Ängste“ Gefangene mit einer „ansteckungsfähigen HIV-Erkrankung“ nicht in der Küche, als Friseur oder in anderen Arbeitsbereichen mit Verletzungsgefahr eingesetzt werden dürfen. Darauf berief sich nicht nur die JVA Stadelheim. Egal, wohin Richard verlegt wurde: Seine Anträge auf Arbeit lehnte man überall mit eben dieser Begründung ab. Selbst ein Job in der Bibliothek wurde ihm verweigert, weil dort auch mit Tapeziermessern gearbeitet wurde. Spektakulär war die Feststellung eines Sicherheitsbeamten der JVA Rothenfeld: „Wir haben Landwirtschaft, aber da sind Sie eine Bedrohung für den Tierbestand“, ließ er den verdutzten Richard wissen.

Seine Rechtsanwälte waren ratlos, Richard am Boden zerstört. „Arbeit war für mich auch psychisch wichtig“, so der 46-Jährige. „Aber ich war schon immer ein politischer Mensch und ein Kämpfer. So las ich mich in die juristische Materie ein und wusste: Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen, es musste etwas geschehen!“

„Ich war schon immer ein Kämpfer“

Mit der Unterstützung seines Mannes, mit dem er sich während seiner Haftzeit verpartnert hatte, wandte sich Richard an Ute Häußler von der Augsburger Aids-Hilfe, die auch in der Arbeitsgemeinschaft Aids & Haft in Bayern tätig ist. Sie schlug eine Petition im Bayerischen Landtag vor und Richard stimmte zu. Der Petition wurden noch Dokumente beigefügt, die das Anliegen unterstützten, darunter eine Stellungnahme der Deutschen Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter (dagnä) und ein Schreiben der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, in dem sie ihre Bedenken an der Vereinbarkeit einer solchen Verwaltungsvorschrift mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz und dem Diskriminierungsverbot in Artikel 3 des Grundgesetzes äußerte.

Der Druck zeigte Wirkung: Am 17. Juni 2015 teilte das Bayerische Staatsministerium für Justiz mit, dass das Arbeitsverbot für HIV-positive Häftlinge aufgehoben werden solle – die bisherige Regelung sei mit sofortiger Wirkung nicht mehr anzuwenden.

„Wir haben eine Flasche Sekt geköpft“, lacht Richard. „Kurz darauf gab es eine nicht-öffentliche Sitzung des Petitionsausschusses, in der mein Mann eine Rede hielt. Die Abgeordneten waren begeistert und gratulierten uns zu unserem Erfolg.“ Auch für Ute Häußler war es ein Freudentag: „Ich habe immer an den Erfolg geglaubt. Jetzt müssen wir allerdings die Umsetzung sehr gut kontrollieren.“

Entscheidend ist jetzt die Umsetzung

Eine Aufgabe, die auch ihren Kollegen Martin Jautz von der Münchner Aids-Hilfe künftig beschäftigen wird. Der Sozialpädagoge fordert bessere Schulungen für Anstaltspersonal und verstärkte Aufklärung für Insassen. Ein entsprechendes Projekt wurde in seinem Haus bereits angestoßen: Der Film „Gesund in Haft“, von einer ehrenamtlichen Mitarbeiterin produziert und mit dem „Sirius Preis“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ausgezeichnet, verbindet Sportübungen mit Cartoons zur Aufklärung über HIV und Aids.

Trotz aller Freude glaubt Richard nicht, dass HIV-positive Häftlinge es künftig leichter haben. Das stünde jetzt zwar auf dem Papier, aber jetzt komme es auf die Mitarbeiter in den Haftanstalten an. „Die können dir das Leben schwer machen – und das kann in vielerlei Hinsicht schmerzhaft werden.“

Von Bernd Müller, Münchner Aids-Hilfe

* Name von der Redaktion geändert

 

Zurück

Gipfeltreffen der HIV-Selbsthilfe

Weiter

„Möge Gott verhüten, dass Rock vergebens gestorben ist“

Über

Gastbeitrag

Gastautor_innen schreiben für magazin.hiv

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

1 + 8 =

Das könnte dich auch interessieren