Schon vor der Krise gab es kein politisches Konzept für die Straßen-Sexarbeit. Für die Arbeiter_innen bedeutete das prekäre Arbeitsbedingungen, Angst vor Gewalt, Anfeindungen und polizeiliche Repression. In der Pandemie erfahren sie nun neben existenziellen Ängsten noch mehr Diskriminierung. Staatliche und gesellschaftliche Unterstützung gibt es kaum. Wir haben auf dem Straßenstrich in Berlin recherchiert.

Von Pascale Müller

Isabella hat nicht viel Zeit. Es ist kurz vor halb zwölf an einem Freitagabend Anfang August. Später hat sie eine Verabredung mit einem Kunden und davon gibt es wenige in den letzten Wochen und Monaten. Sie ist die einzige trans* Sexarbeiterin, die an diesem Abend auf der Berliner Frobenstraße steht. Sonst ist es sehr ruhig auf dem Straßenstrich. Drüben auf der Kurfürstenstraße ist etwas mehr los.

„Wenn wir ein [Polizei-]auto kommen sehen, müssen wir laufen“, sagt sie. „Wir versuchen wie normale Leute auszusehen, die spazieren gehen oder von der Arbeit kommen oder sowas.“ Nur rumstehen, das erweckt Aufsehen.

Die Situation hat sich dramatisch verschlechtert

Von Mitte März an waren „Prostitutionsstätten und ähnliche Einrichtungen“ aufgrund von Corona-Eindämmungsverordnungen geschlossen worden. Auch Straßen-Sexarbeit war verboten. Mittlerweile ist Sexarbeit in Berlin, Thüringen, dem Saarland und in bayrischen Städten wieder erlaubt – allerdings nur unter strengen Hygienevorschriften und in Bordells.

Für viele der cis und trans* Frauen auf dem Straßenstrich spielen diese Verbote ohnehin keine große Rolle – denn sie konnten es sich nicht leisten, sich an das Tätigkeitsverbot zu halten. Wer auf der Froben- oder Kurfürstenstraße steht, hatte schon vor Corona häufig mit Wohnungslosigkeit oder Drogenabhängigkeit zu kämpfen. Doch in den letzten Monaten hat sich die Situation für sie noch einmal dramatisch verschlechtert.

Casper Tate engagiert sich im Netzwerk Trans*Sexworks, ein Peer-to-Peer-Netzwerk für Trans*Sexarbeit in Berlin, vor allem in der Frobenstraße. Er sagt, dass es außer diesem Netzwerk kaum Strukturen gibt, die trans* Personen in der Sexarbeit unterstützen. Am Anfang der Corona-Pandemie seien sie die einzigen gewesen, die auf der Frobenstraße Sexarbeiter_innen geholfen hätten | Foto: © Agata Szymanska-Medina

„Von einem Tag auf den anderen hieß es, dass die Organisationen zumachen wegen Corona”, sagt Caspar Tate. Er engagiert sich bei Trans*Sexworks, einer Peer-to-Peer-Gruppe, die trans* Sexarbeiterinnen auf der Berliner Frobenstraße unterstützt. „Es haben dann auch auf einmal alle Bars und Restaurants zugemacht. Und dann war es wie so eine Geisterstadt.“

Während einige der Frauen auf der Kurfürstenstraße es noch rechtzeitig vor Schließung der Grenzen zu ihren Familien nach Rumänien oder Bulgarien geschafft haben, haben viele der trans* Frauen auf der Frobenstraße keinen Ort, an den sie gehen können. Die meisten haben keinen Kontakt mehr zu ihren Familien. Auch Kunden kommen keine.

Tätigkeitsverbot und angedrohte Taschenkontrollen

Caspar Tate und sein Team verteilen Essen, übersetzen Corona-Regeln, erklären, dass man sich die Hände waschen muss, Abstand halten soll. „Es gibt auch eine Person bei uns in der Orga, die selber auf der Straße arbeitet und auch Bulgarisch spricht und übersetzt“, sagt er. „Dadurch haben wir auch einen ganz anderen Kontakt zu den Leuten als die Sozialarbeiterinnen, weil wir eher so als Freunde wahrgenommen werden“.

Wer etwas braucht, kann Tate auf seiner privaten Handynummer anrufen, sagt er. Von der Stadt gibt es anfangs kaum Hilfe. Die trans* Frauen auf der Frobenstraße können keine Corona-Soforthilfen beantragen, weil sie nicht selbstständig gemeldet sind, sie haben keinen Anspruch auf Hartz-IV. Erst nach Wochen wird eine Notunterkunft in der Kluckstraße geöffnet, für alle, die sonst auf der Straße schlafen müssten – mittlerweile ist auch sie wieder geschlossen.

Von der Stadt gibt es kaum Hilfe

„Ich habe Mitte Juni wieder angefangen zu arbeiten“, sagt Isabella. Sie kommt zurück auf eine Straße, auf der sich alles geändert hat. Mehrfach am Tag gibt es Polizeikontrollen. Das bestätigt auch Caspar Tate. Bis Mitte Juni hätte Sexarbeiter_innen auch ein Bußgeld gedroht, wenn die Polizei sie erwischt hätte. Das sei dann in eine Freierbestrafung umgewandelt worden.

Auf Anfrage wie viele solcher Bußgelder zwischen Mitte März und 8. August gegen Straßen-Sexarbeiter_innen verhängt wurden, schreibt die Polizei Berlin, dass für das Verhängen dieser Bußgelder die Ordnungsämter zuständig seien.

Das Ordnungsamt Tempelhof-Schöneberg schreibt auf Anfrage allerdings, dass gegen Sexarbeiter_innen bisher keine Bußgelder erhoben worden seien.

Caspar Tate merkt an, dass sich dies auch dadurch erklären lasse, dass Bußgelder nicht wegen der Sexarbeit selbst verhängt wurden. Zum Beispiel sei ihm eine Frau bekannt, die ein Bußgeld über 500 Euro erhalten habe, wegen „Aufenthalts außerhalb der Wohnung ohne triftigen Grund“.

Taschenkontrollen auf Kondome?

Und es soll Taschenkontrollen gegeben haben. So berichtete die taz Mitte Juli basierend auf der Aussage einer Streetworkerin, dass die Polizei mutmaßliche Sexarbeiter_innen in der Kurfürstenstraße aufgefordert hätte, das Gebiet zu verlassen, andernfalls werde man ihre Taschen auf Kondome kontrollieren. Auch Hydra schreibt in einer Pressemitteilung: „Seit April diesen Jahres mehren sich [..] Berichte, dass Personen, die mit Sexarbeit in Verbindung gebracht werden, auf Kondome durchsucht werden, oder ihnen ein solches Vorgehen angedroht wird. Die Kondome sollen als Beweismittel für die Ausübung der derzeit verbotenen sexuellen Dienstleistungen gelten.“

© Agata Szymanska-Medina

Repressionen untergraben die Sicherheit von Sexarbeiter_innen

Dieses Prozedere untergrabe die Sicherheit der Sexarbeiter_innen massiv und könne in letzter Konsequenz sogar dazu führen, dass sie darauf verzichteten, Kondome bei sich zu führen, um nicht der Sexarbeit „überführt“ werden zu können. Mehrere Gesprächspartnerinnen bestätigen gegenüber dem magazin.hiv ebenfalls, dass es solche Androhungen gegeben haben soll. Gegenüber der taz dementiert die Polizei, solche Kontrollen durchgeführt zu haben.

„In unserem Projekt haben wir von anderen Leuten gehört, dass es vor zwei Monaten, als es noch dieses Bußgeld für Sexarbeitende gab, Taschendurchsuchungen gab und Kondome als Beweismittel genutzt wurden“, sagt Caspar Tate von Trans*Sexworks.

Magazin.hiv hat die Polizei Berlin daher erneut um eine Erklärung gebeten und gefragt, ob die Behörde ausschließen könne, dass Sexarbeitende auf der Kurfürsten- und Frobenstraße zwischen dem 19. März und dem 8. August durch Beamte auf das Mitführen von Kondomen hin kontrolliert wurden.

Eine Pressesprecherin antwortet, dass der Bereich der Kurfürstenstraße mehrfach täglich durch Polizeieinsatzkräfte zu unregelmäßigen Zeiten angefahren werde. „Der Polizei Berlin sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Einsatzkräfte die Taschen von mutmaßlich Prostituierten durchsuchten, um gezielt Kondome aufzufinden.“ Allerdings komme es vor dem Hintergrund des Paragrafen 32 Abs. 1 des Prostituiertenschutzgesetzes (ProstSchG) in Einzelfällen vor: „Dass die Einsatzkräfte mutmaßliche Prostituierte gezielt ansprechen und nach mitgeführten Kondomen fragen würden“. Der Paragraf legt unter anderem fest, dass Sexarbeitende dafür Sorge zu tragen haben, dass beim Geschlechtsverkehr Kondome verwendet werden.

Angst vor Repressalien und Geldnot zwingen zu gefährlichen Entscheidungen

Die Kontrollen machen es den Sexarbeitenden zeitweise fast unmöglich zu arbeiten. Vor zwei Wochen etwa, habe sie ein Kunde angesprochen, sagt Isabella. Doch dann sei ein Streifenwagen mit zwei Beamten gekommen, der direkt vor ihr geparkt und das Fenster heruntergelassen habe. „Ich habe zu dem Kunden gesagt, geh und komm wieder zurück. Und ich habe gewartet.“ Die Polizei sei aber die Straße runtergefahren und wieder zurückgekommen. „Man kann die Frauen nicht mehr einsammeln und bestrafen. Aber man kann ihnen das Geschäft ruinieren“, sagt Caspar Tate. Das alles führt dazu, dass sich das ohnehin schwache Vertrauen der Sexarbeiter_innen in die Polizei unter Corona fast gänzlich aufgelöst hat.

Es gibt keine staatliche Unterstützung

Gleichzeitig gibt es keine staatliche Unterstützung, schon gar nicht für die trans* Sexarbeiterinnen, die auch vor Corona kaum Hilfsnetzwerke hatten und von einigen Organisationen abgewiesen wurden. Einzig der Bundesverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V. (BesD) richtet einen speziellen Nothilfefonds ein – auch für Sexarbeitende ohne sogenannten „Hurenpass“ oder Aufenthaltserlaubnis in Deutschland. „Es kommt niemand zur Straße und sagt: Hier eine Alternative, du könntest in ein betreutes Wohnen einziehen oder eine Notunterkunft“, sagt Caspar Tate.

Das führt letztendlich dazu, dass Sexarbeiter_innen auf der Straße aus Angst vor Repressalien von der Polizei bei gleichzeitiger Geldnot immer gefährlichere Entscheidungen treffen müssen. Absprachen mit Freiern müssten viel schneller getroffen werden, sagt Tate. „Dann steigen halt Leute einfach schnell ins Auto, ohne sich absprechen zu können: Wird ein Kondom benutzt oder nicht? Was ist der Preis?“ Wichtige Minuten, in denen die Sexarbeiter_in auch ein Gefühl dafür bekommen, ob der Kunde nüchtern ist, aggressiv, gehen dann verloren.

Viel Macht für Freier, statt mehr Kontrolle über die Situation für Sexarbeiter_innen

Die Situation gibt den Freiern viel Macht – auch was den Preis angehe. Die wenigen Kunden die kommen, versuchten mit Isabella zu handeln, sagt sie. Vor Corona lag der Preis für Geschlechtsverkehr – also „full service“ – bei vierzig bis sechzig Euro. Jetzt liegt er bei 20. „Und dann werden Leute zusagen, weil dann hast du im Kopf: Entweder 20 Euro oder nichts“, sagt Caspar Tate. Die Illegalität, in die die Frauen auf dem Straßenstrich gedrängt werden, drückt nicht nur die Preise. Sie macht sie auch erpressbar.

Respektlose und gewalttätige Kunden

„Es hat auch einen Anstieg an Gewalt gegeben“, sagt Tate. „Weil die den Frauen dann einfach sagen: Du kannst sowieso nicht die Polizei rufen. Was hier gerade passiert, ist nicht legal.“ In einer Woche berichteten drei der trans* Frauen von der Frobenstraße, entweder mit Flaschen beworfen oder geschlagen worden zu sein.

Auch Stephanie Klee kann bestätigen, dass es seit Mitte März zu einem Anstieg von Gewaltvorfällen gegenüber Sexarbeiter_innen gekommen ist. Klee ist Vorstand und Mitgründerin des Bundesverbands Sexuelle Dienstleistungen (BSD). „Klar ist, dass die Kunden um eine Vielzahl weniger geworden sind. Dass unter den wenigen Kunden eine Vielzahl respektlos, preisdumping-mäßig und gewalttätig unterwegs ist und da spielt Corona auch eine große Rolle“, so Klee. Mit der Folge, dass es auch zu „üblen Geschichten“ mit Kunden gekommen sei.

Vertrauensverlust gegenüber der Polizei fällt in eine Zeit, in der Schutz besonders nötig wäre

„Leider hat, glaube ich, keine einzige Sexarbeiterin einen Kunden angezeigt“, sagt Klee. Auch, weil sie davon ausgingen, dass sie von der Polizei oder staatlichen Behörden keine Unterstützung bekämen. Das habe sich die Polizei wegen ihres ruppigen Verhaltens selbst zuzuschreiben, findet Klee. Der Vertrauensverlust fällt in eine Zeit, in der Sexarbeiter_innen Schutz besonders nötig hätten.

Isabella hatte erst vor zwei Wochen eine Situation, in der sie eigentlich die Polizei rufen wollte, sagt sie. Dann aber habe sie sich dagegen entschieden. Aus Angst vor einer Anzeige oder einem Bußgeld. Auch, obwohl es das damals schon nicht mehr gab. Aber die Angst davor wirkt nach.

Fehlende Solidarität und Angriffe durch Anwohner_innen

Neben Polizeibeamten und Kunden sind es auch Anwohner_innen, die die trans* Frauen auf der Frobenstraße immer mehr angehen. Isabella erzählt von einem transfeindlichen Vorfall am Tag zuvor: Sie habe sich auf einem kleinen Park in der Nähe der Frobenstraße auf eine Bank gesetzt. Da sei ein Mann gekommen und habe zu ihr gesagt: „Wenn Hitler noch am Leben wäre, wärst du tot“. Der Mann habe einen Hund Gassi geführt, daher gehen Caspar Tate und Isabella davon aus, dass er in der Nähe wohnt.

Anfeindungen durch Anwohner_innen

Die Gegend um die Kurfürstenstraße ist seit Jahrzehnten für Sexarbeit bekannt. Doch es ziehen immer mehr Menschen dorthin, die das offensichtlich stört und die die Sexarbeiterinnen vertreiben wollen. „Da sind üble Sachen passiert“, weiß auch Stephanie Klee. „Ich habe mit Kolleginnen gesprochen, auch mit transsexuellen. Die sind gejagt worden, von irgendwelchen Typen, die sich ihren Spaß gemacht haben; von der Polizei. Das war wirklich unterirdisch.“

Und sie fragt sich: „Wenn zum Beispiel eine Horde von jungen Männern die Sexarbeiterinnen jagt, warum kann dann nicht mal ein Anwohner sich dazwischen stellen und sagen: So geht das nicht? Das finde ich richtig eklig.“

Während Corona habe man diese fehlende Solidarität der Anwohner_innen spüren können, sagt Caspar Tate. Während es in ganz Berlin volle Gabenzäune für wohnungslose Menschen gegeben habe, sei der Gabenzaun in der Nähe des Straßenstrichs immer leer gewesen.

Kein politisches Konzept für den Straßenstrich

Für ihn zeigt der Umgang mit Sexarbeit unter Corona auch, wie viele Vorurteile es immer noch über diese Arbeit gibt. Sowohl in der Politik als auch bei der Polizei. „Es gibt voll viele Sexarbeiterinnen, die sich selber Regeln erarbeitet haben“, sagt er. „Ich kenne einige, die zum Beispiel eine Woche lang arbeiten, dann eine Woche lang niemanden treffen, um zu sehen, ob sie sich angesteckt haben.“ Viele hielten sich auch im Privaten sehr an die Regeln, damit sie generell nicht krank würden. Und schließlich habe niemand „Bock auf die Polizei“, sagt er. „Die Leute die da stehen, die müssen da stehen. Wenn es eine Alternative gäbe, dann würden sie jetzt nicht da stehen.“

Seit dem ersten September dürfen in Berlin Bordelle wieder öffnen. Für die Frauen auf dem Straßenstrich wird das nichts ändern. „Diese Frauen sind vorher nicht in Bordellen arbeiten gewesen und werden es auch nach der Öffnung der Bordelle nicht tun, weil die Straße ihr Element ist“, sagt Klee. Es braucht politische Konzepte für die Straßen-Sexarbeit – bislang gibt es sie nicht

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