In Ländern wie Uganda müssen LGBTIQ* nicht nur Repressionen, sondern sogar um ihr Leben fürchten. In seinem Roman „Kampala – Hamburg“ lässt Lutz van Dijk seine Leser_innen miterleben, wie queere Menschen in die Flucht getrieben werden, aber er ermutigt auch zum Aktivismus.

Eigentlich sind sich diese beiden Jungs ziemlich ähnlich. Nicht nur, dass sie den gleichen Vornamen tragen. Sie sind beide schwul, machen gerade ihre ersten sexuellen Erfahrungen und haben Gleichgesinnte um sich, denen sie vertrauen und bei denen sie ganz sie selbst sein können. Und beide nutzen die schwule Datingplattform PlanetRomeo, denn dort begegnen sich die beiden, wenn auch – zunächst – nur virtuell. Eigentlich haben David und David also recht viel miteinander gemein.

Gay Pride im Verborgenen

Doch anders als sein zwei Jahre älterer Namensvetter in Hamburg lebt der 16-jährige David in Kampala, der Hauptstadt Ugandas. So trennen die beiden Jungs nicht einfach nur 6.000 Kilometer, sondern in vielerlei Hinsicht Welten.

Während der Deutsche David, der sich in einer Queer International-Gruppe engagiert, sich dazu mit seinen Mitstreiter_innen im LGBTIQ*-Zentrum seiner Stadt treffen kann, müssen in Kampala David und seine Freund_innen den ersten Gay Pride ihrer Heimat konspirativ im privaten Rahmen organisieren.

„Kampala – Hamburg“ erzählt, wie sich queere Jugendliche für ihr Recht auf Anerkennung engagieren

Denn seit 2009 kann in Uganda für Homosexualität sogar die Todesstrafe verhängt werden. Und weil Davids Liaison mit dem Sohn eines einflussreichen Politikers aufgeflogen ist, bleibt ihm nur, aus dem Land zu fliehen.

Buchcover | © Querverlag

Der Autor Lutz van Dijk, der erst in Hamburg und dann lange in Amsterdam gelebt hat, ist vor mittlerweile über 20 Jahren nach Kapstadt gezogen. Dort hat er 2001 die Stiftung HOKISA für von Aids betroffene Kinder und Jugendliche begründet. Er ist aber auch weiterhin schriftstellerisch tätig.

In seinen mittlerweile weit über 20 Jugendromanen und Sachbüchern setzt er sich nicht nur mit dem Leben in Afrika, sondern immer wieder mit Lebensgeschichten von LGBTIQ* und den Rechten sexueller Minderheiten auseinander.

Viele seiner Bücher – wie etwa die dokumentarischen Romane „Verdammt starke Liebe“ über die Liebe zwischen einem jungen Wehrmachtssoldaten und einem polnischen Jugendlichen während des Zweiten Weltkriegs oder „Themba“ über einen HIV-positiven Fußball-Nachwuchsspieler in Südafrika – wurden zur Schullektüre und sind in viele Sprachen übersetzt.

Zugang zu einem viel zu wenig diskutierten Thema für ein junges Publikum

Auch mit „Kampala – Hamburg“ zielt Lutz van Dijk auf ein junges Lesepublikum, das über diesen Roman unterschiedlichste queere Lebenswelten kennenlernen, aber vor allem sehr viel über die Verfolgung von LGBTIQ* erfahren kann.

Der eine oder die andere Leser_in mag sich vielleicht an Lutz van Dijks gradliniger Dramaturgie und eher schlichten Sprache stören, oder gar an dem herzerwärmenden Finale. Vielleicht aber ermöglicht dies einem breiten, möglicherweise nicht ganz so lesefreudigen Publikum den Zugang zu einem viel zu wenig diskutierten Thema.

Van Dijk benötigt nur eine Handvoll Sätze, um seine Figur entstehen zu lassen und sie den Leser_innen nahezubringen. Wo eben noch die Euphorie und Aufregung, die in Kampala mit Davids ersten sexuellen Erfahrungen einhergehen, die Stimmung beherrschten, ist es mit einem Schlag die nackte Angst.

Christlicher Fundamentalismus schürt den Hass auf Homosexuelle

Welchen fatalen Einfluss fundamentalistische Christ_innen nicht nur in Uganda, sondern in vielen anderen afrikanischen Ländern haben, wie sie die Kriminalisierung vorantreiben, gezielt den Hass auf Homosexuelle schüren, der bis zu Lynchmorden führt – diesen Kontext liefert Lutz van Dijk neben vielen anderen Hintergrundinformationen unaufdringlich mit.

Kapitelweise wechselt der Roman nun zwischen den beiden Davids. Der Hamburger Oberstufenschüler, der nach seinem etwas stressig verlaufenen Coming-out zu seiner Schwester gezogen ist und mit seiner queeren Clique eine Wahlfamilie gefunden hat, möchte David aus Kampala bei seiner Flucht unterstützen.

Auf der Flucht vor Verfolgung und Diskriminierung

Doch der ist zunächst auf sich allein gestellt. Seine Route führt über Kigali in Ruanda ins nigerianische Lagos bis nach Istanbul. Es ist ein abenteuerliches wie lebensgefährliches Unterfangen; er wird ausgeraubt und muss sich mittellos durchschlagen, aber er erlebt auch überraschende Hilfe durch Fremde.

Die verschiedenen Menschen, denen David auf dieser Flucht begegnet, ermöglichen es Lutz van Dijk, zumindest kleine Momentaufnahmen zum Lebensalltag und der politischen Situation in den durchreisten afrikanischen Ländern zu liefern. Ähnliches gilt für die Freund_innenkreise der beiden Davids in Hamburg bzw. Kampala.

Sie stehen stellvertretend für die vielen Facetten sexueller Identität und queeren Lebens. Und sie erzählen auch davon, in wie vielen Ländern in unterschiedlichster Weise Menschen für ihre Liebe und sexuelle Identität verfolgt und diskriminiert werden. Da bleibt vieles freilich lediglich angerissen und es ist tatsächlich schade, nicht mehr über das Schicksal dieser interessant skizzierten Nebenfiguren zu erfahren.

Hommage an den Aktivisten David Kato

Im besten Falle wächst dabei das Interesse, sich über den Roman hinaus mit der Situation von LGBTIQ* zu beschäftigen oder sich vielleicht sogar zu engagieren. Dass Lutz van Dijks Roman dies genau anregen möchte, zeigt der umfangreiche Anhang – u.a. ein kompaktes Kapitel über die Verfolgung sexueller Minderheiten in Uganda und anderswo, Adressen von Organisationen, die sich weltweit für LGBTIQ*-Rechte engagieren, wie auch die hilfreichen Anmerkungen etwa zu den im Buch erwähnten realen Personen oder zur Gesetzeslage in den verschiedenen Ländern.

Und nicht zuletzt würdigt Lutz van Dijk einen dritten David, der eine wichtige Inspiration für dieses Buch war: der ugandische LGBTIQ*-Aktivist David Kato. Mit der von ihm mitbegründeten landesweiten Organisation „Sexual Minorities Uganda – SMUG“ hatte er gegen die Kriminalisierung von Homosexualität gekämpft – und wurde 2011 in seinem Haus mit Hammerschlägen ermordet. Ihm ist der Roman auch gewidmet.

Sein Autorenhonorar spendet Lutz van Dijk je zur Hälfte an die von Kato ins Leben gerufene Organisation SMUG sowie an Queeramnesty.

Lutz van Dijk: „Kampala – Hamburg. Roman einer Flucht“. Querverlag, 176 Seiten, 12 Euro

Internetseite des Autors: www.lutzvandijk.co.za

Eine Online-Lesung von Lutz van Dijk aus seinem neuen Roman kann hier literatunten.de/lutz-van-dijk-lesung nachgeschaut werden.


Zum Weiterlesen: 

  • „Mit Wort und Tat gegen Schrecken und Verdrängung“ – Interview mit Lutz van Dijk über sein sein HIV-Projekt in Kapstadt und seinen Briefwechsel mit Teofil Kosinski, dessen Biografie dem Roman „Verdammt starke Liebe“ zugrunde liegt: magazin.hiv, 8.5.2015
  • „Leben in Todesangst“ – Interview mit der Regisseurin Katherine Fairfax Wright und der ugandischen LGBTIQ*-Aktivistin Naome über David Kato und den Dokumentarfilm „Call me Kuchu“: magazin.hiv, 16.2.2012
  • „Where Love is Illegal“ – Der Fotograf Robin Hammond hat weltweit LGBTIQ* porträtiert, die in ihren Heimatländern wegen ihrer Sexualität oder Geschlechtsidentität Gewalt und Strafverfolgung erleben mussten: magazin.hiv, 22.6.2018
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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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