Mit „Hure spielen“ hat Melissa Gira Grant ein viel beachtetes Buch über Sexarbeit vorgelegt. Für Stephanie Klee, selbst Sexarbeiterin, ist die Lektüre Demotivation und Ansporn zugleich.

Das, was Melissa Gira Grant, eine US-amerikanische Journalistin und Ex-Sexarbeiterin, uns in ihrem Buch „Hure spielen. Die Arbeit der Sexarbeit“ vor Augen führt, ist nahezu abtörnend. Zumindest motiviert es nicht gerade dazu, sich für die Rechte von Sexarbeiter_innen und die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen einzusetzen, schildert Grant darin doch über weite Strecken Frustrierendes.

In zehn Kapiteln und auf 190 Seiten beschreibt sie die Rolle der Polizei in der Sexarbeit, geht ein auf die Vielfalt der Sexarbeiter_innen und die unterschiedlichsten Arbeitsmöglichkeiten. Sie erklärt die gesellschaftspolitische Debatte zur Prostitution, mit den Befürworter_innen auf der einen Seite und den Gegner_innen auf der anderen, und versucht, die gesamte Sexbranche in ein realistisches Licht zu rücken – trotz eines immer bestehenden eingeschränkten Blickwinkels.

Diskriminierungen, Demütigungen, Schikanierungen

Dabei geht sie auch auf das (Huren-)Stigma ein und zieht Vergleiche zu anderen („soliden“) Frauen, nimmt die Rettungsindustrie auseinander, um sich abschließend den verschiedenen Sexworker-Bewegungen und deren Engagement zu widmen.

Alles ist bekannt, war so oder so ähnlich schon vielfach zu lesen und zu hören.

Ausführlich berichtet sie von Diskriminierungen, Demütigungen und Schikanierungen, die Sexarbeiter_innen während der Arbeit durch Polizeibeamte erleben – besonders in Bezirken amerikanischer Großstädte mit einem hohen Anteil nichtweißer Bewohner_innen.

Sie erzählt von phobischen Übergriffen auf Trans*-Frauen durch die Polizei – und davon, wie Sexarbeiter_innen auch außerhalb der Arbeitszeiten in Notsituationen Hilfe verweigert wird. Sie lebten halt im falschen Bezirk, heißt es dann von den Polizeibeamten, oder als Prostituierte seien sie doch quasi immer bei der Arbeit – sie täten also immer etwas Illegales –, ein Privatleben und private Interessen gesteht man ihnen nicht zu.

Ein ewiges Katz-und-Maus-Spiel

Auch beschreibt Grant die Daten-Sammelwut der Behörden und die öffentliche Bloßstellung der Kunden durch die Medien.

Und das alles in den USA, wo bis auf wenige Ausnahmen Prostitution verboten ist. Es dürfte also eigentlich keine Sexarbeiter_innen, keine Kunden und keine Form der Organisation von Prostitution geben. Folglich bräuchten sich auch die unterschiedlichen staatlichen Institutionen nicht damit zu befassen. Aber so ist es natürlich nicht – nirgends auf der Welt.

Die Folge davon ist ein ewiges Katz-und-Maus-Spiel: Die Behörden verfolgen Sexarbeiter_innen und versuchen, ihnen die Arbeit unmöglich zu machen, und die Sexarbeiter_innen und die von ihnen profitierenden Branchen suchen nach Lücken und Schlupflöchern, um dennoch die Arbeit ausüben und an Kunden kommen zu können.

Der (Ver-)Kauf von Sex ist einfach zu essenziell für alle Beteiligten – besonders für die Kunden, die deshalb immer einen Weg finden, um an Pay-Sex zu kommen – auch wenn sie sich andernorts oft deutlich dagegen aussprechen. So fehlen bei Grant auch nicht einige genüssliche Beschreibungen namhafter Kunden, die Opfer ihrer eigenen Doppelmoral wurden.

Repressionen gefährden Sexarbeiter_innen

Alle Beispiele, die Grant aus dem Arbeitsleben von weiblichen und Trans*-Sexarbeiterinnen (leider werden männliche nicht berücksichtigt) anführt, zeugen von den täglichen Diskriminierungen, denen zwar immer wieder Bemühungen von Selbsthilfeorganisationen und viel Empowerment entgegengesetzt werden, aber ohne nennenswerte Erfolge.

So liegen zum Beispiel die Errungenschaften der US-amerikanischen Prostituiertenorganisation COYOTE („Call Off Your Old Tired Ethics“) lediglich in den Ergebnissen der internen Diskussionen, in der Bildung von öffentlichen Positionen und der Schaffung eines Sprachrohrs sowie  eines Ortes – einer Heimat für Sexarbeiter_innen. Entscheidenden Einfluss auf die gesellschaftlichen und staatlichen Strukturen haben sie dennoch nicht gewinnen können.

Wie Don Quichotte gegen Windmühlen

Trotz guter Argumente: wie das der negativen Folgen, die Repressionen auf die Lebens- und Arbeitssituation von Sexarbeiter_innen haben, die dadurch immer mehr in die Anonymität gedrängt und gefährdet werden. Trotzdem werden diese Repressionen von den Prostitutionsgegner_innen in Koalition mit den staatlichen Institutionen durchgesetzt.

Organisationen, die sich für die Rechte von Sexarbeiter_innen einsetzen, scheinen also wie der berühmte Don Quichotte gegen Windmühlen zu kämpfen – so auch wir hier in Deutschland und Europa mit unseren eigenen, kleinen Projekten (in denen zumindest die Lust und Lebensfreude nicht zu kurz kommen).

Quasi in zeitlichen Wellen bläst den Sexarbeiter_innen mal mehr, mal weniger heftig der Wind der Prostitutionsgegner_innen entgegen. Die Rettungsindustrie und eine konservative, dogmatische feministische Front rufen – mit finanzieller Unterstützung bestimmter Kreise – zum Angriff. Dabei haben sie sich nichts weniger zum Ziel gesetzt, als die Welt von der Prostitution zu befreien.

Denn Sexarbeit ist Arbeit!

Ohne Rücksicht auf Verluste und Kollateralschäden wird im vermeintlichen Kampf gegen Menschenhandel, Gewalt und Zwang in der Sexbranche alles in einen Topf geschmissen – mit der Konsequenz, dass Sexarbeiter_innen entmündigt, ihrer Menschen- und Bürgerrechte beschnitten werden und ihnen vor allem das Recht verweigert wird, für sich selbst zu sprechen und an Sexarbeit die gleichen Maßstäbe anzulegen wie an andere Formen der Erwerbsarbeit auch. Denn Sexarbeit ist Arbeit!

„Sexarbeit heißt, etwas aufzuführen, eine Rolle zu spielen, Fachkönnen einzusetzen und innerhalb professioneller Grenzen eine empathische Beziehung zu jemandem aufzubauen … Wenn wir betonen, dass Sexarbeit Arbeit ist, dann betonen wir damit auch, dass eine sexualisierte Form von Arbeit nicht dasselbe wie Sexualität selbst ist“, so Grant.

Grant macht die Ursachen der Kontroverse deutlich: Diese liegen in der enormen Vielfalt der Prostitutionsbranche, den individuellen Zugängen und Positionen jeder einzelnen Sexarbeiter_in und deren permanenten Kampf ums Überleben sowie um die Ausübung eines ehrenwerten Berufes bei gleichzeitiger permanenter Verfolgung durch die Staatsgewalten und zunehmender gesellschaftlicher Ablehnung.

Hure als Verbrecherin – Hure als Opfer

Natürlich konzentriert sie sich auf den nordamerikanischen Raum, in dem sie lebt und arbeitet. Umso erstaunlicher sind die Ähnlichkeiten zu den Formen der Diskriminierung und Stigmatisierung von Sexarbeiter_innen hier in Deutschland und anderswo. Auch der Kampf von konservativen Feminist_innen und Gutmenschen um ein generelles Verbot der Prostitution zum angeblichen Schutz der Sexarbeiter_innen scheint weltweit nach dem gleichen System zu funktionieren.

Der Gewinn von Grants Buch lieg vor allem in ihrer Historienarbeit. Diese reicht vom antiken Griechenland, wo sich die Prostituierten die Worte „Folge mir!“ in die Sohlen ihrer Sandalen einritzen ließen, bis hin zur Aufwertung der mehr und mehr abgeschafften Rotlichtbezirke als Orte des friedlichen Miteinanders und der körperlichen, geistigen und spirituellen Kontakte über Klassen hinweg.

Sie zeichnet den Wandel von der Hure als Verbrecherin zum Opfer nach und die Veränderungen der Branche als Anpassung an die allgemeinen Wirtschaftsbedingungen und den erblühenden Freizeit- und Wellness-Markt.

Sie beleuchtet den Einfluss des Internets und selbst Aspekte der Gentrifizierung. Dabei räumt sie mit manchen Geschichtsfälschungen auf. Auch Herausforderungen wie Kriege und HIV/Aids und deren Auswirkungen auf die Sexbranche werden beschrieben und die Kämpfe um Rechte und Respekt in einen neuen Fokus gerückt.

Solidarität mit Sexarbeiter_innen!

Grant stellt klar: Sexarbeiter­_innen „geht es um rechtliche Anerkennung, das Ende der Diskriminierung auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt, bei der Gesundheitsversorgung und Bildung sowie darum, sich frei in der Welt bewegen zu können“. Kurzum: Es geht um Wertschätzung und Respekt!

Prostitutionsgegner_innen vertreten dagegen eine sexistische, konservative und sexualfeindliche Auffassung von Prostitution, bevormunden die Sexarbeiter_innen, degradieren sie zusätzlich zu Opfern und versuchen, sie mundtot zu machen.

Trotz des ganzen Frusts, den die Lektüre von „Hure spielen“ in den vielen Beschreibungen der Zustände hervorruft, kann ich nur sagen: Egal, wo wir Sexarbeiter_innen leben und arbeiten, es lohnt sich immer, über den Tellerrand zu schauen, von den Erfahrungen und Strategien der Kolleg_innen in anderen Ländern zu lernen und uns in Solidarität zu üben: in Solidarität zwischen uns Sexarbeiter_innen und in Solidarität mit Sexarbeiter_innen.

Wir müssen die konkrete Arbeit in den Vordergrund rücken und ihre Reform von innen heraus ankurbeln und durchsetzen. Und wir müssen neue Allianzen schmieden – und eigene Kampagnen und Aktionen auf den Weg bringen.

Ich wünsche viel Freude beim Lesen nach dem Motto: Lesen bildet!

Cover (Abb. Edition Nautilus)
Cover (Abb. Edition Nautilus)

 

 

Melissa Gira Grant: „Hure spielen. Die Arbeit der Sexarbeit“. Edition Nautilus, 192 S., 14,90 Euro

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