Wohl kaum jemand hat so viele Coming-outs hinter sich gebracht wie der „Lindenstraßen“-Schauspieler Georg Uecker. In seiner Autobiografie „Ich mach dann mal weiter!“ reflektiert er nicht nur seine Rolle als Vorzeigeschwuler in der TV-Serie, sondern erzählt auch von den Brüchen in seiner Biografie, etwa durch den Tod seines Partners oder seine eigene Krebs- und HIV-Erkrankung.

Dass auf dem Buchcover auf das unverkennbare „Lindenstraßen“-Straßenschild angespielt wird, ist aus Verlagssicht nur zu verständlich. Denn auch wenn Georg Uecker in seinem langen Berufsleben an so manchen Fernseh- und Bühnenprojekten beteiligt war, bekannt – ach was: berühmt! – ist er nun mal durch seine Rolle als schwuler Carsten Flöter in Deutschlands am längsten laufenden Fernsehserie.

Als ein Kuss unter Männern noch einen Skandal auslöste

Und so erzählt der 55-jährige Uecker in seiner Autobiografie natürlich auch von seinem Leben mit der „Lindenstraße“ und von seiner Serienrolle, die ihm über die vergangenen drei Jahrzehnte zu seiner zweiten Persönlichkeit wurde und ihn 1990 zum Auslöser einen TV-Skandals unerwarteten Ausmaßes machte.

Immer dümmere Anti-Fan-Post

Dass ein kurzer und zudem recht harmloser Kuss zwischen Carsten Flöter und seinem Freund Robert Engel (gespielt von Martin Armknecht) die konservativeren Teile der Republik zum kollektiven Hyperventilieren brachte, ist aus heutiger Perspektive kaum mehr nachvollziehbar (zumal es nicht der erste war: schon 1987 hatte es einen Kuss zwischen Flöter und seinem damaligen Freund Gerd Weinbauer, gespielt von Günter Barton, gegeben).

Szene aus der Lindenstraße: Carsten Flöter (Georg Uecker) und Robert Engel (Martin Armknecht) küssen sich
Der legendäre Kuss von Carsten Flöter und Robert Engel

Die Folgen für das „Lindenstraßen“-Team und für ihn persönlich kann Georg Uecker heute recht gelassen schildern. Doch damals herrschte tatsächlich Hysterie und Ausnahmezustand. Uecker erhielt Unmengen an Hassbriefen, ja sogar Mord- und Bombendrohungen, und stand deshalb zeitweilig unter Personenschutz. Das blieb nicht ohne Folgen: „Mich zermürbte der immer dümmere Charakter dieser Anti-Fan-Post“, schreibt er.

Kämpferisches Leben zwischen Lindenstraße und Christopher Street

Doch „Ich mach dann mal weiter!“ ist viel mehr als eine Devotionalie für die eingeschworene Fangemeinde dieser Kultserie.

„Ein kämpferisches Leben zwischen Lindenstraße und Christopher Street“: Der Werbespruch, mit dem der Verlag Ueckers gemeinsam mit Koautor Daniel Oliver Bachmann verfasstes Buch ankündigt, ist tatsächlich recht treffend, auch wenn Kindheit und Jugend in seiner deutsch-norwegischen Familie in Bonn noch geradezu beschaulich verlaufen.

„Eine Mischung aus Schauspiel, Film, Unterhaltung, Moderation und Rampensau“

Die Reaktionen der Eltern auf sein schwules Coming-out sind vorbildlich (später würde er noch ein fiktionales Coming-out als Carsten Flöter und sein öffentliches Coming-out als schwuler Serienstar zu absolvieren haben).

Und in Köln entdeckt der Teenager eine kulturelle Szene, die ihn schließlich zum Berufswunsch „Unterhalter“ führen: „Wenn es eine Mischung aus Schauspiel, Film, Unterhaltung, Moderation und Rampensau gibt, sagte ich mir, dann habe ich gefunden, was ich suche.“ In der schwulen Szene der Stadt findet Uecker schnell eine zweite Heimat – und schließlich in dem Briten John seine große Liebe.

Doch während er in seinen frühen Jugend- und Berufsjahren meist die Qual der Wahl hatte, weil ihm so viele Möglichkeiten offenstanden, beginnt nun tatsächlich ein Jahrzehnt existenzieller Kämpfe.

Georg Uecker: Schreckensjahre und Neuanfang

Ab Herbst 1991 verschlechtert sich der Gesundheitszustand seines an Aids erkrankten Lebenspartners John so sehr, dass dieser sich frühpensionieren lassen muss. Uecker kümmert sich um ihn und sagt Rollenangebote in Deutschland ab, um so wenig wie möglich ihre gemeinsame Wohnung in London verlassen zu müssen. Bei der „Lindenstraße“ war er da schon ausgestiegen und hatte damit auch die einzige sichere Einkommensquelle aufgegeben.

Nach dem Tod des Lebensgefährten folgt ein weiterer Schicksalsschlag in Form einer Doppeldiagnose: 1993 wird bei Georg Uecker nicht nur eine HIV-Infektion, sondern auch Morbus Hodgkin, ein bösartiger Tumor des Lymphsystems, diagnostiziert.

„Mit 24 war ich Deutschlands meistgeliebter oder -gehasster Homosexueller… mit 30 Witwer“

„Vieles in meinem Leben hatte früh, manches auch zu früh stattgefunden. Im Alter von sechszehn Jahren hatte ich Sex mit erwachsenen Männern. Mit siebzehn war ich in Schwulenkneipen, in denen ich gar nicht sein durfte. Mit dreiundzwanzig kannten mich Millionen Fernsehzuschauer, mit vierundzwanzig war ich Deutschlands meistgeliebter oder meistgehasster Homosexueller, je nach Fasson des Betrachters. Mit dreißig war ich Witwer. Kurze Zeit später lag ich in einer Klinik und dachte mir, das war’s wohl. Du hast es hinter dir.“

Als Schreckensjahre bezeichnet Georg Uecker diese Phase seines Lebens. Zum einen konnten der Krebs und HIV nicht gleichzeitig therapiert werden, zum anderen stand seinerzeit für die HIV-Behandlung lediglich das recht aggressive Medikament AZT zur Verfügung.

Der Wendepunkt kommt 1996 mit der Welt-Aids-Konferenz in Vancouver und der Einführung der antiretroviralen Kombinationstherapie. „Dass ich noch lebe, habe ich dem medizinischen Fortschritt zu verdanken, der auf dieser Konferenz präsentiert wurde“, schreibt Uecker. „Für John – und viele Tausend andere Aidskranke auch – kam er zu spät.“

Engagement für gleiche Rechte von LGBT

Uecker schildert dies alles ohne Larmoyanz oder übersteigerte Dramatik. Vor allem achtet er darauf, seine Leser_innen immer wieder unaufdringlich mit gut verständlichen Fakten zu füttern: sei es zur Situation Homosexueller in Osteuropa (wenn er von seinem Engagement für den Warschauer „Gleichheitsmarsch“ 2006 erzählt), sei es zur antiretroviralen HIV-Therapie, Viruslast oder Lipodystrophie.

„Was geht euch meine Krankheit an?“

Unter diesem durch die HIV-Medikamente ausgelösten Fettgewebsschwund hatte auch Georg Uecker zu leiden. Die Gerüchteküche wollte er allerdings nicht selbst anfeuern – Fragen nach seinem veränderten Aussehen ignorierte er einfach und schaltete auf stur. „Was geht euch das an, dachte ich, für mich geht das Leben ganz normal weiter“, schreibt er.

Nur engste Freunde und die Familie wussten von seiner HIV-Infektion. Auch seine Krebsbehandlung wollte er nicht in den Zeitungen sehen. „Was so einen Medienhype angeht, fühlte ich mich durch die überspannte Berichterstattung beim Kuss-Skandal immer noch wie ein gebranntes Kind.“

Erinnerungsnarben bleiben

Dass er sein HIV-Coming-out in einem Interview ganz nebenbei erledigte (und dann auch noch in einem regionalen Schwulenmagazin und nicht etwa in einer großen Illustrierten), war Ueckers kleine Rache an der sensationsheischenden Boulevardpresse.

Cover des Buchs "Ich mach dann mal weiter" von Georg Uecker

„In Ausnahmezuständen wird man auf sich selbst geworfen“

Sein Buch nun ist gleichermaßen ein launig und unterhaltsam erzählter Parforceritt durch seine Lebensgeschichte und ein Weg, seine Leserschaft an seinen persönlichen Schicksalsschlägen, Krisen und Kraftanstrengungen teilhaben zu lassen, die er über die Jahre nicht öffentlich machen wollte und konnte.

Die „Erinnerungsnarben“ freilich, wie Uecker sie nennt, bleiben. Und dazu gehört für ihn auch „das Gefühl der völligen Einsamkeit“: „Wie sehr man trotz der Liebe und Zuwendung der Mitmenschen in solchen Ausnahmezuständen auf sich selbst geworfen wird, ist ein Thema, das mich bis heute umtreibt.“

Georg Uecker mit Daniel Oliver Bachmann: „Ich mach dann mal weiter!“. S. Fischer, 2018, 256 S., 14,99 Euro (E-Book: 12,99 Euro)

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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