Dietmar Bartsch
Dietmar Bartsch, Fraktion DIE LINKE (Foto: Bundestag)

Anlässlich des Welt-Aids-Tags am 1.12. veröffentlicht die Bundestagsfraktion DIE LINKE eine Broschüre mit Texten von 21 Abgeordneten zu verschiedenen Aspekten von HIV und Aids. Zu den Autoren gehört auch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch – Axel Schock hat sich mit ihm unterhalten

Herr Bartsch, können Sie sich noch daran erinnern, wann Sie zum ersten Mal bewusst einem HIV-positiven Menschen begegnet sind?

In der DDR wurde über Aids sehr wohl auch gesprochen, aber es gab dort nur sehr wenige HIV-Infizierte. Es fand selbstverständlich auch Aufklärung zu diesem Thema statt, es gab aber auch harte Repression insbesondere gegenüber HIV-positiven Ausländern. Die wurden sofort ausgewiesen. Kennengelernt habe ich Menschen mit HIV dann tatsächlich erst nach der Wende, und zwar nicht im alltäglichen Leben, sondern im Rahmen meiner politischen Tätigkeit. Es gab beispielsweise Beschäftige innerhalb der Partei, die mir irgendwann sagten: „Im Übrigen bin ich auch HIV-positiv.“

In mir steckten die gleichen bekannten Vorurteile und Ängste

Wie sind Sie mit dieser Nachricht damals umgegangen?

Ich weiß, dass ich sehr überrascht war. Und zwar weniger über die Offenheit der Mitarbeiter als vielmehr über mich selbst. Ich merkte nämlich, dass in mir die gleichen bekannten Vorurteile und Ängste steckten wie bei vielen anderen Menschen auch. Das rufe ich mir immer dann in Erinnerung, wenn ich heute mit Menschen konfrontiert bin, die noch nicht über Kenntnisse zu dieser Krankheit verfügen und deshalb mit Vorbehalten und irrationalen Ängsten reagieren. Denn damals habe ich mich im Grunde nicht viel anders verhalten.

Was hat Ihr Bewusstsein schließlich verändert?

Das war zum einen die Begegnung mit HIV-positiven Menschen und zum anderen natürlich auch die intensive und vielfältige Auseinandersetzung mit diesem Thema. Ich hatte das Glück, dass in meiner Partei und auch in meiner Fraktion viele Menschen auf diesem Gebiet sehr engagiert sind. Zum anderen habe ich mich dann ja auch im Deutschen Bundestag mit Blick auf die ärmsten Länder auf politischer Ebene damit beschäftigt.

Deutschland hat sich für einen liberalen Umgang entschieden

Im Vergleich zu den Menschen etwa in Osteuropa oder Subsahara-Afrika ist die Situation für HIV-Positive und Erkrankte in Deutschland sehr gut. Gleichwohl kann noch keineswegs von einer Normalität gesprochen werden. Was liegt Ihrer Meinung nach hierzulande besonders im Argen?

Deutschland hat sich erfreulicherweise für einen liberalen Umgang mit der Infektion wie auch mit Sexualität entschieden, und die vielen Aidshilfen wie auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung leisten sehr gute Arbeit. Dadurch haben wir eine Stabilisierung der Neuinfektionen auf relativ niedrigem Niveau erreicht. Was uns jedoch Sorgen machen muss: HIV ist weiterhin ein Stigma, und dies ist meines Erachtens ein Kernproblem. Das zeigen nicht zuletzt die Fälle von Repressalien und Diskriminierung, die immer wieder bekannt werden.

Titel Solidaritätsbroschüre
Solidarität mit HIV-Positiven: nicht nur am Welt-Aids-Tag (Foto: DIE LINKE)

Worauf führen Sie das zurück?

Die Kenntnisse zu den Übertragungswegen sind meiner Beobachtung nach in der breiten Gesellschaft noch zu gering. Ich spreche hier nun nicht von Metropolen wie etwa Berlin, sondern von Regionen wie beispielsweise Vorpommern, wo ich herkomme.

Haben Sie ein konkretes Beispiel für dieses Gefälle zwischen Metropole und flachem Land?

In Berlin beispielsweise treffen sie ganz selbstverständlich lesbische oder schwule Pärchen auf der Straße an. Das ist hier völlige Normalität. In meinem Wahlkreis Schwerin und Umland gibt es solche Paare natürlich auch. Wir haben eine sehr aktive Aidshilfe, in der auch der Kreisvorsitzende meines Wahlkreises aktiv ist. Aber dennoch gibt es dort noch lange nicht diese Akzeptanz, wie man sie aus den Großstädten gewohnt ist. Der Umgang mit Homosexualität in ländlichen Regionen ist in weiten Teilen noch ein völlig anderer, und die g

esetzlichen Veränderungen in Deutschland sind noch nicht bei allen im Bewusstsein angekommen. Im Zweifelsfalle spricht man einfach nicht darüber. Viele betrachten Homosexualität nach wie vor als Krankheit. Umso schwerer ist deshalb die Situation für Menschen mit HIV, in einer solchen Umgebung offen mit ihrer Erkrankung umzugehen.

„Auch die Selbsthilfestrukturen sollten weiter finanziert werden“

Was sind Ihrer Ansicht nach aktuell die dringlichsten Aufgaben, um die Situation für HIV-Positive in Deutschland zu bessern?

Ich glaube, dass der Weg, den wir in den letzten Jahren gegangen sind, in deutlicher Konsequenz weiter verfolgt werden muss. Das heißt, dass die Menschen, die heute in so hohem Maße in diesem Bereich engagiert sind, auch weiterhin die Möglichkeit haben müssen, diese Arbeit fortsetzen zu können. Nicht nur die Aidshilfen, sondern auch die Selbsthilfestrukturen sollten erhalten bleiben und gefördert werden. Und auch das hervorragende Engagement der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sollte keinen finanziellen Einschränkungen unterworfen werden. Denn eines ist klar: Das Thema HIV und Aids wird uns noch sehr lange beschäftigen. Ich gehe sogar davon aus, dass wir diese Krankheit niemals vollständig bewältigen werden.

Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

Wir müssen, was die Aufklärung angeht, noch weiter in die Breite gehen und ­– wie bereits begonnen – auch die elektronischen Medien verstärkt einsetzen, um die nachwachsenden Generationen besser zu informieren. Wir müssen uns aber auch im Klaren sein, dass einige Bereiche der Gesellschaft damit nicht erreicht werden. Auch mit der Diskriminierung, sei es in der eigenen Familie oder am Arbeitsplatz, müssen wir umgehen und die Betroffenen unterstützen.

In der letzten Legislaturperiode waren Sie als Haushaltspolitiker auch für den Etat des Ministeriums für wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit zuständig. Nimmt Deutschland seine Verantwortung für die von Aids besonders stark betroffenen Entwicklungsländer ausreichend wahr?

Wir haben, was die Dritte Welt angeht, eine große Verantwortung, und um Ihre Frage unmissverständlich zu beantworten: Der deutsche Beitrag zum Globalen Fonds muss dringend aufgestockt werden. Ich hatte in der letzten Legislaturperiode deshalb auch immer wieder in den Haushaltsberatungen beantragt, das finanzielle Engagement zu verdoppeln. Ich bin durchaus zuversichtlich, dass wir 2015 das Millenniumsziel tatsächlich auch schaffen werden, nämlich 0,75 % des Bruttoinlandsproduktes als Beitrag zum Fonds zu leisten – so wie es viele andere Länder bereits längst tun.

Vielen Dank für das Gespräch!


Die Broschüre „Solidarität! HIV/Aids geht uns alle an“, unter anderem mit Beiträgen von Petra Pau, Diana Golze, Sahra Wagenknecht und Katja Kipping, kann per E-Mail angefordert oder als PDF-Datei abgerufen werden.

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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