KALENDERBLATT

„Kein Laster und kein Verbrechen“

Von Axel Schock
Magnus Hirschfeld (1868-1935) gilt als einer der entscheidenden Mitbegründer der deutschen Sexualwissenschaft und der deutschen Schwulenbewegung, aber auch als engagierter sozialdemokratischer Reformpolitiker. Am 14. Mai jährt sich sein Geburts- und Todestag. Ein Kalenderblatt von Axel Schock.

Magnus Hirschfeld, 14. Mai 1868-14. Mai 1935. Foto: Archiv der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Berlin

Man kann sich nur schwer vorstellen, was in Magnus Hirschfeld an jenem Maitag des Jahres 1933 angesichts dieser Bilder vorgegangen sein mag. In einem Pariser Kino sieht er einen Wochenschaubericht aus Berlin: Auf dem Opernplatz werfen Nationalsozialisten Bücher ins Feuer. Werke von Thomas Mann und Sigmund Freud, aber auch die Bibliothek jenes Instituts für Sexualwissenschaft, das Hirschfeld gegründet und geleitet hat, gehen dort in Flammen auf. Drei Jahre zuvor war der jüdische Sexualwissenschaftler von Berlin aus zu einer Vortragsreise in die USA aufgebrochen, nicht ahnend, dass dies der Beginn einer langen Weltreise und seines Exils werden würde.

„… eine einzige Brutstätte von Schmutz und Sudelei“

Wenige Tage vor besagtem Maitag hatten Mitglieder des „Kampfausschusses der Deutschen Studentenschaft“ in SA-Uniformen das Gebäude in Berlin-Tiergarten gestürmt und Bilder, Bücher und Akten geplündert und vernichtet. „Dieses Institut, das sich ein wissenschaftliches Mäntelchen umzuhängen versucht hat“, heißt es am Tag nach der Plünderung in Goebbels Kampfblatt Der Angriff, „war eine einzige Brutstätte von Schmutz und Sudelei gewesen.“ Als Jude, Homosexueller und Sozialist war Hirschfeld ein besonderer Dorn im Auge der Nationalsozialisten. Symbolisch zerstört wird nicht nur das Lebenswerk Hirschfelds. Er selbst wird in diesen Scheiterhaufen geworfen. „Der Kopf einer zerschlagenen Büste stak auf einer langen Stange, die, hoch über der stummen Menschenmenge, hin und her schwankte“, beschreibt der Augenzeuge Erich Kästner die Szenerie. Der Büstenkopf stellt Magnus Hirschfeld dar.

Das von Bomben zerstörte Institut für Sexualwissenschaft 1945. Foto: Schwules Museum Berlin

Das Vernichtungswerk der Nazis war geradezu perfekt. Das Institut wurde geschlossen und geräumt, Hirschfelds Bücher aus den öffentlichen Bibliotheken entfernt. Zwei Jahre später stirbt Hirschfeld im Exil im südfranzösischen Nizza. Es ist sein 67. Geburtstag. „Er starb als Geächteter, arm, in der Fremde. Aber er starb schön; einen leichten, fast heiteren Tod“, berichtet sein Mitarbeiter Kurt Hiller. „Morgens nahm er noch fröhlich Geburtstagsglückwünsche entgegen, dann ging er spazieren, wollte einen erkrankten Kollegen besuchen; im Vorgarten des Hauses sank er bewusstlos zusammen, um nicht wieder aufzuwachen.“

Kein einziger Nachruf erinnerte damals an den Sexualwissenschaftler. Sein Name, nur wenige Jahre zuvor auch in der Allgemeinbevölkerung derart bekannt, dass man sogar ein populäres satirisches Chanson („Der Hirschfeld kommt“) über ihn verfasste, war von den Nationalsozialsten aus dem öffentlichen Bewusstsein getilgt worden. Das Vergessen hielt bis lange nach dem Kriege an, allenfalls einer kleinen Fachöffentlichkeit war Hirschfeld noch ein Begriff. Die wenigen Spuren seines Lebens und vor allem seines Werkes wurden erst ab den 70er Jahren gesichert und erforscht. Man belebte damit die Erinnerung an einen Mann, der vor allem für die deutsche Schwulenbewegung Bedeutendes geleistet hat.

„Kein Laster und kein Verbrechen“

Nicht weniger als die „Erforschung des gesamten menschlichen Geschlechts- und Liebeslebens“ und zugleich die „Nutzbarmachung dieser Forschung für die Gesamtheit“ hatte sich Hirschfeld als Aufgaben für sein Institut für Sexualwissenschaft gestellt. Der Forschungseifer des 1868 geborenen Hirschfeld, der einer jüdischen Medizinerfamilie aus Kolberg entstammte, war tatsächlich unermüdlich. Sein Institut, in dem mehr als zwanzig Mitarbeiter beschäftigt waren, verband Forschung und Dienstleistung. Angeboten wurden persönliche Beratung und öffentliche Vorträge zu Geschlechtskrankheiten, Abtreibung und Empfängnisverhütung. Hirschfeld betrieb auch die erste Eheberatungsstelle Deutschlands.

Hirschfelds Bronzebüste überstand die Bücherverbrennung 1933. Foto: Schwules Museum Berlin

Ganz wesentlich in seinem Lebenswerk ist jedoch sein Engagement für die Emanzipation der Homosexuellen. Bereits 1896 veröffentlichte er – damals noch unter Pseudonym – die kleine Broschüre „Sappho und Socrates“. Sein primäres Ziel war die Abschaffung des Anti-Homosexuellen-Paragrafen 175 des Reichs-Strafgesetzbuchs.

Hirschfeld fand Mitstreiter, und am 15. Mai 1897 trafen sich in Berlin-Charlottenburg unter anderem der Leipziger Verleger Max Spohr, der ehemalige Offizier Josef von Bülow und der Jurist Eduard Oberg zur Gründung des „Wissenschaftlich Humanitären Komitees“ (WhK). Programmatisch formulierten sie ihre Aufgabe, „aufgrund sichergestellter Forschungsergebnisse und der Selbsterfahrung vieler Tausender endlich Klarheit darüber zu schaffen, daß es sich bei der Liebe zu Personen des gleichen Geschlechts, der sogenannten Homosexualität, um kein Laster und kein Verbrechen, sondern um eine von der Natur tief in einer Anzahl von Menschen wurzelnde Gefühlsrichtung handelt“. Dieser Tag gilt heute als die Geburtsstunde der Schwulenbewegung, des modernen, um Gleichberechtigung und Akzeptanz kämpfenden Homosexuellen.

Die Erfolge des WhK jedoch blieben trotz beharrlicher Bemühungen bescheiden. Eine Resolution zur Abschaffung des § 175 unterzeichneten zwar prominente Persönlichkeiten wie Gerhard Hauptmann, Rainer Maria Rilke, August Bebel und Thomas Mann, zu Fall bringen konnte man diese Strafrechtsbestimmung damit aber nicht. Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten waren alle Emanzipationsversuche gescheitert, der Paragraf wurde verschärft, Tausende Homosexuelle verhaftet und in Konzentrationslager geschickt.

Der „Fluch der Natur“

Hirschfeld kämpfte für die Gleichberechtigung der Homosexuellen – und verschwieg doch selbst seine Liebe zum eigenen Geschlecht. Über seine eigenen Männerbeziehungen ist nur wenig bekannt. Maßgeblich war für ihn sicherlich die Angst, durch seine öffentlich gewordene Homosexualität könnte er sein wissenschaftliches Renommee einbüßen. Als Arzt wohlhabender Patienten, aber auch als Gutachter bei Gerichtsprozessen verdiente Hirschfeld hauptsächlich sein Geld, das er wiederum für den Betrieb seines Instituts einsetzte. Hirschfeld war allerdings auch so populär, dass sein Name zur Werbung für ein Impotenz-Präparat genutzt wurde und Bücher, an denen er selbst gar nicht mitgewirkt hatte, allein durch seinen empfehlenden Namen auf dem Cover den Verkauf anregten.

Hirschfeld operiert: Szene aus Praunheims Film „Einstein des Sex“. Foto: Ventura Film

Was die Entstehung und Einschätzung der Homosexualität betrifft, hat Hirschfeld seine Haltung immer wieder verändert. Mal ist sie gleichberechtigt neben der Heterosexualität zu sehen, mal spricht er resigniert von einem „Fluch der Natur“ und hofft auf Mitleid für die Betroffenen. Zu seinen Irrungen gehört auch, dass er zeitweilig die Ansicht vertrat, Homosexuelle könnten auf chirurgischem Wege „umgedreht“ werden. Hirschfeld schickte dazu Schwule zu einem Wiener Mediziner, der ihnen die Hoden entfernte und stattdessen Testikel von heterosexuellen Männern einpflanzte. Die Patienten blieben zwar weiterhin homosexuell, aber waren fortan verstümmelt.

In seinem zweiten Band der „Sexualpathologie“ (1918) gibt Hirschfeld der Hoffnung Ausdruck, „daß es der wissenschaftlichen Forschung im Verein mit der ärztlichen Kunst doch noch einmal möglich sein wird, das Triebleben durch Regulierung der inneren Sekretion völlig in die gewünschte Bahn zu lenken“. Für Manfred Herzer, der 1993 eine verdienstvolle Biografie vorlegte, zeigt sich hier die Grenze der Hirschfeldschen Auffassung von Schwulenemanzipation: „Er nimmt sein Konzept von Gleichheit und Freiheit für Homo- und Heterosexuelle in wesentlichen Teilen zurück und kapituliert vor der übermächtigen Normalität.“

Hirschfeld und sein Lebensgefährte Tao Li. Foto: Archiv der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Berlin

Hirschfelds Leistung als Kämpfer für die Homosexuellen-Emanzipation bleibt davon unberührt. Auf seine Weise war Hirschfelds Werk und sein Name, trotz aller Bemühungen, von den Nazis doch nicht gänzlich zu eliminieren. Selbst seine Bronzebüste hat das Feuer im Scheiterhaufen der Bücherverbrennung 1933 überstanden. Ein Berliner Straßenfeger, der tags darauf mit den Aufräumarbeiten beschäftigt war, nahm die rauchgeschwärzte Plastik an sich und wickelte sie in eine Pferdedecke. Jahrzehntelang verwahrte er das Fundstück, nichtsahnend, wen es darstellt. Erst in den 80er Jahren gelangte die Büste in den Besitz der Berliner Akademie der Künste, eine Replik befindet sich heute in der Sammlung des Schwulen Museums.

An Hirschfelds heutigem Geburts- und Todestag veranstaltet die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld anlässlich der ersten Magnus-Hirschfeld-Tage in der Neuen Synagoge Berlin einen Festakt zu Ehren ihres Namensgebers.

 

1 Kommentare

Rosa von Zehnle 14. Mai 2012 19:55

Leipzig hat sie natürlich auch, die
1. Magnus-Hirschfeld-Tage in Leipzig 2012
Unser Programm:

>>> 14.5. >>> Hirschfeld-Laudatio & „Anders als die Andern“
Erster Film zum HS-Thema (Rupfertum), D 1919

>>> 15.5. >>> „Dr. Magnus Hirschfeld: Sein Leben und Werk“
Vortrag von Dr. B. Rauscher … anschließend:
„Was muß das Volk vom dritten Geschlecht wissen“
Hörgenuß der Hirschfeld´schen Aufklärungsschrift

>>> 16.5. >>> NEU-Edition der 24 Bände der Jahrbücher
Rosa von Zehnle stellt das Großprojekt näher vor
„Der plötzliche Tod des reichsten Deutschen“
Hörgenuß aus Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen

>>> 17.5. >>>„Schwuler Mut: 100 Jahre Schwulenbewegung“
Film von Rosa von Praunheim über Hirschfeld, D 1998

Weitere Infos hier:
http://www.rosa-archiv.com/archiv/aktuelleinfos/-1-hirschfeld-tage-2012/

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