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Trauer in Stein

Von Axel Schock
Namen und Steine Kassel
„Namen und Steine“ vor dem Kasseler Fridericianum (Foto: Susanne Trappmann)
„Namen und Steine“: Um an Menschen zu erinnern, die an Aids gestorben sind, wurde vor 25 Jahren anlässlich der „documenta“ in Kassel ein städte- und länderübergreifendes Kunst- und Gedenkprojekt geschaffen.

Mancher, der die breite Freitreppe ins Fridericianum, den historischen Kasseler Museumsbau, erklimmt, wird den kleinen Unterschied in der Pflasterung vielleicht gar nicht so schnell wahrnehmen. Die Steine entlang der untersten Stufe sind aus anderem Material. Vor allem aber sind in die meisten von ihnen Namen eingraviert. Es sind die Namen prominenter bildender Künstler wie Keith Haring und Robert Mapplethorpe, von Musikern, darunter Miles Davis, Freddie Mercury und Liberace, wie auch von Schriftstellern und Schauspielern, etwa Rock Hudson, Kurt Raab, Klaus Schwarzkopf und Brad Davis.

„Namen und Steine“ in Kassel
„Namen und Steine“ in Kassel (Foto: Susanne Trappmann)

Am 1. Juni 1992 hatte der Berliner Konzeptkünstler Tom Fecht zunächst damit begonnen, die vorhandene Bepflasterung zu entfernen, um an den Folgetagen etwa 250 neue Steine in den Boden einzulassen. Rund 75 davon sind beschriftet, jeder einzelne erinnert an einen an Aids verstorbenen Kunstschaffenden. Einen Monat später, anlässlich des Christopher Street Days, wurde die Installation in Zusammenarbeit mit der Kasseler Aidshilfe und dem örtlichen Gesundheitsamt um Namenssteine für an Aids Verstorbene aus der Region ergänzt.

Dieser Kasseler „DENK-RAUM“, wie Tom Fecht seine Installation nennt, war zugleich der Auftakt zu einem Netz aus ähnlichen Erinnerungsorten in zuletzt 23 deutschen Städten – von Hamburg über Münster bis Weimar und Karlsruhe. Weitere entstanden in Zürich, Riga und Paris.

„Namen und Steine“: Persönliche und kollektive Erinnerung

An all diesen Orten erinnern die auf gleiche Weise mit Laser-Schleiftechnik beschrifteten Steine an Prominente wie an unbekannte Menschen, die an den Folgen von Aids gestorben sind. An Menschen aus der jeweiligen Stadt, aber auch an solche aus anderen Ländern und von anderen Kontinenten, deren Namen gleichermaßen stellvertretend für die globale Dimension der Epidemie stehen.

„Bewusst unspektakuläre Arbeiten, die Solidarität fordern“

In Hamburg verlegte Tom Fecht im Stadtviertel St. Georg die Steine zu einer Windrose angeordnet in den Bürgersteig vor der Dreieinigkeitskirche; in Wuppertal in direkter Nähe des Willy-Brandt-Platzes fügen sie sich zu einem Quadrat. Für die Akademie Waldschlösschen wiederum wurde auf einer Anhöhe eine Mauer aus Pflastersteinen errichtet. Die dort eingefügten Namenssteine erinnern an die verstorbenen Aktivst_innen und Mitarbeiter_innen, die dem schwulen Tagungshaus nahestanden beziehungsweise bei den dortigen Positiventreffen engagiert waren.

Fechts „Namen und Steine“-Installationen sind „bewusst unspektakuläre Arbeiten“, die „persönliche und kollektive Erinnerung ermöglichen, Solidarität fordern und an die Notwendigkeit zur Prävention erinnern“, formulierte es der Vorstand der Deutschen AIDS-Stiftung Dr. Ulrich Heide einmal.

Gleichzeitig sind dies „Orte, an denen sich Aids und Kunst begegnen, berühren, an denen Menschen sich treffen, die teils stärker vom Thema Aids, teils stärker von ihrem Kunstinteresse bewegt werden.“

Die verwendeten Steine, sogenannte Katzenköpfe, hat Tom Fecht aus ganz Europa zusammengetragen, sie dienten bereits als Pflastersteine zur Befestigung von Straßen und Plätzen. Sie ähneln sich stark, nicht zuletzt durch die einheitliche Beschriftung.

Zugleich aber zeigen sie sehr individuelle Züge, unterscheiden sie sich doch in der handwerklichen Fertigung, durch ihre Form und Färbung. Aber auch Witterung und Abnutzung haben unterschiedliche Spuren auf der Oberfläche hinterlassen.

Zwischen Sichtbarkeit und Anonymität

Mögen die Steine manchem auch steril und trotz der Handfertigung zu seriell vorkommen: Viele von ihnen erzählen dennoch sehr persönliche Geschichten, und sie erzählen von dem Umgang der Hinterbliebenen mit der Krankheit.

„Immer mehr starben, für angemessene Trauer blieb oft kaum mehr Zeit“

Viele der von Privatpersonen zum Gedenken an ihre Freund_innen oder Lebenspartner_innen in Auftrag gegebenen Steine tragen lediglich den Vornamen – beispielsweise, weil die Todesursache geheim bleiben soll oder weil die Blutsfamilie die Nennung des Nachnamens verboten hat. In einigen wenigen Fällen ist der Wunsch nach Anonymität so groß, dass die Steine verkehrt herum eingesetzt wurden, sodass die Beschriftung nicht sichtbar ist.

Namen und Steine Berlin
Offenes Quadrat I, Berlin (Foto: Deutsche AIDS-Stiftung)

Anfang der 1990er-Jahre, als Tom Fecht sein Projekt entwickelte, waren die Menschen in besonders stark von Aids betroffenen Communities von der Dynamik der Krankheit zunehmend überfordert. Immer mehr starben, für eine angemessene Trauer blieb oft kaum mehr Zeit, oder es gab keinen Ort dafür, weil beispielsweise der geliebte Freund von der Familie in einer anderen Stadt beigesetzt wurde.

Fechts „Namen und Steine“ war nur einer der künstlerischen Versuche in den 1990er-Jahren, öffentliche Orte der Erinnerung und des Gedenkens zu entwickeln, die stets auch den Charakter von Mahnmalen und Gedenkstätten einnahmen.

Kritik blieb nicht aus

Ob die handgefertigten Gedenktücher, die sogenannten „Quilts“, der Trauerhain in Nürnberg oder Fechts Installationen: im gleichen Maße, wie diese Projekte die Bedürfnisse vieler Menschen erfüllten, stießen sie – bei einem derart emotionalen Thema wenig verwunderlich – auch auf Kritik.

Für den schwulen Kurator und Kunstvermittler Frank Wagner etwa drohte „die an sich gut gemeinte Aktion“ durch „ästhetische und politische Überfrachtung zum Kunstspektakel abzugleiten“. Anderen war unbehaglich dabei, dass das Andenken der Toten im Wortsinne mit Füßen getreten wird. Eine Kritik übrigens, die auch an den „Stolpersteinen“ des Kölner Künstler Gunter Demnig geübt wird, mit denen er an die Namen von Holocaust-Opfern erinnert.

„Ein nomadisierendes Gedächtnis“

Tom Fecht versteht seine Gesamtinstallation als „ein nomadisierendes Gedächtnis“, als „mobiles Denkmal, das bis zur Jahrtausendwende ein Nomadenleben führt“. Tatsächlich wurden ab 2000 wie geplant keine neuen Installationen mehr eingerichtet.

An vielen Orten aber werden die vorhandenen Stätten noch von örtlichen Aidshilfen betreut und regelmäßig weitere Namenssteine verlegt. In Braunschweig beispielsweise, wo sich der dortige „Epitaph I“ an der Längsseite der Martinikirche befindet, wird dieses Ritual alljährlich mit einer Gedenkandacht verbunden.

200 Euro betragen die Kosten für einen solchen Namensstein; einen Anteil davon erhalten die lokalen Aidshilfen, die sich vor Ort auch darum kümmern, dass er fachgerecht eingesetzt wird. Rund 25.000 dieser steinernen Erinnerungen wurden in den 25 Jahren seit Einrichtung der ersten Installation in Kassel mittlerweile verlegt.

Eine Übersicht aller Installationen sowie Hinweise dazu, wo und wie neue Steine für Verstorbene hinzugefügt werden können, finden sich auf der Webseite der Deutschen AIDS-Stiftung.

Weiterführende Beiträge zum Thema auf magazin.hiv:

Orte des Gedenkens und kollektiven Erinnerns

Zwölf Hektar Gedenken – Über das Project AIDS Memorial Quilt

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