In Russland können politisch aktive NGOs, die Gelder aus dem Ausland bekommen, als „ausländische Agenten“ registriert werden. Über die Folgen für HIV-NGOs und Unterstützungsmöglichkeiten sprachen wir mit Anna Sarang von der Andrey-Rylkov-Stiftung.

Seit 2012 gilt in Russland das „Gesetz über nicht-kommerzielle Organisationen“, mit dem die Zivilgesellschaft unter Druck gesetzt wird. Auch gegenüber HIV-Organisationen wird es durchgesetzt. Anna Sarang ist Direktorin der Andrey-Rylkov-Stiftung für Gesundheit und Soziale Gerechtigkeit, einer NGO, die sich unter anderem mit den Themen HIV, Hepatitis, Tuberkulose, Menschenrechte, Drogengebrauch und Substitution beschäftigt. Im Gespräch mit AIDS Action Europe beschreibt sie die aktuelle Lage von HIV-Organisationen in Russland – und was deren Partner im Westen unternehmen können.

Warum gibt es kaum Reaktionen von HIV- Organisationen darauf, dass einige von ihnen als ausländische Agenten bezeichnet werden?

Die Organisationen sind sehr unterschiedlich und haben dementsprechend auch unterschiedliche Positionen und Antworten auf die Durchsetzung dieses Gesetzes. Einige bekommen staatliche Mittel und wollen diese Mittel nicht verlieren. Daher lehnen sie auch internationale Gelder und international übliche Maßnahmen ab, die von den russischen Behörden nicht gerne gesehen werden, zum Beispiel Schadensminderung für Drogengebraucher oder Substitutionstherapien. Die meisten Organisationen sind in Regionen ansässig, in denen sie Einschüchterungsversuchen und Drohungen von Behörden schutzlos ausgeliefert sind. Deshalb setzen sich nicht alle aktiv für die Verteidigung ihrer Rechte ein und wehren sich gegen diese schwarzen Listen.

Wie haben Sie es geschafft, sich erfolgreich vor Gericht zu wehren? Und warum gehen andere nicht auch diesen Weg?

In Wirklichkeit gehen viele Organisationen diesen Weg. Allerdings ist es für NGOs sehr schwierig, sich vor Gericht zu verteidigen: In Russland ist die Justiz nicht wirklich unabhängig von der Regierung, und NGOs haben kein Geld für teure Anwälte. Die Rylkov-Stiftung setzt gerade ein Projekt namens „Straßenanwälte“ um, das Drogengebrauchern helfen soll. Wir werden dabei von jungen und sehr motivierten Anwälten unterstützt; derzeit arbeiten vier von ihnen für unsere Stiftung. Vor Gericht wurden wir von einer NGO namens „Club der Anwälte“ vertreten, die sich auf das Thema „ausländische Agenten“ spezialisiert hat. Sie haben das kostenlos getan und in der ersten Instanz gewonnen.

Was können die Organisationen tun?

Das Gesetz über ausländische Agenten ist schon seit einigen Jahren in Kraft. Damit NGOs ihre Arbeit fortführen und auch weiterhin Menschen helfen können, haben sie verschiedene Wege der Anpassung entwickelt und arbeiten heute anders. Das Problem ist, dass viele Geldgeber nicht zur Zusammenarbeit mit rechtlich anders organisierten Organisationen bereit sind, das heißt mit Organisationen, die keine NGOs sind. Einer der unflexibelsten Geldgeber ist heute leider der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria. Weil der sehr bürokratisch arbeitet, wird er seine Arbeit in der Region nur schwer anpassen können. Und dann gibt es noch andere Länder, die stark unter russischem Einfluss stehen, insbesondere in Zentralasien, und dort könnten durchaus ähnliche Gesetze wie das russische Gesetz über ausländische Agenten verabschiedet werden. Kurz gesagt: Nicht nur NGOs, sondern auch die Geldgeber sollten neue Formen der Unterstützung von Aktivistengruppen entwickeln, die sich in der HIV-Prävention engagieren.

Wie reagieren Ihre Klienten auf Ihren Status als ausländischer Agent? Und was halten Sie von der Berichterstattung in den Medien?

Den Klienten ist das egal. Sie haben sich daran gewöhnt, dass der Staat nicht ihr bester Freund ist. Bei den Journalisten ist das aber ein beliebtes Thema. Dadurch werden nicht nur die Schikanen gegen die NGOs, sondern auch die Probleme durch die HIV-Epidemie sichtbarer.

Welche Art von Unterstützung könnte „Europa“ hier bieten?

In den letzten Jahren sind alle internationalen Geldgeber aus Russland abgewandert. Es ist ja verständlich, dass sie keine korrupten Regierungsstrukturen unterstützen möchten. Aber warum sie auch die Unterstützung für die NGOs eingestellt haben, die wenigen Organisationen, die in diesem Feld geblieben sind und das Engagement gegen Aids weiterführen – das verstehen wir nicht. Wir stehen ohne jede finanzielle oder moralische Unterstützung da, allein gelassen nicht nur im Kampf gegen die Epidemie, sondern auch gegen eine Regierung, die den Gesundheitsschutz ihrer Bürger sabotiert. Früher hatten wir eine Schulung nach der anderen, heute ist selbst eine Basisschulung für die Sozialarbeiter unserer Organisation ein Luxus. Derzeit nehmen russische NGOs noch nicht einmal an den regionalen Treffen und Schulungen teil, die von westlichen Geldgebern finanziert werden. Man hat uns als hoffnungslosen Fall aufgegeben. Manchmal begründen westliche Geldgeber ihre Weigerung, den Kampf gegen HIV in Russland zu unterstützen, mit Sorgen um die Sicherheit der NGOs selbst. Es stimmt schon: Die Arbeit für NGOs in Russland wird immer schwieriger und gefährlicher, aber wenn sie bereit sind, mit westlichen Partnern zusammenzuarbeiten und Gelder aus dem Westen anzunehmen, dann können und müssen diese Organisationen unterstützt werden! Das ist heute die einzige Möglichkeit, wenigstens auf lokaler Ebene zur Bekämpfung der Epidemie beizutragen, Leben zu retten und den Menschen die Hoffnung zu geben, dass sie den Tag noch erleben, an dem die politische Lage in unserem Land wieder besser wird.

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