Erinnern und Gedenken

Nachruf auf Hans-Gerd Brunnert

Von Gastbeitrag
Porträt von Hans-Gerd Brunnert vor einem Bücherregal
privat
Hans-Gerd Brunnert (Foto: privat)

Ein Pionier der Aidsberatung und Angehörigenhilfe: Nach sechs Jahren des Kampfs gegen seine Krebserkrankung starb Hans-Gerd Brunnert am 28. September in Stuttgart. Er wurde 72 Jahre alt. Ein Nachruf von Wolfgang Vorhagen.

Mitbegründer der Angehörigentreffen im Waldschlösschen

Ich erinnere mich noch an unsere erste Begegnung bei der Vorbereitung des ersten Angehörigentreffen, dessen Konzept von Ulrike Sonnenberg-Schwan, Gerd und mir im Dezember 1988 in München entwickelt wurde, in der Wohnung von Julia Tröger und dem nun schon lange verstorbenen Aidsaktivisten und Filmemacher Konrad Lutz („Coming out“). Zur Tür herein kam ein adrett gekleideter Mann mit Krawatte, den ich mir zuerst nicht so recht als Teamer im damals eher alternativ aufgestellten „Freien Tagungshaus Waldschlösschen“ vorstellen konnte. Aber die Irritation wich in kurzer Zeit der gegenseitigen Sympathie und wertschätzenden Zusammenarbeit.

Fast 30 Jahre war Hans-Gerd Trainer im Dozent*innenteam der Seminarangebote für Menschen mit HIV/Aids und deren Angehörige und Partner*innen sowie dem aus diesem Projekt hervorgegangenen Hinterbliebenentreffen, die von der Akademie Waldschlösschen und der Deutschen Aidshilfe von 1989 bis 2015 durchgeführt wurden. Ebenso leitete er eine Vielzahl an Workshops bei den Bundesweiten Positiventreffen, bei den Positiven Begegnungen der DAH und in lokalen Aidshilfen und Selbsthilfegruppen. Zu seinen Themenschwerpunkte gehörten Sexualität in der Partnerschaft trotz HIV, Umgang mit den Erkrankungen infolge der HIV-Infektion, HIV und Coming Out am Arbeitsplatz, Veränderungen der Lebensperspektiven, Umgang mit Zukunftsängsten und Depressionen.

Für viele Menschen waren diese Treffen ein Stück „Zuhause“

Die Bedeutung dieser Treffen für HIV-Positive, an Aids Erkrankte und deren Partner*innen und die Hinterbliebenen kann nicht hoch genug eingeschätzt werden – gerade in einer Zeit, in der noch keine wirksame HIV-Behandlung zur Verfügung stand und sowohl die gesellschaftliche Stigmatisierung und Diskriminierung als auch die Vereinsamung von Menschen mit HIV und Aids noch unvergleichbar größer war als heute. Für viele Menschen waren diese Treffen ein wichtiger Teil ihres Lebens und ein Stück „Zuhause“.

Sicher tausende Teilnehmer*innen aus ganz Deutschland haben über die Jahre durch seine große Zugewandtheit und Kompetenz in Workshops und in Einzelberatungen den Weg aus schweren Lebenskrisen gefunden, die oft mit der HIV-Infektion und Aids-Erkrankung verbundenen sind, sowohl in der Partnerschaft als auch nach dem Tod des geliebten Menschen. Für Gerd war es wichtig, die Selbsthilfe von Partner*innen und Angehörigen von Menschen mit HIV/Aids zu stärken und dies auch immer wieder im Rahmen der Treffen zum Thema zu machen.

Die gewisse Leichtigkeit bei schweren Themen

Ein besonderes Merkmal seiner Persönlichkeit war dabei auch Gerds wunderbarer Humor, der den Ernst der oft schweren Themen der Workshops nicht schmälerte, aber dennoch der Auseinandersetzung und der Alltagsbewältigung eine gewisse Leichtigkeit verlieh. Intensive Gespräche begleiteten unsere Zusammenarbeit und Freundschaft. Gerd hatte seinen eigenen Kopf. Es gab gelegentlich Situationen, in denen wir uns im Team zusammenraufen mussten. Denn wenn es eine Schwäche bei Gerd gab, dann war es gelegentlich die, auch selbst Schwäche zu zeigen.

Gerd war für mich ein wichtiger Wegbegleiter in meiner Arbeit im Waldschlösschen, vor allem im Diskurs über das Leben mit HIV/Aids und über schwule Lebenswelten. Er war ein guter Freund, auch wenn wir uns aufgrund der räumlichen Entfernungen leider nur gelegentlich privat treffen konnten und uns eher in beruflichen Kontexten in unseren Seminaren, auf Tagungen und Kongressen oder – leider auch – auf Trauerfeiern sahen.

Die erste konfessionelle Aidsberatungsstelle Deutschlands

Aufgewachsen in Beckum im Münsterland verbrachte Hans-Gerd Brunnert die meiste Zeit seines Lebens in der schwäbischen Metropole, wo er hauptberuflich seit 1984 in der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart e.V. (eva) tätig war. „Mit Pioniergeist legte Hans-Gerd Brunnert den Grundstein für den Krisen- und Notfalldienst und rief die erste konfessionelle Aidsberatungsstelle Deutschlands ins Leben, die er bis zum Ende seines Arbeitslebens in der eva leitete“, heißt es im Nachruf der eva.

Hier war er nicht nur Unterstützer für unzählige Ratsuchende, sondern auch kreativ bei den Angeboten für Menschen mit HIV. So gründete Gerd in der Beratungsstelle z. B. das Café Tocchetto, dass für viele HIV-Positive jahrelang eine erste Anlaufstelle zur Klärung alltäglicher und existentieller Fragen war, auch durch eine Schuldnerberatung. Viele Veranstaltungen hat Gerd in der eva mit aktuellen Themen und unterschiedlichen Dozent*innen durchgeführt, über die wir uns regelmäßig austauschten – auch um sie uns gegenseitig zu empfehlen.

So erfolgreich wie aufsehenerregend war seine Aktion zum Erhalt der Beratungsstelle in der eva: Weltweit schrieb er an Promis und Politiker*innen mit der Bitte, einen persönlichen Gegenstand, ein Kleidungsstück oder ähnliches zur Versteigerung zur Verfügung zu stellen. Unter den Spenden waren ein Accessoire von Liz Taylor, ein Kleidungsstück von Vivian Westwood und ein Anzug vom Udo Jürgens. Auch prominente deutsche Politiker*innen wie Peer Steinbrück (SPD) machten mit.

Kreatives und vielseitiges Engagement

Für viele Menschen mit HIV war die von Gerd durchgeführte „Grenzwanderung“ 2013 von Stuttgart über den Schwarzwald bis zur französischen Grenze ein besonderes Erlebnis und auch eine Herausforderung, um zu lernen, sich mehr zuzutrauen und an die eigenen Grenzen zu gehen. Es gab begeisterte Rückmeldungen auch von Teilnehmenden im Waldschlösschen.

Nach seinem Ausscheiden aus der eva engagierte sich Gerd trotz seiner ausgebrochenen Krebserkrankung immer noch in bürgerschaftlichen Kontexten und für Geflüchtete. Er gestaltete regelmäßige Gruppenführungen zur Historie von Bad Cannstatt, seinem Stuttgarter Stadtteil, entwickelte ganze Serien von kunstvoll gestalteten Postkartenmotiven und stand weiterhin als Berater und Coach vor allem für Klient*innen mit wenig Geld zur Verfügung.

Porträt Hans-Gerd Brunnert im schwarzen Hemd
privat
Hans-Gerd Brunnert (Foto: privat)

Gerd hinterlässt seinen Mann Horst Ruppricht, mit dem er 40 Jahre gemeinsam durch dieses Leben ging. Horst gilt meine besondere und herzliche Anteilnahme.

Gerds unnachahmliches herzliches Lachen, seine direkte und respektvolle Art der Kommunikation, sein unbedingtes Einfühlen in die oft prekäre Situation seines Gegenübers bleiben ebenso in Erinnerung wie die letzten Abende bei den Seminaren im Waldschlösschen: Für die Auftritte des Teams und der Teilnehmenden warf auch Gerd sich in kreative Verkleidungen und genoss seine besonderen Auftritte.

Gerd, wir vermissen dich sehr!

Wolfgang Vorhagen, Berlin

1 Kommentare

Ralf 12. Oktober 2024 0:03

[Danke für diesen Nachruf, Wolfgang. Ich möchte hier in leicht abgewandelter Form teilen, was ich gegenüber Freunden geteilt habe und Horst ganz viel Kraft wünschen für die schmerzhafte Zeit des Abschiednehmens]

Lieber Gerd,

ich habe Dich mitten in der AIDS-Krise kennengelernt, als ich noch in der AIDS-Hilfe Stuttgart e.V. hier insbesondere in der RAINBOW-Redaktion, aktiv war. Wir waren damals konfrontiert mit der Erkrankung und dem viel zu frühen Tod vieler Freunde und Partner. Nun hat es Dich selbst wegen einer anderen Krankheit erwischt. In den letzten Jahren sind wir uns kaum noch begegnet. Bis ich nun von Deinem Mann diese traurige Nachricht gelesen habe.

Du warst in dieser Zeit mit Deinem Engagement in der AIDS-Beratungsstelle der Evangelischen Gesellschaft eine wichtige Stütze für viele männerliebende Männer und Angehörige, die angesichts der damaligen Situation verzweifelt und völlig überfordert waren.

Lass Dir dafür herzlich Danke sagen. Wo immer Du auch sein magst, in unserer Erinnerung lebst Du weiter. Schön, dass es Dich gegeben hat!

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