Rückblick: Gedenktag verstorbener Drogengabhängiger
PADERBORN
Die heroingestützte Behandlung öffnet neue Wege zurück in das Arbeits- und Familienleben.
Anlässlich des bundesweiten Aktions- und Gedenktages hat sich die AIDS-Hilfe Paderborn wieder mit dem Elternselbsthilfekreis und Einrichtungen der Drogenhilfe Paderborn zusammengeschlossen. Mit dabei waren das Kontaktcafé B2, die substitionsbegleitende Einrichtung „Regenbogen“ von „Kim – Soziale Arbeit“, die Drogenberatungstelle und die Anlaufstelle Lobby des Caritasverbandes sowie die Entgiftungsstation Nadelöhr der LWL-Klinik. Ziel der Aktion war es, mit Passanten ins Gespräch zu kommen und über die Arbeit der Drogenhilfeeinrichtungen in Paderborn zu informieren.
Trotz vielfältiger Hilfsangebote sterben auch heute noch Menschen, die immer auch Kinder, Partner oder Eltern sind, an den Folgen ihrer Abhängigkeit, oder den damit zusammenhängenden lebensfeindlichen Umständen. Umso mehr begrüßten die Veranstalter des Gedenktages in Paderborn die Entscheidung des Bundestages Ende Mai 2009, synthetisch hergestelltes Heroin (Diamorphin) für Schwerstabhängige in die Regelversorgung aufzunehmen.
Diamorphin ermöglicht Rückkehr ins Arbeits- und Familienleben
„Die Arzneimittelstudie zur heroingestützten Behandlung hat gezeigt, dass sogar Menschen, die bisher mit keiner der traditionellen Hilfs- und Behandlungsmöglichkeiten nachhaltig erreicht werden konnten, unter der kontrollierten Heroinvergabe einen Weg zurück in das Arbeits- und Familienleben finden können“, berichtet Alexandra Keller (Drogenberatungsstelle).
In Paderborn und vielen anderen Städten gehört Diamorphin zwar noch nicht zur Regelversorgung, aber wer Hilfe sucht, findet im breiten Netz der Drogen- und Aidshilfeeinrichtungen in Paderborn auch ganz sicher seinen Ansprechpartner. Diese Erfahrung konnten auch etliche Angehörige machen, die sich ganz gezielt hilfesuchend an den Informationsstand wandten und die unkomplizierte Gelegenheit für ein erstes Gespräch dankend und erleichtert nutzten. Insgesamt blickt die Basisgruppe auf einen Nachmittag mit viel positiver Resonanz zurück, teils neugierig, teils nachdenklich, manchmal ausführlich, teils halb im Vorübergehen.
Mirjam Vogt , AIDS Hilfe Paderborn e.V.
OSNABRÜCK
Bundesweiter Gedenktag für verstorbene Drogenabhängige
Die Gertraudenkirche war überfüllt!
Seit dem Jahr 2002 arbeitet das Drogenhilfenetzwerk Osnabrückgemeinsam an Aktionen zum Gedenktag. Das Netzwerk besteht aus der Aids-Hilfe Osnabrück e.V., Ambulanter Justizsozialdienst Niedersachsen, AMEOS Klinikum Osnabrück (FB Suchtmedizin), Caritasverband, Diakonisches Werk, ELROND Niedersachsen gem.e.V., Elternkreis Caritas, Eltern helfen Eltern und dem HIV-Seelsorger Pastor Heyl.
Die Aufgabe des Drogenhilfenetzwerkes besteht immer unter anderem immer wieder aufs Neue darin, auf Missstände in der Drogenpolitik sowie auf mangelnde soziale Integration hartdrogenabhängiger Menschen hinzuweisen.
Wer von Heroin abhängig ist, leidet nicht nur an der körperlichen Abhängigkeit beziehungsweise den ständig drohenden Entzugssymptomen. Der hohe finanzielle Druck erfordert ständig neue Geldquellen.
Betroffene werden in Illegalität gedrängt
Der Bedarf zwingt die Betroffenen in die Illegalität, da zwar der Konsum straffrei ist, der Handel aber verboten. Das soziale Umfeld ändert sich. Aus Scham und Schuldgefühlen meiden viele mit der Zeit den Kontakt zur Familie und zu Freunden. Oftmals sind die einzigen Gesprächspartner in der Szene zu finden, was vielen den Ausstieg schwerer macht, da er den Verlust der einzig verbliebenen Vertrauten bedeuten würde.
Aktuelles Thema war in diesem Jahr die diamorphingestützte Behandlung schwerstabhängiger Menschen. Pünktlich zum Gedenktag wurde der Gesetzesentwurf für die sogenannte „Originalstoffvergabe“ rechtsgültig. Offen ist allerdings nach wie vor, in welcher Form und von wem diese Behandlung in Osnabrück umgesetzt wird.
Mit dieser Behandlungsform wird man der Gruppe der Schwerstabhängigen ein realitätsnäheres Angebot geben und gleichzeitig dem Schwarzmarkthandel, der Beschaffungskriminalität und dem immer wieder zu beklagenden Tod durch Drogen entgegenwirken. In den letzten 12 Monaten sind 11 Drogen gebrauchende Menschen im Alter von 32 bis 50 Jahren allein in Stadt und Landkreis Osnabrück verstorben.
Der Gedenkgottesdienst in der Gertrudenkirche wurde mit 80 bis 100 Menschen gefeiert. Die Kirche war überfüllt. Durch die Teilnahme von Menschen aus allen Bereichen wie Politik, Profis aus sozialen Einrichtungen, Angehörigen und Drogengebrauchern wurde die Veranstaltung zu einem Ort der Begegnung.
Uwe Schwichtenberg, leitender Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie im Ameos-Klinikum, fand tröstende Worte und betonte den Wert des Gedenksteins als Anlaufpunkt für Trauernde und auch als Mahnmal für die Öffentlichkeit und Betroffene.
Den Abschluss des Tages bildete ab 18 Uhr ein Konzert der Band X-LAN im Café Kommunitas. Nachdem das Set in etwas über einer Stunde vorgetragen worden war, wurde mit einer mitreißenden Folkversion eines bekannten Rockklassikers ein fulminanter und krönender Abschluss gegeben.
Doris Kroninger, Aids-Hilfe Osnabrück
HAGEN
Schweigemarsch durch die Innenstadt
Der Arbeitskreis „Gedenktag“ in Hagen besteht aus der AIDS-Hilfe Hagen, der kommunalen Drogenhilfe, der Fachklinik „Im Deerth“, der Adaptionseinrichtung „Södingstraße“, der Fachklinik „Therapiezentrum Vorhalle“, der Selbsthilfegruppe „Kein Konsum“ sowie dem Elternkreis drogenabhängiger Menschen (ARWED). Er beteiligt sich schon seit vielen Jahren mit eigenen Veranstaltungen am Gedenktag für verstorbene Drogenabhängige.
Als Zeichen der Mahnung und Aufforderung an die Drogenpolitik und Drogenhilfe, die verinnerlichten Wert- und Moralvorstellungen zu überprüfen, wurde in diesem Jahr ein Schweigemarsch durch die Hagener Innenstadt durchgeführt.
Mitarbeiter der beteiligten Institutionen und Klienten trugen Holzstelen, die in jedem Jahr angefertigt werden. Auf ihnen sind die Vornamen der Drogentoten zu lesen. Um die Hagener Bürger auf die Situation Drogen konsumierender Menschen aufmerksam zu machen, wurden Flyer verteilt.
DUISBURG
Tag der Erinnerung
Aids-Hilfe Duisburg/Kreis Wesel verweist mit Sorge auf die steigende Anzahl der Drogentoten
26 rote Grablichter sind gegenüber dem Forum am kleinen Stand von Rolf Ringeler und seinen Mitarbeitern platziert. Etwas abseits steht ein weißes Grablicht. „Eine Passantin fragte, ob sie das dazustellen dürfte“, so der Vorstandsvorsitzende der Aids-Hilfe Duisburg/Kreis Wesel. Wahrscheinlich habe sie jemanden in der Familie, der auch betroffen ist, sagt er nachdenklich.
Erinnern sollen die Grablichter an die 26 Drogenopfer, die Duisburg im Jahr 2008 verzeichnen musste, seit 1999 die zweithöchste Zahl. „Die Anzahl der Drogentoten in NRW wird auch weiter steigen“, meint Ringeler. Einen Grund sieht der 55-Jährige in der Aufhebung der Eigenbedarfsgrenze für sogenannte „harte Drogen“ wie Heroin, die zuvor 0,5 Gramm betrug. Die Betroffenen seien „kriminalisiert“ worden, und die Szene würde sich nun zunehmend in private Kreise zurückziehen. Dort sei sie für Hilfe kaum noch erreichbar.
Eine Mitschuld tragen für ihn auch die Ordnungskräfte, die versuchen würden, die Betroffenen – teilweise auch die Streetworker – aus der Innenstadt zu verdrängen. „Die passen denen wohl nicht ins Bild des Einkaufparadieses“, sagt er verärgert. „Suchtkranke sind ein Teil der Gesellschaft, kein Abschaum“, fügt er hinzu. Trotz aller Aufklärungsmaßnahmen seien Drogen und Aids immer noch Tabu-Themen, die Unwissenheit groß. Dabei könnte es jeden treffen. „Viele trauen sich noch nicht mal an unseren Info-Stand, aus Sorge, man könne falsche Schlüsse ziehen“, meint Ringeler. Man würde dennoch am Ball bleiben und versuchen, die Menschen aufzuklären.
Suchtkranke sind Teil der Gesellschaft
Die aktuell in der Diskussion befindliche Legalisierung von Heroin für Schwerstkranke sieht er dabei positiv. Drogenmissbrauch könne man nicht durch Verbote und Abschreckung eindämmen. „Hier muss man die Ideologie draußen lassen, es geht darum, den Menschen zu helfen“, sagt er. Auch die übrige Gesellschaft hätte etwas davon, da die Schwerstabhängigen nicht mehr auf die Beschaffungskriminalität zurückgreifen müssten, um ihre Sucht zu befriedigen. Es gäbe weniger Gefängnisinsassen und Drogentote. Zudem würde der Schwarzmarkt eingedämmt.
WAZ 22.07.09 (gekürzter Text) Anna Moldenhauer
BRAUNSCHWEIG
Gedenk-Gottesdienst für die Drogentoten
Forderung: Gesetz zur Vergabe von synthetischem Heroin auch hier umsetzen
Mit einem emotionalen Gottesdienst in der St. Magni-Kirche wurde am 21.07.09 der Drogentoten in Braunschweig gedacht. Mindestens zwei Braunschweiger sind in diesem Jahr bereits an den Folgen des Konsums harter Drogen gestorben.
„Die Dunkelziffer in diesem Bereich ist sehr hoch“, betont Stephanie Schmidt von der Aids-Hilfe. Als Drogentote gingen nur jene in die Statistik ein, die mit der Heroin-Spritze im Arm gefunden würden. Viele Drogenkonsumenten stürben jedoch an den Folgen von Hepatitis C und Aids oder an den Folgen der Einnahme von zusätzlichen Medikamenten.
Zahl der Drogentoten steigt wieder
Die Zahl der Drogentoten nehme inzwischen wieder zu. Waren es bundesweit 1.394 Tote im Jahr 2007, zählte die Statistik von 2008 bereits 1.449 Opfer. Allein in Niedersachsen stieg die Zahl von 77 Toten in 2007 auf 97 im Folgejahr.
Der jährliche Gedenk-Gottesdienst fand in Braunschweig bereits zum zehnten Mal statt, zum achten Mal in St. Magni. Er wird von der Kirchengemeinde, der Aids-Hilfe und der Drogen-Selbsthilfegruppe JES organisiert.
„Mit diesem Gottesdienst öffnen wir uns an diesem Sonntag einem Anliegen, das Öffentlichkeit braucht. Wir wollen das menschliche Antlitz zeigen, wollen Anteil nehmen und unsere Verbundenheit zeigen mit den Toten und ihren Angehörigen“, betont Pastor Henning Böger.
HEROIN AUF KRANKENSCHEIN HÄTTE HELFEN KÖNNEN TODESFÄLLE ZU VERMEIDEN
Stephanie Schmidt , Aids-Hilfe
Neben der Diskussion um Gesetze, politische Einflussnahme und medizinische Erkenntnisse solle der Gottesdienst Drogengebrauchern, Angehörigen, Hinterbliebenen und Freunden Raum geben für ihre Erlebnisse und Gefühle.
„Wir sind froh, dass der Bundesrat in der vergangenen Woche endlich das Gesetz verabschiedet hat, das die Abgabe von Diamorphin – synthetischem Heroin – unter staatlicher Aufsicht möglich macht“, so Stephanie Schmidt. Demnach sollen Schwerstabhängige, die auf bisher verfügbare Ersatzmittel wie etwa Methadon nicht ansprechen und mindestens zwei Therapieversuche nachweisen können, Diamorphin auf Rezept erhalten können. „Für die Braunschweiger Junkies wäre dies eine wichtige Hilfe. Die Entscheidung wird Menschen, die schwerstabhängig sind, gesundheitlich helfen,
Diamorphin fördert die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben
ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben fördern und Beschaffungskriminalität senken“, sagt Schmidt. „Heroin auf Krankenschein“ könnte helfen, Todesfälle zu vermeiden. Die Aids-Hilfe und die Selbsthilfegruppe JES setzen sich dafür ein, dass auch die Stadt Braunschweig die Möglichkeit der Diamorphin-Abgabe nutzt.
Braunschweiger Zeitung 13.07.09
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