Wie erfolgreich sind spezielle HIV- und STI-Testprojekte für die schwule Community tatsächlich? Der schwule Infoladen „Hein & Fiete“ wollte das genau wissen und hat Daten zu den Nutzern seines Testangebots auswerten lassen.

„Hein & Fiete“ mit fünf haupt- und rund 80 ehrenamtlichen Mitarbeitern hat seine Räumlichkeiten mitten im schwulen Kiez von St. Georg und informiert nicht nur über schwules und bisexuelles Leben in der Stadt, sondern auch zu HIV, Safer Sex und anderen Gesundheitsthemen. Zweimal die Woche, von 16 bis 20 Uhr, kann mann sich hier beraten und auch gleich testen lassen: auf HIV und bei Bedarf auch auf Hepatitis A, B und C, ebenso auf Syphilis, Chlamydien und Tripper. Fast 1.600 Blut- und Abstrichuntersuchungen wurden so allein im Zeitraum 2011 bis 2012 durchgeführt.

Im Rahmen ihrer Masterarbeit an der Berlin School of Public Health der Charité Berlin („Community-basierte Testangebote auf HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen als ein Ansatz zum Abbau von Hemmschwellen bei der Testung von Männern, die Sex mit Männern haben“) hat Jasmin Isabelle Ort das Testangebot unter die Lupe genommen. Als Basis dienten ihr die Fragebögen, die die Klienten vor dem Beratungsgespräch ausfüllen, und die dazugehörigen Testergebnisse.

Marc Grenz, Projektleiter von „Hein & Fiete“ erläutert im Gespräch das Ergebnis dieser von ihm initiierten Studie.

Die Studie zum Testangebot von „Hein & Fiete“ kam mit Unterstützung des Robert Koch-Instituts zustande, angeregt wurde sie aber von euch. Welche Erkenntnisse wolltet ihr gewinnen?

Wir wollten wissen, welche Männer wir mit unserem Angebot tatsächlich erreichen und welche Themen heute in diesem Zusammenhang relevant sind, beispielsweise, was Risikokontakte betrifft. Das sind wichtige Informationen, die letztlich auch in unsere Primärprävention einfließen.

Viele Testwillige mit Migrationshintergrund

Gab es für euch tatsächlich überraschende Erkenntnisse?

Ja, eine große Überraschung für uns war, dass wir Männer mit Migrationshintergrund, die Sex mit Männern haben, durch unser Angebot sehr gut erreicht haben. Sie machen fast ein Viertel der Getesteten aus. Das entspricht annähernd dem durchschnittlichen Ausländeranteil in Hamburg. Im Beratungsalltag haben wir diese Quote gar nicht so wahrgenommen, wohl auch, weil viele von ihnen bereits in zweiter oder dritter Generation hier leben.

Ihr habt es nicht erwartetet, habt euch aber offenbar gezielt darum bemüht. Was macht ihr also richtig?

Dass der Anteil so hoch ist, hat sicherlich auch mit der Lage unserer Einrichtung zu tun. In St. Georg leben und arbeiten sehr viele Menschen mit Migrationshintergrund. Das heißt, die Männer unter ihnen, die Sex mit Männern haben (MSM), müssen nicht eigens in einen anderen Stadtteil fahren, um ein Testangebot wahrzunehmen.
Zudem sind in unserer Präventionskampagne auch Männer mit südländischem Aussehen und ebenso Osteuropäer vertreten. Das ermöglicht sicherlich eine leichtere Identifikation. Und dann gibt es noch eine sehr gute Durchmischung bei unseren Ehrenamtlichen. In diesem bunten Haufen sind auch viele mit Migrationshintergrund, die dann in ihren jeweiligen Szene wirken.

Und welche Defizite habt ihr festgestellt?

Leider erreichen wir Menschen mit niedrigerer Bildung nicht in dem Maße, wie wir das gern hätten. Das gilt sowohl für die Männer, die zum HIV- und STI-Test kommen, als auch für die Besetzung des Ehrenamtler-Teams. Auch die Gruppe der unter 20-Jährigen fällt vergleichsweise klein aus.

„Routinetestung“ oder „Risikosituation“?

Warum kommen die Leute zum Test?

Knapp 51 % der Klienten hatte „Routinetestung“ auf dem Fragebogen angekreuzt. An zweiter Stelle mit fast 46 % wurde eine „Risikosituation“ als Grund angegeben. Wobei Jasmin Isabelle Ort in ihrer Auswertung die Qualität speziell dieser Daten kritisch sieht. Bei einem solchen Fragenbogen, der ja als Grundlage für die Testberatung ausgefüllt und anschließend besprochen wird, werden gern auch sogenannte erwünschte Angaben gemacht. Es fällt vielen sicherlich leichter, „Routineuntersuchung“ anzukreuzen anstatt „Risikosituation“. Ähnliches gilt im Übrigen auch für die Angaben zum Drogenkonsum.

Wie schätzt du diese Zahlen ein?

Schaut man sich die erhobenen Daten an, haben wir seltsamerweise unterdurchschnittlich wenig Männer, die Drogen nehmen. Zwar gaben über 55 % an, regelmäßig Alkohol zu trinken, aber nur 4 % konsumieren Koks und Speed. Ecstasy haben gerade mal ein Prozent genannt, GBL/GBH sowie MDMA, Ketamin und Medikamente liegen sogar weit unter einem Prozent. Ich führe diese auffällig niedrigen Werte darauf zurück, dass sich die Teilnehmer nicht trauen, ihren Drogenkonsum im Fragebogen zuzugeben. In den Beratungsgesprächen ist das dann oft anders.

Ähnlich überraschend ist, wie viele Männer sich aufgrund eines geplatzten Kondoms haben testen lassen. Auch hier bin ich eher skeptisch, was die tatsächlichen Zahlen angeht, und denke, dass aus ähnlichen Gründen falsche Angaben gemacht wurden. Es ist einfacher zu sagen, dass ein Kondom gerissen ist, als zuzugeben, dass gar keines benutzt wurde.

Ein erweitertes Testangebot ist sinnvoll

Bei „Hein & Fiete“ können sich die Besucher nicht nur auf HIV, sondern auch auf andere sexuell übertragbare Infektionen (STIs) testen lassen. Wird dieses zusätzliche Angebot häufig genutzt?

Fast alle Teilnehmer haben sich neben HIV auch gleich auf Syphilis untersuchen lassen, rund zwei Drittel auf Hepatitis A und B. Bei einem Drittel wurden Rachenabstriche für eine Untersuchung auf Chlamydien und Gonorrhoe vorgenommen. Wir sind das einzige Projekt bundesweit, das kontinuierlich auf diese beiden STIs testet, und zwar mit Anal- wie auch Rachenabstrich. Die Studie ist ein Beleg dafür, dass ein solches erweitertes Testangebot bei MSM funktioniert und ein größeres Bewusstsein in der Zielgruppe schafft.

Welche Schlüsse habt ihr aus den Studienergebnissen für eure weitere Arbeit gezogen?

Zum einen, dass wir tatsächlich unsere Klientel erreichen und dass dieses Testangebot richtig ist und weiter gestärkt werden muss. Indirekt bestätigt wurde uns das seit 2010 durch die vom Robert Koch-Institut ermittelten Zahlen zu HIV-Neudiagnosen für Hamburg. Rund ein Viertel dieser Neudiagnosen bei MSM werden im Rahmen unseres Testangebots gestellt. Für mich persönlich ist die Erkenntnis sehr wichtig, dass der Schutz vor Hepatitis A und B noch zu gering ist; da muss also dringend nachjustiert werden.

Nur rund die Hälfte aller Teilnehmer war gegen Hepatitis A und B geimpft.

Daher wäre es ganz pragmatisch, wenn wir künftig auch eine Hepatitis-Impfung anbieten könnten. Im Beratungsalltag erleben wir immer wieder, dass Männer, die gemäß unserer Empfehlung häufiger zum STI-Sceening kommen, weil sie mehr als zehn Sexpartner pro Jahr haben, sich auch beim zweiten und dritten Mal den Titer bestimmen lassen. Aber trotz unseres Rates haben sie es immer noch nicht geschafft, zum Arzt zu gehen und sich impfen zu lassen. Offensichtlich ist die Hemmschwelle dafür zu hoch.

Die Hepatitis-Impfung sollte mit ins Angebot

Welche Erkenntnisse der Studie könnten auch für Testangebote andernorts interessant sein?

Diese Analyse der Testfragebögen ist tatsächlich die erste Evaluierung einer Community-basierten Testeinrichtung in Deutschland. Aber es ist schwierig, die Ergebnisse auf andere Städte oder Einrichtungen zu übertragen, denn die Daten wurden ja nicht für eine bestimmte Studie erhoben, sondern bei Männern, die unser Testangebot aufsuchen. Das heißt, die Daten sind nicht repräsentativ. Ungeachtet dessen lässt sich aber sagen: Spezielle Testangebote für MSM sind sinnvoll und sollten ausgeweitet werden. Zu dieser Schlussfolgerung kommt auch Jasmin Isabelle Ort.

Wichtig sind diese Angebote auch deshalb, weil man viele Männer erst auf diese Weise zu einem STI-Screening bewegen kann. Entscheidend für den Erfolg ist, dass HIV- und STI-Tests miteinander verknüpft sind und niedrigschwellig sowie szenenah angeboten werden.

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

2 Kommentare

  1. Mich wundert die behauptung, dass die evaluierung bei „hein&fiete“ die 1. bei einem community-based testangebot gewesen sei. Wurden nicht auch die iwwit-testwochen evaluiert?
    Was m.E. überzeugend für das hamburger angebot spricht, dass es tatsächlich eine hohe anzahl von hiv-neudiagnosen (wo andere vergleichbare institutionen nicht mal 4 prozent belegen ) ihrer stadt identifiziert
    dh den ursprünglichen sinn des niedrigschwelligen test-angebots auch erfüllen kann, nämlich eine rechtzeitige behandlung zu ermöglichen. Rainer Schilling

    1. Lieber Rainer,
      es ist natürlich richtig, dass eine relativ gesehen hohe Anzahl von HIV-Neudiagnosen bei „Hein&Fiete“ positiv zu sehen ist.
      Aber der Infoladen in Hamburg leistet ja vor allem Präventionsarbeit.
      Dabei imponiert mir doch sehr, dass durch das Angebot innerhalb eines Jahres so viele Tests durchgeführt wurden.
      Bei „Hein&Fiete“ gehört zu jedem Test auf die genannten allgemeinen STI’s und/oder HIV ein Besprechung und ein Beratungsangebot dazu.
      Es ist schon beachtlich, dass dabei auch ein hoher Anteil von Männern mit Migrationshintergrund erreicht wurde.
      Ich denke, dass das Konzept der Institution, das nicht nur auf ein bloßes Testangebot aufgebaut ist greift.
      „Hein&Fiete“ vermittelt nicht nur Akzeptanz sondern versucht die Menschen in ihrem Risikoumfeld zu erreichen.
      Damit meine ich z.B. die Einsätze der Mitarbeiter in Schwulensaunen und anderen Treffpunkten von schwulen Männern, aber auch die Gruppen und Themenangebote.
      Das scheint ein Ansatz zu sein, der durch das Evaluationsergebnis positiv bestätigt wird.
      Die rechtzeitige Behandlung von HIV-Infektionen ist selbstverständlich auch ein sehr wichtiges Ergebnis.

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