Rechtssicherheit für eine Karriere im Öffentlichen Dienst
Matthias Schlenzka, was sagt der Fachmann: Können Menschen mit HIV in den Öffentlichen Dienst?
Die Antwort auf diese Frage könnte eigentlich sehr kurz sein: Ja, natürlich! Denn die modernen HIV-Therapien sind inzwischen sehr wirkungsvoll. Viele HIV-positive Menschen sind daher erwerbstätig. Ihre HIV-Infektion alleine ist kein Hindernis für eine Tätigkeit im Öffentlichen Dienst. Sie können in allen Berufen arbeiten.
„Menschen mit HIV können in allen Berufen arbeiten.“
Für Arbeitnehmer_innen gelten auch im Öffentlichen Dienst die normalen arbeitsrechtlichen Regelungen. In rechtlicher Hinsicht ist eine HIV-Infektion nichts Besonderes mehr. Dies gilt auch für (vermeintlich) besonders sensible Bereiche wie Pflege, Kinderbetreuung oder Erziehung. Wie überall sollten die üblichen Hygiene- und Arbeitsschutzmaßnahmen eingehalten werden; dann besteht auch keine Gefahr einer HIV-Übertragung.
In der Praxis ist jedoch nach wie vor ein HIV-bedingtes soziales Vermeidungsverhalten zu beobachten. Diese Stigmatisierung von HIV-positiven Arbeitnehmer_innen kann im Extremfall sogar zu Diskriminierung oder Kündigung führen.
Dem ist das Bundesarbeitsgericht entgegengetreten. Es hat entschieden, dass eine HIV-Infektion kein Kündigungsgrund für den Arbeitgebenden ist. Das Gericht hat klargestellt, dass eine HIV-Infektion, auch wenn sie symptomlos ist, dennoch als gesellschaftliche Behinderung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes anzusehen ist. (Ergänzung der Redaktion: Das damalige Urteil hat der Rechtsanwalt Jacob Hösl für uns eingeschätzt, hier geht es zum Beitrag.)
Wie ist das im Beamtenverhältnis?
Im Beamtenbereich ist es etwas komplexer. Grundsätzlich gilt aber auch hier, dass eine HIV-Infektion alleine kein Hindernis mehr ist. Es gibt aber einige Besonderheiten zu beachten, insbesondere in Bezug auf die gesundheitliche Eignung von Beamtenbewerber_innen und Probebeamt_innen.
„Im Beamtenbereich gibt es einige Besonderheiten zu beachten, insbesondere in Bezug auf die gesundheitliche Eignung.“
Eine Ernennung ins Beamtenverhältnis auf Lebenszeit ist nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung vorzunehmen. Die Eignung umfasst auch den gesundheitlichen Zustand. Anhand des aktuellen Gesundheitszustandes des Bewerbers bzw. der Bewerberin muss der Arbeitgebende eine Prognose der Dienstfähigkeit in Bezug auf die künftige Tätigkeit bis zur Pensionszeit erstellen.
Bei der Bewertung der gesundheitlichen Eignung hatten die Arbeitgebenden früher einen relativ weiten Beurteilungsspielraum. Im Ergebnis musste ein_e Beamtenbewerber_in beweisen, dass sie bzw. er bis zur Pension gesund und dienstfähig bleiben wird. Für viele Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen war das schwierig, sodass sie schon bei einfachen Vorerkrankungen nicht mehr verbeamtet wurden.
Diese Schieflage hat das Bundesverwaltungsgericht vor ein paar Jahren zugunsten der Beamtenbewerber_innen korrigiert.
Was sagt diese neue Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts?
Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem Grundsatzurteil den Prognosemaßstab zugunsten der Beamtenbewerber_innen verändert, d. h. umgekehrt formuliert.
In Bezug auf die gesundheitliche Eignung gibt es nun zwei klare Ausschlusskriterien. Ein_e Bewerber_in darf nur dann nicht verbeamtet werden, wenn es zum einen überwiegend wahrscheinlich ist, dass sie vor der Pensionszeit krankheitsbeding dienstunfähig wird, oder zum anderen, wenn wegen einer chronischen Erkrankung erhebliche Ausfallzeiten zu erwarten sind.
Eine weitere wesentliche Verbesserung ist die Beweislastumkehr. Nun muss der Arbeitgebende beweisen, dass er eine_n Beamtenbewerber_in nicht für gesundheitlich geeignet hält.
(Matthias Schlenzka hat das Thema im Artikel „Gesundheitliche Eignung“, erschienen in Der Personalrat, 12/2018, ausführlich erläutert.)
Wie wirkt sich diese Rechtsprechung auf HIV-positive Bewerber_innen aus?
Durch neue, wirkungsvolle Medikamente hat sich die gesundheitliche und berufliche Situation von Menschen mit HIV in Deutschland in den letzten Jahren grundlegend verbessert. Ihre Aussichten, bis zur Pensionszeit beruflich tätig zu sein, sind sehr gut. Auch häufige krankheitsbedingte Ausfallzeiten wegen einer HIV-Infektion sind nicht mehr wahrscheinlich.
„Die Rechtsposition von HIV-positiven Bewerber_innen hat sich erheblich verbessert.“
Daher sind die beiden vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Ausschlusskriterien für eine Verbeamtung bei HIV-positiven Bewerber_innen grundsätzlich nicht relevant. Ihre Rechtsposition hat sich also erheblich verbessert.
Dann sind die Befürchtungen von HIV-positiven Bewerber_innen also unbegründet?
Leider ist die Praxis vielschichtiger, vor allem wegen des Verfahrens, mit dem die gesundheitliche Eignung festgestellt wird. Hier gibt es immer wieder Anlass zur Kritik.
Für die Prüfung der gesundheitlichen Eignung wird regelmäßig ein_e Amtsärzt_in als Sachverständige_r hinzugezogen. Ein Problem ist, dass sich die „neuen“ medizinischen Erkenntnisse in Bezug auf HIV und den Krankheitsverlauf noch nicht bei allen Ärzt_innen rumgesprochen haben. Tatsächlich müssen wir immer wieder feststellen, dass auch Ärzt_innen zuweilen noch ein „altes Bild“ von HIV im Kopf haben.
„Bei einigen Einstellungsbehörden scheint der medizinische Fortschritt noch nicht angekommen zu sein.“
Aber auch bei einigen Einstellungsbehörden scheint der medizinische Fortschritt noch nicht angekommen zu sein. Besonders auffällig ist hier der Bereich der Polizei. Dort scheint es immer noch sehr grundsätzliche Vorbehalte gegen die Einstellung von HIV-positiven Bewerber_innen zu geben. Sie werden zum Teil pauschal abgelehnt, ohne dass ihr individueller Gesundheitszustand bewertet wird. Dass dies rechtswidrig ist, hat erst vor kurzem ein Gericht in Niedersachsen klargestellt.
Was muss sich ändern?
Wichtig ist, dass die Einstellungsbehörden lernen, mit HIV neu umzugehen. Aber auch die amtsärztliche Begutachtung muss sich verändern.
Aufgrund des guten medizinischen Verlaufs einer HIV-Infektion kann prinzipiell davon ausgegangen werden, dass gesundheitliche Einschränkungen nicht mehr gegeben sind. Das macht gesundheitliche Untersuchungen in diese Richtung obsolet. Dies gilt nach Ansicht des Ministeriums für Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen sogar für die bloße Befragung der Bewerber_innen nach einer bestehenden HIV-Infektion.
In der gängigen Praxis erfolgt die amtsärztliche Begutachtung aber oft mit einem umfangreichen Fragebogen. Selbst wenn nicht mehr explizit nach HIV gefragt wird, lassen viele Gesundheitsfragen Rückschlüsse zu, die für die auszuübende Tätigkeit nicht relevant sind. Dadurch berühren die Fragen die Persönlichkeitsrechte der Bewerberinnen unzulässig.
Viele Bewerber_innen sehen sich in der amtsärztlichen Untersuchung mit dem Problem konfrontiert, wie sie auf solche Fragen reagieren sollen. Rechtlich ist es für den Beamtenbereich bislang nicht eindeutig geklärt, ob auf den HIV-Status zielenden Fragen wahrheitsgemäß beantwortet werden müssen, obwohl bei einer erfolgreichen HIV-Therapie keine Relevanz für das Beamtenverhältnis vorliegt. Viele entscheiden sich, den Eingriff in ihre Persönlichkeitsrechte hinzunehmen und beantworten auch HIV-bezogene Fragen wahrheitsgemäß.
In der Folge kann es leider aber auch vorkommen, dass Bewerber_innen mit einer nicht zeitgemäßen Bewertung ihrer chronischen HIV-Erkrankung konfrontiert und als Beamt_innen abgelehnt werden. So ist es zum Beispiel einem Polizeianwärter in Niedersachsen ergangen.
Wie können sich Bewerber_innen wehren?
Sollte der HIV-Status bei der Einstellung bekannt werden und daraufhin eine Ablehnung der Bewerbung ergehen, kann diese Entscheidung vor dem Verwaltungsgericht angefochten werden. Dass dies erfolgreich möglich ist, zeigt die Klage eines Polizeianwärters in Niedersachsen, dessen Bewerbung bei der Polizei wegen seiner HIV-Infektion pauschal abgelehnt wurde.
Dieses Interview ist Teil unserer Aktion zum 1. Mai 2020 „Mit HIV arbeiten? Na klar!“ – mehr Infos hier
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