Ärzte müssen zum Wohl des Patienten und zugleich wirtschaftlich handeln. Die hohen Preise der neuen HCV-Medikamente machen diese Aufgabe zum Spagat. Wir haben mit Dr. Patrick Ingiliz vom Medizinischen Infektiologiezentrum Berlin gesprochen.

Herr Dr. Ingiliz, Sovaldi, Daklinza, Olysio und – ganz neu! – Harvoni sind sehr effektive und enorm teure Medikamente, die 2014 zur Behandlung von chronischer Hepatitis C zugelassen wurden. Ein gutes Jahr für HCV-Patienten?

Auf jeden Fall! Unabhängig von den ganzen Problemen, die wir wegen der hohen Preise sehen, bedeuten die neuen Medikamente eine völlige Neuordnung im Hepatitis-C-Bereich. Sowohl die Heilungschancen als auch die Verträglichkeit haben sich enorm verbessert. Wir können viel mehr Leute behandeln und heilen – und das erstmals auch ohne Interferon.

Sovaldi (Sofosbuvir) ist bereits seit Januar dieses Jahres in Deutschland auf dem Markt. Wie viele Ihrer Patienten haben denn schon von dem neuen Medikament profitiert?

Seit Zulassung haben wir schon an die hundert Patienten mit Sofosbuvir-haltigen Therapien behandelt. Allerdings haben wir in unserer Praxis viele Hunderte Hepatitis-C-Patienten, deswegen machen diejenigen, die bisher eine Behandlung bekommen haben, immer noch einen kleinen Teil aus.

„Die Preise haben enormen Einfluss auf die Patientenversorgung“

Man hört immer wieder, dass Ärzte die neuen Medikamente nicht verschreiben wollen, weil sie Angst vor Regressforderungen der Krankenkassen haben. Wie erleben Sie das?

Die Verunsicherung ist allenthalben da. Die neuen Therapien sind um ein Vielfaches teurer als die bisherige Standardtherapie. Je nachdem für welche Variante man sich entscheidet, fallen hier Kosten zwischen 60.000 und 200.000 Euro an. Wenn man dann als Arzt in eine Wirtschaftlichkeitsprüfung kommt, begibt man sich in Bereiche existenzieller Bedrohung.

Was muss man in dieser Situation als behandelnder Arzt beachten?

Als Arzt bin ich dazu angehalten, wirtschaftlich zu handeln. Ich soll Therapien auswählen, deren Wirksamkeit durch Studiendaten belegt ist, die aber wirtschaftlich in einem vernünftigen Rahmen bleiben. Das ist im Einzelfall schwierig, weil dann müsste ich ja für jeden Patienten eine Kosteneffizienzanalyse durchführen. Ich stehe also plötzlich vor der Aufgabe, mir im Sprechzimmer zu überlegen, ob die Therapie zu dem Zeitpunkt gerechtfertigt ist oder ob der Patient noch warten kann. Deshalb haben die Preise im Moment einen enormen Einfluss auf die Patientenversorgung.

Wie sieht es derzeit bei Ihnen in der Praxis aus? Sie sagten, auch bei Ihnen seien viele Patienten noch nicht in Therapie.

Wir haben angefangen, Patienten zu priorisieren. Wir versuchen, erst die Kränkeren zu behandeln, also Patienten mit einer schweren Leberschädigung wie zum Beispiel einer Zirrhose, und wir bevorzugen diejenigen, bei denen die Erkrankung schneller voranschreitet.

„Niemand muss wütend die Praxis verlassen“

Führt das nicht bei vielen Ihrer Patienten zu großem Frust?

Niemand muss wütend die Praxis verlassen, bisher konnten wir für jeden Patienten einen guten Fahrplan erstellen. Es gibt auch gute Gründe, zu warten. Die Medikamente sind für alle doch noch neu. Wir haben schon Medikamente gesehen, bei denen erst nach Jahren Nebenwirkungen auftraten. Wenn noch kein Leberschaden da ist, muss man nicht gleich behandeln. Hepatitis C ist eine Krankheit, bei der man das machen kann.

Gilt denn nicht: je eher behandelt, desto besser?

Das gilt insofern nicht, weil es einen nicht unerheblichen Teil von Menschen gibt, der trotz einer HCV-Infektion überhaupt nicht krank wird oder bei dem die Krankheit einen milden Verlauf nimmt. Bei der Hepatitis C spielen viele Faktoren zusammen: Begleiterkrankungen, Lebensstil, Genetik sowie Faktoren am Virus, die dazu führen, dass der eine krank wird und der andere nicht. Ich muss diejenigen identifizieren, bei denen die Krankheit doch voranschreitet, und dann herausfinden, welcher Patient dringend behandelt werden muss.

Dr. med. Patrick Ingiliz (Foto: privat)
Dr. med. Patrick Ingiliz (Foto: privat)

Um der Kosten Herr zu werden, wurde in einigen Ländern festgelegt, dass erst ab einem Fibrosegrad 3 mit den neuen, teuren Medikamenten behandelt werden darf. Was heißt denn so eine Fibrose 3 für den Patienten?

Ab einem Fibrosegrad 2 hat jemand ein Risiko, eines Tages einen Leberschaden zu bekommen. Ab einem Fibrosegrad 4 hat man eine Leberzirrhose; der Patient ist krank und muss behandelt werden. Mit einer Drei ist man dann also auf der Schwelle zur Vier, und das heißt erst mal, dass in der gesamten Leber ein Prozess stattfindet, bei dem vitales Lebergewebe zu narbigem Gewebe umgebaut wird. Sprich, die Leber ist definitiv vorgeschädigt, wobei sie ihre volle Funktion noch behalten kann.

Können Sie sich vorstellen, dass so eine Rationierung auch in Deutschland eingeführt wird, und was halten Sie davon?

Ich würde nicht davon ausgehen, dass so etwas passiert. Das gab’s so vorher in Deutschland noch nicht. Bislang steht in der Leitlinie der Fachgesellschaft DGVS, dass jede Hepatitis-C-Infektion eine Behandlungsindikation darstellt. Ich glaube, eine gute Faustregel ist: Wer Fibrose entwickelt, der wird auch weiter fibrosieren. Wir müssen die Patienten finden, die einen schnellen Progress haben, und die würde ich lieber nicht erst bei Fibrose 3 behandeln, denn die muss sich auch erst mal wieder zurückbilden. Deshalb bin ich auch kein Freund von so einer Rationierung.

Kombi-Pille Harvoni: nur einmal täglich und kein Interferon mehr

Welche Rolle spielt der GBA-Beschluss über den Zusatznutzen für die Verordnung? Schützt der vor Regress?

Wenn eine Substanz einen „beträchtlichen“ oder „geringen“ Zusatznutzen gegenüber der Vortherapie bekommen hat, ist man zwar nicht vor Regress geschützt, es besteht aber die begründete Hoffnung, dass man im Rahmen der gewünschten Verordnungspraxis bleibt. In jedem Fall sollte man gut begründen, warum eine andere, kostengünstigere Therapie nicht infrage kommt.

Die Kombi-Pille Harvoni, bestehend aus den beiden Wirkstoffen Sofosbuvir und Ledipasvir, wurde diese Woche in Europa zugelassen. Werden die Ärzte sie auch verschreiben?

Ich gehe davon aus, dass nach der Zulassung von Harvoni die Diskussion um die Priorisierung etwas relativiert wird. Mit diesem Medikament können wir eine chronische Hepatitis C mit nur einer Tablette am Tag über einen Zeitraum von gerade mal acht bis zwölf Wochen heilen und dabei komplett auf Interferon und meist auch auf Ribavirin verzichten. In den USA, wo Harvoni schon seit Oktober zugelassen ist, kostet die achtwöchige Therapie derzeit 60.000 Dollar, das wären 40.000 Euro. Damit liegen wir sogar etwas unter der klassischen Standardtherapie mit Telaprevir plus Interferon und Ribavirin. Ich gehe davon aus, dass für viele Menschen das Warten ein Ende hat und die meisten Kolleginnen und Kollegen behandeln werden.

Wie sähe denn ein Kostenvergleich aus, wenn man bedenkt, dass die Folgen einer Hepatitis-C-Infektion auch ganz schön ins Geld gehen können?

Wir haben jetzt plötzlich extrem effektive Therapien zur Verfügung. Das hat zur Folge, dass wir viel mehr Patienten behandeln wollen und sich auch viel mehr Patienten behandeln lassen wollen. So entsteht auf der Kostenseite zwangsläufig ein extremes Plus. Wir werden aber auch viel, viel mehr Menschen von der Krankheit befreien. Etliche Lebertransplantationen müssen nicht mehr durchgeführt werden, für die auch Kosten von mehreren Hunderttausend Euro entstehen können. Oder denken Sie an die Behandlung von Leberkrebs! Man kann sich also vorstellen, was im Gesundheitswesen durch die neuen HCV-Medikamente auch gespart wird.

Wie viele Ihrer Patienten haben sich bisher von den Nebenwirkungen der Interferontherapie abschrecken lassen?

Das kommt ein bisschen darauf an, welche Kollektive man sich anguckt. Von den HIV- und HCV-koinfizierten homosexuellen Männern haben wir über 80 Prozent mit einer interferonhaltigen Therapie behandelt – aber zum Teil unter sehr erheblichen Nebenwirkungen. Von den Drogengebrauchern dagegen wurden in Deutschland nicht mal 10 Prozent mit Interferon behandelt. Entweder, weil sie es selbst ablehnen oder weil die Ärzte es ablehnen. Ich glaube, man kann sagen, kein Patient lässt sich gerne auf eine Interferontherapie ein – und auch kein Arzt. Ich möchte eigentlich niemanden mehr mit Interferon behandeln.

„Wir brauchen noch viel mehr zielgruppenspezifische Aufklärung“

Manche Ärzte haben Vorbehalte, HCV-infizierte Drogengebraucher zu behandeln – mit der Begründung, bei dieser Patientengruppe gäbe es größere Schwierigkeiten mit der Compliance (Therapietreue), und das Reinfektionsrisiko sei zu hoch. Was sind Ihre Erfahrungen?

Wenn wir uns bestimmte Gruppen wie injizierende Drogengebraucher oder Männer, die Sex mit Männern haben, anschauen, hat die Hepatitis-C-Infektion meist etwas mit Risikoverhalten zu tun. Und je mehr ich behandle und heile, desto mehr können sich natürlich auch wieder infizieren. Risikoverhalten kann ich aber nicht wegtherapieren. Hier brauchen wir einfach noch viel mehr zielgruppenspezifische Aufklärung. Das Reinfektionsrisiko ist jedenfalls kein Grund, jemandem eine Behandlung nicht zukommen zu lassen. Und was die Compliance angeht, hängt es davon ab, wie stabil die Lebenssituation der Leute ist. Eine Substitution kann zum Beispiel die nötige Stabilität geben, aber manchmal reicht auch schon, dass jemand nicht auf der Straße lebt oder nicht permanent „drauf“ ist. Nach meiner Erfahrung sind Drogengebraucher nicht weniger compliant als andere Patienten.

Welchen abschließenden Rat können Sie Hepatitis-C-Patienten mitgeben?

Auch wenn die Behandlung nun immer einfacher wird, benötigen Lebererkrankungen fachspezifische Betreuung. Ich würde mich deshalb in spezialisierte Zentren begeben, denn dort gibt es die nötigen Mittel und Geräte, um zum Beispiel den Fibrosegrad bestimmen zu können. Unter solchen Voraussetzungen können Ärzte ihre Patienten vernünftig einordnen und eine gute Strategie für die Behandlung festlegen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Interview: Christina Laußmann

Weitere Informationen:

„Profite, Politik und Prävention“ – ein Überblicksartikel zu Hepatitis C und der Preisdebatte in magazin.hiv

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Christina Laußmann

Christina Laußmann hat Kulturwissenschaft, Medienwissenschaft und Neuere deutsche Philologie an der Humboldt-Universität und Technischen Universität Berlin studiert. Seit 2013 arbeitet sie als Autorin und Lektorin bei der Deutschen Aidshilfe.

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