In Gefängnissen sind Infektionskrankheiten besonders weit verbreitet. Foto: Michael Werner Nickel, pixelio.de
Foto: Michael Werner Nickel/pixelio.de

Birgit Schreiber hat für das Buch „Annäherungen. Ein Lesebuch zur Arbeit in Aidshilfen“ Menschen interviewt, die sich haupt- oder ehrenamtlich für einen informierten, selbstbestimmten und solidarischen Umgang mit HIV und Aids engagieren. Zum Beispiel Claudia Rey, die zwanzig Jahre lang – von 1992 bis Ende Februar 2012 – HIV-positive Menschen in Haft beraten und begleitet hat:

Vielleicht hatte ich am Anfang ein klitzekleines Helfersyndrom. Oder es lag daran, dass ich es in meinem Leben immer so gut gehabt hatte und anderen davon abgeben wollte. Auf jeden Fall waren Menschen, vor allem Drogenabhängige im Strafvollzug, genau mein Thema. Als mich dann eine Kollegin fragte, ob ich nicht ehrenamtliche Mitarbeiterin der Aidshilfe in Haftanstalten werden wolle, habe ich ja gesagt. Das war vor zwanzig Jahren während meines Jura-Studiums.

Jetzt bin ich schon zehn Jahre hauptamtlich in der Berliner Aids-Hilfe und kann dort viele Erfahrungen aus der ehrenamtlichen Arbeit nutzen. Ich spreche mit inhaftierten Frauen und Männern über Gesundheit und Sexualität, über HIV, Hepatitiden, Infektionsrisiken, Präventionsmaßnahmen und so weiter. Dabei unterstützt mich ein Kollege. Außerdem bieten wir Fortbildungen an, zum Beispiel für Vollzugsbeamte in Ausbildung. Da hat sich zum Glück etwas getan: Viele junge Beamtenanwärter sind weltoffener als ihre Kollegen vor ein paar Jahren und haben wirkliches Interesse an den Problemen infizierter oder süchtiger Häftlinge.

Für die Inhaftierten sind wir
einer der wenigen Kontakte
zur Außenwelt

Nicht nur die Vollzugsbeamten, auch die Situation unserer Klienten hat sich verändert. Anfangs ging es oft darum, zu verhindern, dass Aidskranke im Gefängnis sterben müssen. Außerdem fragten wir uns: Was kann man gegen die Diskriminierung tun? Wie erreicht man, dass Süchtige in Haftanstalten saubere Spritzen erhalten? Draußen hat die Präventionsbotschaft „sterile Spritzbestecke nützen der Gesundheit“ recht schnell gefruchtet. Im Knast dagegen sieht das immer noch anders aus. Die JVA Berlin-Lichtenberg ist bundesweit die einzige Haftanstalt mit dem Angebot der Spritzenvergabe. Überall sonst müssen Süchtige, die sich nicht für einen Entzug, eine Drogentherapie oder Substitution entscheiden können, heimlich spritzen. Die Aidshilfe setzt sich in dieser Sache mit den Verantwortlichen in Politik und Justiz auseinander, aber es ist ein mühsamer Weg.

Claudia Rey

Das Kernstück unserer Arbeit ist die Beratung, und für viele Häftlinge ist sie weit mehr als ein Informationsgespräch. Für die Inhaftierten sind wir nicht nur Experten in Sachen HIV und Aids, sondern auch einer der wenigen Kontakte zur Außenwelt. Und das bedeutet, dass wir manchmal mit Erwartungen konfrontiert werden, die wir nicht erfüllen können und dürfen. Hauptamtlichen Mitarbeitern der Aidshilfe kommt zugute, dass sie als professionelle Berater auftreten und meist auch so wahrgenommen werden. Schwieriger ist das manchmal für die Leute aus meinem ehrenamtlichen Team, die einen Häftling regelmäßig besuchen. Auch ich wurde als Ehrenamtliche früher mit vielen Projektionen konfrontiert, mal war ich Mutter, dann Schwester, dann Partnerin des Häftlings. Diese Erfahrung hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, alle Mitarbeiter auf intensive Kontakte vorzubereiten und sie zu schulen.

Man muss einen Weg finden, miteinander ins Gespräch zu kommen

Eine weitere Herausforderung für Berater wie für Häftlinge ist der Umstand, dass wir uns immer hinter verschlossenen Türen und Fenstern treffen müssen. Es ist nicht möglich, mal eben einen Spaziergang zu machen und einen Kaffee trinken zu gehen. Die Räume, in denen wir beraten, sind auch selten hübsch und ansprechend. Aber egal, wie es drum herum aussieht: man muss einen Weg finden, miteinander ins Gespräch zu kommen.

In anderen Punkten unterscheidet sich die Beratungsarbeit drinnen wenig von der draußen. Ich glaube, alle professionellen Berater der Aidshilfe bringen grundsätzlich die Kompetenz mit, in Haftanstalten zu beraten. Hier wie da muss man zuhören können, man muss verstehen, was das Gegenüber bewegt, und erst dann darf man entscheiden, ob etwa eine kurzfristige oder langfristige Lösung gefragt ist.

Neuen Mitarbeitern in einer Aidshilfe würde ich sagen: „Lasst euch von den Mauern bloß nicht abschrecken!“ Und außerdem: „Pflegt den Kontakt zu den Vollzugsbeamten und haltet euch an die Regeln!“ Dazu gehört beispielsweise, dass wir den Häftlingen zwar Informationen aus dem Internet ausdrucken und mitbringen dürfen, gebrannte Datenträger oder USB-Sticks aber tabu sind.

Unsere Arbeit ist wichtig und wird geschätzt

Zu den Regeln gehört auch, dass wir uns immer in der Zentrale anmelden. Die Beamten dort rufen dann die Häftlinge: „Zur Beratung!“ Früher gab es oft noch den Zusatz „zur Aidshilfe“; das ist zum Glück vorbei. Trotzdem lässt sich die Anonymität unter diesen Bedingungen kaum wahren. Manche Häftlinge ziehen eine telefonische oder briefliche Beratung vor, um nicht von anderen drangsaliert zu werden. Die Welt im Gefängnis hat ihre eigenen Gesetze, und wir tun gut daran, ein Stück weit darüber Bescheid zu wissen.

Ich mache meine Arbeit nach all den Jahren noch immer mit viel Motivation. Ich finde es bereichernd, Menschen aus ganz unterschiedlichen Lebenswelten kennenzulernen und sie zu unterstützen. Am meisten Energie gibt mir aber die Tatsache, dass unsere Arbeit in den Haftanstalten wichtig ist und geschätzt wird. Das bestätigen uns die Häftlinge immer wieder.

 

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