Erste-Hilfe-Kasten
Erste Hilfe bei Drogennotfällen rettet Leben (Foto: S. Hofschläger, pixelio.de)

Am 31.8. ist Overdose Awareness Day. Holger Sweers sprach mit Kerstin Dettmer von der Berliner Drogenhilfeeinrichtung Fixpunkt e. V. über Naloxon, das bei Überdosierungen Leben retten kann.

Kerstin, was ist Naloxon und wie wirkt es?

Naloxon ist ein sogenannter Opioid-Gegenspieler. Notärzte haben das Medikament für Überdosierungen dabei, bei Bewusstlosigkeit oder Atemlähmung durch eine zu hohe Menge von Heroin zum Beispiel. Man kann Naloxon spritzen und außerdem in die Nase sprühen, wie ein Nasenspray.

Und wenn man keine Drogen genommen hat, wie wirkt Naloxon dann?

Überhaupt nicht. Bei körperlich abhängigen  Drogengebrauchern kann es aber Entzugssymptome geben.

Naloxon kann also Leben retten. Aber nicht immer ist im Notfall ja sofort ein Notarzt zur Stelle.

Genau. Deswegen bekommen Drogengebraucher, aber auch Angehörige, Partner oder Mitarbeiter von Wohnprojekten in anderen Ländern Naloxon, damit sie schnell helfen können. Trotzdem sollte man aber immer den Rettungswagen rufen, weil es zum Beispiel auch sein kann, dass der Notfall-Patient Erbrochenes eingeatmet hat und daran zu ersticken droht oder dass gar nicht Opiate für den Zustand verantwortlich sind – da hilft Naloxon nicht.

Wichtig: Bei Notfällen immer den Notarzt rufen

Wie sieht das in Deutschland aus? Bekommen Drogengebraucher und ihr Umfeld auch bei uns Naloxon ausgehändigt?

Das ist leider nicht so einfach. Ich bin 1998 zu Fixpunkt gekommen, da hatten wir dazu ein Modellprojekt. Einer der Mitinitiatoren war Michael de Ridder, damals Rettungsstellenleiter im Berliner Urban-Krankenhaus. Er war frustriert, weil er oft zu Drogennotfällen gerufen wurde, bei denen andere User dabei waren, aber nicht adäquat helfen konnten. Wir haben dann schließlich Drogenkonsumenten selbst geschult, damit sie eingreifen können, aber auch Mitarbeiter von Beratungsstellen oder Kontaktläden.

Beatmung
Beatmung ist eine wichtige Erste-Hilfe-Maßnahme bei Drogennotfällen (Foto: Michael Raab, pixelio.de)

Und denen habt ihr dann Naloxon mitgegeben?

Ja, damals ging das im Rahmen des Projekts. Das wurde vom Forschungsministerium gefördert. Eine Studie hatte gezeigt, dass bei mehr als der Hälfte der Notfälle Leute, in der Regel Drogenkonsumenten, dabei waren, die hätten eingreifen können. Wichtig war uns aber, dass wir umfassend schulen, nicht nur zu Naloxon. Also zuerst mal dazu, wie man Überdosierungen vermeidet, aber auch dazu, was man bei bewusstlosen Personen und bei Atemstillstand oder stark herabgesetzter Atmung tun kann. Und dass man immer, immer den Notarzt rufen soll. Aber wir haben eben auch Naloxon mitgegeben, als zusätzliche Möglichkeit für den Notfall.

Kam das Naloxon denn auch zum Einsatz?

Ja. Im Modellprojekt haben wir in gut vier Jahren, vom Dezember 1998 bis zum Dezember 2002, über 1.000 professionelle Helfer und Angehörige geschult. Außerdem haben wir über 500 Drogengebraucher fortgebildet, von denen die Hälfte dann auch Naloxon bekam, das bei 100 Notfällen zum Einsatz kam – in gut einem Viertel der Fälle übrigens bei Fremden, die der Drogengebraucher gar nicht kannte.

Wo spielen sich solche Notfälle eigentlich ab, eher auf der Szene oder eher zu Hause?

In zwei von drei Fällen wurde das Naloxon zu Hause eingesetzt.

Das hört sich nach einer Erfolgsgeschichte an. Kann man also heute bei jeder Drogenhilfe und in jedem Konsumraum in Deutschland Naloxon bekommen und verschreiben das die Ärzte für zu Hause?

Leider nicht. Nach dem Modellprojekt gab es keine angemessene Folgefinanzierung. Wir machen zwar immer noch Notfalltrainings und Naloxonvergabe auf kleiner Flamme, aber viele Ärzte verschreiben das Medikament nicht, und oft bekommt man Naloxon nicht mal in einem der eh schon ziemlich dünn gesäten Konsumräume in Deutschland.

In Deutschland fehlt die Unterstützung

Warum? Das versteh ich nicht, man kann doch sonst damit nichts anfangen oder anstellen.

Viele Ärzte trauen Drogenkonsumenten nicht zu, dass sie Notfälle richtig erkennen und Naloxon richtig einsetzen. Außerdem sind sie skeptisch, was die rechtliche Situation angeht. Wenn Sie ein Medikament verschreiben, dann ja für einen Patienten – und nicht für den Angehörigen, einen anderen Drogengebraucher oder den Mitarbeiter in einem Projekt. Dabei gibt’s eine Stellungnahme der Bundesärztekammer von 2002, wonach die Verwendung im Notfall durch einen „rechtfertigenden Notstand“ gedeckt ist. Und auch das Bundesgesundheitsministerium kam 2008 zu dem Schluss, dass die Verabreichung von Naloxon durch qualifizierte Laienhelfer nicht klar geregelt, aber auch nicht ausgeschlossen ist.

Und wenn sich Drogengebraucher das Medikament selbst verschreiben lassen?

Das geht zwar, aber zum einen sind Ärzte da wie gesagt zögerlich, und zum anderen ist Naloxon auch nicht gerade billig. Eine Ampulle kostet so um die sieben oder acht Euro, aber man bekommt halt nicht eine Ampulle, sondern zum Beispiel eine Packung mit gleich zehn Ampullen, und das geht dann schon ins Geld. Die Kassen zahlen das nämlich nicht. Eigentlich müsste der Arzt das als Praxisbedarf bestellen und dann ampullenweise abgeben können.

Was wäre dein Fazit zum Overdose Awareness Day?

Naloxon ist eine gute zusätzliche Möglichkeit, um Todesfälle nach Überdosierungen zu verhindern. Ich finde, das Thema sollte in Schulungen zum Verhalten bei Drogennotfällen integriert und Naloxon sollte an Drogengebraucher, Angehörige und Mitarbeiter des Hilfesystems abgegeben werden – und zwar kassenfinanziert. Jedes Leben zählt und verdient Schutz!

 

Weiterer Beitrag zum Overdose Awareness Day im DAH-Blog

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Über

Holger Sweers

Holger Sweers, seit 1999 als Lektor, Autor und Redakteur bei der Deutschen Aidshilfe, kümmert sich um die Redaktionsplanung des Magazins.

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