Sexarbeit

Frauen haben kaum Zugang zur PrEP: Ein Gespräch zum feministischen Kampftag

Von Nadja Zillken
Hand mit blauer PrEP-Tablette
© DAH | Bild: Renata Chueire

Nadja Zillken ist seit Januar DAH-Referentin für weibliche Sexarbeit und für Frauen im Kontext von HIV und STIs. Zuvor arbeitete sie bei Hydra e. V. – Treffpunkt und Beratungsstelle zu Sexarbeit und Prostitution. Lady Carmen setzt sich als Sexarbeiterin seit Jahren dafür ein, dass die PrEP als Arbeitsschutzmaßnahme in Deutschland bekannter wird. Beide sehen die PrEP für Frauen als zusätzliche Möglichkeit zum Schutz vor HIV-Infektionen.

Nadja Zillken: Hallo, Lady Carmen. Du engagierst dich zum Thema PrEP für Sexarbeitende und FLINTA* (Frauen, Lesben, inter, non-binäre, trans und agender Personen). Magst du dich kurz vorstellen?

Lady Carmen: Ich bin Sexarbeiterin aus dem BDSM-Bereich. Mit 35 Jahren habe ich angefangen, vor nun sieben Jahren. Zurzeit bin ich als Sexarbeiterin nicht aktiv, aber ich setze mich weiterhin für Sexarbeiter*innen ein, zum Beispiel als Peer-Aktivistin bei der Fokus-Gruppe „Gesundheit“ von Hydra.

Nadja: Wann hast du von der PrEP das erste Mal erfahren?

Carmen: Ich erinnere mich an den Moment sehr präzise: Das war 2021 bei der vorletzten „Unconference“, einer Tagung für Sexarbeitende. Da habe ich eine Broschüre zum Thema PrEP entdeckt, sie mitgenommen und gedacht: „Ach krass, das gibt es? Wieso weiß ich davon nichts?“

Lady Carmen | Twitter @FireCarmen

Nadja: Es ist so bezeichnend, dass du als sehr engagierte und aufgeklärte Person erst bei einer Veranstaltung von und für Sexarbeitende von der PrEP gehört hast. Selbst bei den Zwangsberatungen nach dem Prostituiertenschutzgesetz werden Sexarbeitende sehr selten über die PrEP aufgeklärt. Denn da steht der unausgesprochene Vorwurf im Raum, dass sie dann „natürlich“ die Kondompflicht nicht mehr einhalten würden. Da herrschen mitunter paternalistische Vorverurteilungen, dass Sexarbeitende nicht fähig seien, täglich eine Tablette einzunehmen. Das finde ich schrecklich. Jeder Mensch hat ein Recht darauf, informierte Entscheidungen zu treffen!

Selbst bei den Zwangsberatungen nach dem Prostituiertenschutzgesetz werden Sexarbeitende sehr selten über die PrEP aufgeklärt.

Carmen: Ganz genau! Das ist bisher nicht so. Letztlich dürfen wir auch den Menschen, die die PrEP nehmen und sich dazu entscheiden kondomlos zu penetrieren, die Eigenverantwortung nicht absprechen. Wir sollten Menschen nicht in ihrer Sexualität bevormunden – egal ob es um die PrEP oder Verhütungsmittel geht. Natürlich bekommen PrEP-Nutzer*innen mitgeteilt, dass die PrEP nur vor HIV schützt. Wer die PrEP nimmt, weiß, dass sie nicht vor sexuell übertragbaren Infektionen oder Schwangerschaft schützt. Die Entscheidung für kondomlosen Sex kann dann selbstbestimmt und auch situationsbedingt getroffen werden – aber diese Entscheidung ist dann nicht planlos.

Nadja: Welches Potenzial siehst du in der PrEP für Frauen?

Carmen: Durch die Einnahme von PrEP ist ein selbstbestimmter Schutz vor HIV möglich. Sie schützt vor HIV, darauf kann ich mich als Frau verlassen. Es ist ein zusätzliches Instrument zum Schutz vor einer HIV-Infektion. Also wenn dann ein Kondom platzt komme, muss ich mich nicht sofort fragen: „Oh mein Gott, habe ich mich jetzt infiziert?“

Nadja: Bei Sexarbeiterinnen gibt es nicht selten eher in der privaten Partnerschaft ein HIV-Risiko. Um die romantische Liebesbeziehung von der Sexarbeit zu trennen, wird als Loyalitätsbeweis beispielswiese kondomloser Sex praktiziert. Manche Partner*innen von Sexarbeitenden sind aber oft auch besorgt, sich aufgrund der Sexarbeit mit HIV zu infizieren. Die PrEP bietet da eine Lösung: Zum einen können Sexarbeitende dann auf dieses Vorurteil erwidern, dass sie sich gar nicht mit HIV infizieren können. Zum anderen sind sie vor Ansteckung durch die andere Person in der Partnerschaft geschützt. 

Wie siehst du die PrEP persönlich und hast du dich dazu entschieden, sie zu nehmen?

Carmen: Ich empfinde die PrEP als Form des Arbeitsschutzes. Wenn ich wieder als Sexarbeiterin tätig werde, kann ich mir sehr gut vorstellen, die PrEP zu meinem Schutz zu nehmen. Allgemein sollten viel mehr Menschen von der PrEP wissen, auch außerhalb der Sexarbeit.

Nadja: Dass du dich, obwohl du über die PrEP Bescheid weißt, bisher nicht zur Einnahme entschieden hast, widerlegt auch Bedenken, dass Menschen, die die PrEP „nicht brauchen“, die Anfragen und Kosten in die Höhe treiben würden. Wie würdest du den Zugang zur PrEP für Frauen in Deutschland beschreiben?

Carmen: Von Zugang mag ich gar nicht gerne sprechen – als gäbe es schon Wege, die nur verbessert werden müssen. Ich möchte das drastischer formulieren: Es müssen Möglichkeiten für die Einnahme der PrEP geschaffen werden! Mediziner*innen müssen sich fortbilden und die PrEP auch anbieten. Gerade ist die Situation für Frauen wie mich sehr schlecht. Alle Mediziner*innen, mit denen ich in meinem Leben zu tun hatte, hatten entweder kein Wissen über die PrEP oder haben sie selbst auf meine Nachfrage explizit nicht für Frauen angeboten.

Nadja: Die PrEP ist bei Männern, die Sex mit Männern haben, relativ gut angekommen und bekannt. Bei allen anderen Menschen ist das leider noch anders. Sicherlich gibt es dafür auch teilweise historische Gründe. Die Aidskrise hat in den 80er- und 90er-Jahren hauptsächlich – aber nicht ausschließlich – Schwule und andere Männer, die Sex mit Männern haben, betroffen. Jedoch machen heute (cis) Frauen 20 % der HIV-Neuinfektionen aus.

Was würdest du dem Argument entgegnen, dass aus epidemiologischer Sicht die Infektionsraten bei Frauen „so niedrig“ seien, dass es wenig Sinn macht, die PrEP an sie heranzutragen?

Carmen: Ich habe keine epidemiologische Sicht, sondern meine persönliche Sicht. Mir geht es nicht um Zahlen und Statistiken. Ich hätte nach einer HIV-Infektion einen massiven psychischen und physischen Aufwand zu betreiben, um mich gesund zu halten. Durch die PrEP kann ich mich vor einer Infektion schützen, wie und wann ich es brauche. Es ist nur eine Pille am Tag, die verhältnismäßig günstig über die GKV zu finanzieren ist und deren Kosten ich auch selbst tragen würde. Der gute Schutz, den die PrEP bietet, hebelt das unverhältnismäßige Argument der niedrigen Infektionszahlen völlig aus.

Es sollte für Mediziner*innen ebenso selbstverständlich sein, über die PrEP zu informieren, wie über die Anti-Baby-Pille.

Nadja: Was wünscht du dir für die Zukunft für den Umgang mit der PrEP und Frauen?

Carmen: Wenn wir Aids und HIV besiegen wollen, müssen wir Frauen aufklären. HIV kann jeden Menschen betreffen, der Sex hat oder mit Körperflüssigkeiten in Kontakt kommt. Es sollte für Mediziner*innen ebenso selbstverständlich sein, über die PrEP zu informieren, wie über die Anti-Baby-Pille. Sexuell übertragbare Infektionen halten sich nicht an Alter, Gender oder sonstige Faktoren. Wir Frauen müssen wissen, wie wir uns mit relativ niedrigem Aufwand schützen können – je früher, desto besser.

Nadja: Was gibt es zum Thema PrEP und weibliche Sexualität noch zu tun?

Carmen: Bisher erfahren die meisten Menschen in der schwulen Community von der PrEP. Dabei wurde die PrEP ursprünglich gerade auch für Frauen gemacht: Damit wir uns selbstständig vor HIV schützen können und nicht darauf angewiesen sind, dass der andere Part ein Kondom (richtig) benutzen will. Davon profitieren zum Glück nun viele andere Menschen. Leider wissen wir Frauen heute am wenigsten darüber. Wir dürfen die ursprüngliche Zielgruppe nicht aus den Augen verlieren.

Nadja: Du hast so recht! Die PrEP wurde zuerst bei Frauen in Hochprävalenzländern erforscht. Also sie war für BIPOC Frauen des globalen Südens gedacht und jetzt nehmen sie vor allem weiße cis Männer. Struktureller Rassismus zeigt sich auch in der Verteilung der PrEP. Sie sollte für alle Menschen eine Möglichkeit zum HIV-Schutz bieten!

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