Miriam* ist 35, lebt seit mehr als zehn Jahren in Berlin, wo sie auch studiert hat, und arbeitet als Marketingexpertin. Wir haben mit ihr über die HIV-PrEP für Frauen gesprochen – über ahnungslose Männer und ablehnende Ärzt_innen, aber auch über aktive Kommunikation rund um die sexuelle Gesundheit.

Miriam, was dürfen unsere Leser_innen über dich wissen, damit sie sich ein Bild von dir machen können?

Vielleicht, dass ich Kulturwissenschaften studiert und mich auch mit Genderstudies beschäftigt habe. Und ich koche und esse sehr gerne, hauptsächlich vegan. Außerdem gehe ich gerne tanzen. Und ich verstehe mich als Feministin.

Hat auch deine Entscheidung für die PrEP damit zu tun?

Ja, die PrEP ist für mich Mittel zum selbstständigen Schutz meiner sexuellen Gesundheit, unabhängig von Männern oder Partnern. Das ist vielleicht vergleichbar mit der Anti-Baby-Pille, die seit den 1960er-Jahren zur Selbstbestimmung von Frauen beiträgt.

Als sexuell aktiver Mensch gehören regelmäßige Tests für mich dazu

Und wie bist du zur PrEP gekommen?

Im letzten Winter hatte ich Probleme mit meinem Immunsystem. Das hat sich durch Symptome wie bei einer frischen HIV-Infektion geäußert, geschwollene Lymphknoten, Fieber, Nachtschweiß … Als ich dann auch noch Probleme mit dem Zahnfleisch bekam, riet mein Zahnarzt mir zu einem HIV-Test. In dieser Zeit habe ich mich intensiv mit HIV und auch mit anderen Geschlechtskrankheiten beschäftigt.

War das vorher für dich kein Thema?

Doch, ich habe mich jedes Jahr einmal „auf alles“ testen lassen, weil nicht alle Geschlechtskrankheiten immer Symptome verursachen und weil man Symptome oft auch nicht bemerkt. Als sexuell aktiver Mensch gehören regelmäßige Tests für mich dazu. Ich bin auch so aufgewachsen, dass Sex „ohne Kondom“ ein No-Go ist – das wurde meiner Generation beinahe schon eingeprügelt. Sehr viel Konkretes wusste ich über HIV aber nicht.

HIV-PrEP für Frauen: Es mangelt an Informationen

Und bei deiner Beschäftigung mit HIV bist du dann auf die PrEP gestoßen.

Genau, und auch auf das Thema Schutz durch Therapie. Ich wusste bis dahin zum Beispiel nicht, dass HIV beim Sex nicht mehr übertragen werden kann, wenn Menschen mit HIV regelmäßig ihre HIV-Medikamente nehmen, das heißt, wenn die Viruslast im Körper unter der Nachweisgrenze ist. Aber je mehr ich recherchierte, je mehr ich auch über das Leben mit HIV wusste, desto kleiner wurde die Angst. Oft wiegen Unsicherheiten und fehlendes Wissen mehr als die Realität und die medizinischen Fakten einer möglichen Infektion. Trotzdem will ich mich vor HIV schützen, genauso wie vor anderen Geschlechtskrankheiten, obwohl die ja in der Regel leicht behandelbar sind.

Wie genau hast du von der PrEP erfahren? Bei Männern, die Sex mit Männern haben, ist sie ja mittlerweile ziemlich bekannt, aber Frauen sind in Deutschland bisher noch kaum unter den Nutzer_innen zu finden.

Zum Thema PrEP bin ich eher zufällig gekommen

Ja, die meisten Studien, über die öffentlich diskutiert wird, wurden mit schwulen und bisexuellen Männern durchgeführt, und für sie gibt es auch zahlreiche Infos. Das sieht bei Frauen schon anders aus. Wir sind nicht die wichtigste Zielgruppe … was an und für sich kein Problem ist, aber ich würde mir wünschen, dass der Fokus rund um die PrEP erweitert wird.

Zum Thema PrEP bin ich eher zufällig durch YouTube-Videos gekommen, die mir bei meinen Recherchen „vorgeschlagen“ wurden. Außerdem gab es ungefähr zu dieser Zeit auch eine kleine „PrEP-Welle“ in meinem Freundeskreis. Mehrere Freundinnen erzählten plötzlich von schwulen Freunden, die gerade mit der PrEP angefangen hatten und sehr glücklich damit waren.

Wo hast du dich dann weiter informiert?

Zunächst vor allem auf YouTube, das waren alles englischsprachige Videos, eher klinisch. Und dann auch auf prep.jetzt, die haben eine sehr gute FAQ-Rubrik.

Die PrEP kann Seelenfrieden geben

Wann hast du entschieden, dass du eine PrEP machen willst?

Bei meinen Recherchen wurde mir ziemlich schnell klar, dass die PrEP etwas für mich ist, weil sie mir „Peace of mind“, Seelenfrieden geben kann.

Hatte es denn bis dahin HIV-Risikosituationen gegeben?

Als explizite Risikosituation hatte ich nur eine Situation mit einer Frau im Kopf, als plötzlich eine Menge Blut im Spiel war. Eigentlich habe ich kein Problem mit Körperflüssigkeiten, aber meine Partnerin wurde auf einmal sehr ernst. Im Nachhinein denkt man über solche Situationen nach und fragt sich, wie gefährlich das tatsächlich gewesen ist … für sich selbst und den_die Partner_in.

Aber auch sonst ist es ja manchmal so, dass Gummis nicht ganz „nach Vorschrift“ angewendet werden, also zum Beispiel nicht von Anfang an. Oder ein Kondom bleibt stecken und man macht sich Sorgen. Sex läuft selten nach Schema F und lehrbuchmäßig ab. Da ist ja auch gut so, aber gerade für solche Situationen wollte ich einen zusätzlichen Schutz.

Ich habe auch mit meiner Familie über die PrEP gesprochen

Hast du mit anderen über deine Recherchen und deine Überlegungen gesprochen?

Ja, mit engen Freundinnen. Und mit meiner Familie.

Mit deiner Familie?

Ja, absolut. Natürlich nicht im Detail. Aber ich habe im Winter, als es mir nicht gut ging, mit meinen Eltern darüber gesprochen. Und darüber, dass ich einen HIV-Test mache und mich durch die PrEP schützen möchte.

Und wie haben sie reagiert?

Eigentlich sehr positiv. Sie möchten natürlich, dass mir nichts passiert. Aber ihre Patentlösung für mich sähe eher nach einem Wechsel zur Monogamie aus. Und das ist für mich, zumindest momentan, nicht das richtige Modell. Ich habe nichts gegen Monogamie. Aber im Moment kann ich mir das nicht vorstellen.

Was haben deine Freundinnen gesagt?

Die haben mich in dem ganzen Prozess begleitet. Aber manchmal konnten sie’s auch nicht mehr hören. Wenn ich wieder mal über Sex und Schutz gesprochen habe, gab es dann hin und wieder ein inneres Augenrollen. Und irgendwann meinten sie, ich sollte doch vielleicht einfach die Zahl meiner Partner_innen reduzieren und so das Risiko senken. Die meisten von ihnen leben monogam. Freundinnen mit ähnlichen Erfahrungen wie ich kenne ich eigentlich kaum.

Das Thema HIV-PrEP für Frauen ist auch vielen Ärzt_innen fremd

Wie bist du dann nach all dem Recherchieren und Nachdenken schließlich an die PrEP gekommen? Die gibt’s ja nur auf Rezept.

Durch die Probleme mit meinem Immunsystem bin ich in einer Praxis für Infektiologie gelandet, die auch eine HIV-Schwerpunktpraxis ist. Und meinen Arzt dort habe ich dann angesprochen und gesagt, dass ich mich für die PrEP interessiere.

Wie hat er reagiert?

Sehr cool, sehr professionell. Er hat mir zugehört und mich ernst genommen.

In Praxen und Apotheken begegnen einem jede Menge Stereotype

Das klingt, als hätte dich das überrascht.

Eigentlich sollte es die Regel sein, dass man von Ärztinnen und Ärzten professionell behandelt wird. Aber ich habe auch schon andere Erfahrungen gemacht, übrigens auch in Apotheken.

Da begegnen einem jede Menge Stereotype. Und Scham, überhaupt über Sexualität zu sprechen.

Ein Gynäkologe zum Beispiel reagierte auf meinen Wunsch nach einem HIV-Test mit der Verharmlosung, das sei bei mir doch gar nicht nötig. Woher wollte er das wissen? Und auf meine ganz konkreten Fragen nach Risiken und Schutzmöglichkeiten wollte er eigentlich gar nicht antworten.

Meiner Erfahrung nach ist es gerade Männern extrem unangenehm, offen über Sexualität zu sprechen. Er meinte dann ausweichend, das Risiko hänge schließlich davon ab, mit wem man Sex hat. Da kam für mich die Haltung durch, ich „als Frau“ hätte ja keinen Sex mit „Hochrisikopersonen“, also auch kein Risiko. Und dahinter steckte auch der Gedanke „Man ist selbst schuld, wenn man sich die falschen Sexpartner_innen aussucht“.

In solchen Situationen fühle ich mich als Patientin nicht ernst genommen. Mal davon abgesehen, dass dieses Verhalten auf Ärzteseite unprofessionell und unverantwortlich ist.

Nötig sind Informationen ohne moralische Wertung

Würdest du dir wünschen, dass Ärzt_innen aktiv die PrEP ansprechen?

Auf jeden Fall. Aber ohne moralisch zu werten, sondern neutral. Schließlich geht es darum, dass sexuell aktive Menschen Verantwortung für ihre Gesundheit übernehmen wollen und dafür Informationen benötigen.

Okay, zurück zu „deiner“ PrEP. Hattest du Sorge wegen möglicher Nebenwirkungen?

Ein bisschen, ja. Ich weiß, dass die PrEP die Knochendichte verringern kann. Das sollte man überwachen, wenn man über mehrere Jahre die PrEP nimmt. Meine Nierenwerte werden regelmäßig kontrolliert, das habe ich also im Blick. Mein Arzt betreut mich sehr gut und wir haben zusammen entschieden, dass diese Risiken nicht so schwer wiegen, dass sie gegen die PrEP sprechen würden.

Es geht um Verantwortung für die eigene sexuelle Gesundheit

Und hattest du dann Nebenwirkungen?

Ja, zu Anfang hatte ich Magen-Darm-Probleme. Ich habe die PrEP nach ein paar Tagen abgesetzt, um zu sehen, ob sie die Ursache ist, und sie war es. Aber anschließend habe ich wieder angefangen und dann trotz Nebenwirkungen weitergemacht. Und nach einiger Zeit haben sich die Beschwerden gelegt.

Und jetzt nimmst du täglich eine Tablette.

Ja. Das ist Routine.

Auch bei heterosexuellen Männern ist die HIV-PrEP für Frauen nicht bekannt

Wie reagieren potenzielle Partner, wenn du ihnen erzählst, dass du die PrEP nimmst? Erzählst du es überhaupt?

Ja, ich spreche mit allen meinen Partnern über Schutz. Meistens bin übrigens ich es, die das Thema anspricht. Zum Beispiel, wann sie zum letzten Mal auf Geschlechtskrankheiten einschließlich HIV getestet wurden. Oder wie wir verhüten möchten – mit Kondom? Und wann es zum Einsatz kommen soll.

Meistens bin ich es, die das Thema Schutz anspricht

Die Reaktionen sind gemischt … Die eine Hälfte findet es toll, dass ich das Thema anspreche und Verantwortung übernehme. Viele fragen auch nach, wenn ich von der PrEP erzähle. Und bei der anderen Hälfte fängt es im Kopf zu rattern an. „Wenn sie die PrEP nimmt, was macht sie dann mit den anderen Männern? Sie scheint ja heftige Risiken einzugehen.“ Da geht dann innerlich die rote Warnlampe an.

Und einige Männer möchten eigentlich gar nicht mehr darüber sprechen und nichts darüber hören. Verdrängung ist leider manchmal weiter verbreitet, als man denkt.

Hatten die Männer denn schon von der PrEP gehört?

Nein, für ausnahmslos alle meiner letzten Sexpartner war die PrEP völlig neu. Sie hatten noch nie davon gehört.

Die PrEP befreit den Kopf und verändert den Sex

Was bedeutet die PrEP jetzt für dich beim Sex? Was hat sich verändert?

Die PrEP bedeutet für mich eine weitere Schutzmöglichkeit. Ein bisschen „Peace of mind“ inmitten all der Unwägbarkeiten, die es natürlich immer und überall gibt. Der Kopf rattert nicht mehr, ob das Kondom von Anfang an und die ganze Zeit drauf war. Und die PrEP verändert auch den Sex. Für ein Kondom ist ja eine Erektion nötig, und die ist nun mal nicht immer und nicht immer die ganze Zeit vorhanden. Die PrEP schon.

Außerdem ist mir eben auch wichtig, dass ich diese Schutzmöglichkeit selbst anwenden kann, ohne Männer. Dass ich selbst bestimme, selbst Verantwortung für meinen Schutz übernehmen kann.

Sind Kondome für dich durch die PrEP unnötig geworden? War das auch ein Grund für die PrEP?

Nein, ich spreche auch weiterhin das Thema Kondome mit Partnern an. Da spielt ja auch das Thema Schwangerschaftsverhütung eine Rolle. Und Kondome senken auch das Risiko von Geschlechtskrankheiten. Aber die PrEP macht den Sex jetzt eben viel entspannter.

Ärzt_innen müssen sensibilisiert und besser geschult werden

Gesundheitsminister Spahn hat angekündigt, dass die PrEP zukünftig von den Krankenkassen finanziert werden soll. Wie findest du das?

Absolut richtig und wichtig. Das darf dann aber nicht bei schwulen Männern stehen bleiben. Die PrEP ist auch für manche Frauen eine gute Möglichkeit, sich zu schützen. Und darüber muss auf breiter Ebene informiert werden. Zum Beispiel in gynäkologischen Praxen oder den Gesundheitsämtern. Mit Flyern, Plakaten, Broschüren und so weiter.

Und Ärztinnen und Ärzte sollten die PrEP auch von sich aus ansprechen, und zwar nicht nur HIV-Spezialist_innen. Gerade auch bei Patienten_innen, die weniger privilegiert sind und denen der Zugang zu Informationen und Schutz ohnehin schon erschwert wird. Ärzt_innen müssen hier sensibilisiert und besser geschult werden, auch in der Kommunikation.

Vor Kurzem sagte eine Ärztin, als ich ihr von der PrEP erzählte: „Ich finde es sehr mutig, dass sie so offen darüber sprechen.“ Diese Art von Wertung hat in einem medizinischen Gespräch nichts zu suchen. Ich wünsche mir weniger moralisierende Kommentare und dafür eine bessere medizinische Betreuung. Es sollte selbstverständlich sein, offen über Schutz beim Sex zu kommunizieren und selbst entscheiden zu können, wie man sich schützt.

*Name von der Redaktion geändert

Ausführliche Informationen zum Thema HIV-Prep bei Frauen bietet der HIV-Report 01/2018 der Deutschen AIDS-Hilfe (September 2018). Er kann hier als PDF-Datei heruntergeladen werden.

Englischsprachige Informationen zur HIV-PrEP bei Frauen bietet die Website womanandprep.org.uk.

 

Zurück

Bock bloggt 2 | (Not) that different

Weiter

„Drogengebraucher sind keine Kriminellen, sondern Menschen mit Problemen“

Über

Holger Sweers

Holger Sweers, seit 1999 als Lektor, Autor und Redakteur bei der Deutschen Aidshilfe, kümmert sich um die Redaktionsplanung des Magazins.

1 Kommentar

  1. Danke, dass du deine Erfahrungen teilst!
    Im Sinne eines gesundheitsbewussten Umgangs mit Sex habe ich mich gestern in einer Arztpraxis über STIs informiert und dabei als in der Swingerszene aktiver hetero Mann die PrEP empfohlen bekommen. Die Ärtzin habe nach eigener Aussage selten erlebt, dass das Thema HIV- und STI-Schutz von hetero Männern aktiv verfolgt wird. Da ist wohl genauso(?) ein großer Aufklärungsbedarf wie bei der angesprochenen PrEP für Frauen…?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

+ 5 = 13

Das könnte dich auch interessieren