Am Morgen nach der Meisterfeier von Borussia Dortmund wurde der Straßenstrich in der Dortmunder Nordstadt dichtgemacht. Seitdem setzt man dort auf Repression. Dabei hatte die Kooperation von Stadt und Sexarbeiterinnen Modellcharakter, der auch international Beachtung fand. Peter Rehberg sprach darüber mit Claudia Fischer-Czech, Vorstandsmitglied des Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter (bufas).

Straßenstrich: Die Frauen müssen nun unter schlechteren Bedingungen arbeiten

Wie sah die Zusammenarbeit von Stadt und Sexarbeiterinnen in Dortmund bisher aus?

Die Kooperation fand mit der vom Sozialdienst Katholischer Frauen getragenen Kommunikations- und Beratungsstelle, KOBER, statt. Die hatte einen Container direkt am Straßenstrich, wo die Frauen sich beraten lassen, sich aufwärmen konnten, wo es auch mal eine Mahlzeit gab. Daneben gab es Verrichtungsboxen, in denen die Freier ihr Auto abstellten, sodass nichts mehr in der Öffentlichkeit stattfand. Das Ganze war natürlich auch eine Beruhigung der Nachbarschaft. Insgesamt ein sehr erfolgreiches Modell.

„Verrichtungsboxen“ mit Alarmknopf auf der Beifahrerseite

Erklären Sie uns bitte die Idee der sogenannten „Verrichtungsboxen“. Es gab dort zum Beispiel Alarmknöpfe …

Sexarbeiterinnen sind durchaus Gewalt von Freiern ausgesetzt. In den Boxen konnten die Autotüren nur auf der Beifahrerseite geöffnet werden, auf der es Alarmknöpfe gab. Bei Betätigung ging das Licht an und alarmierte Kolleginnen und die Frauen von KOBER. Das hat die Arbeit für die Frauen natürlich viel sicherer gemacht.

 Welche Gesundheitsdienste konnten denn die Frauen dort bisher in Anspruch nehmen?

KOBER hat Kondome verteilt, zu HIV und sexuell übertragbaren Krankheiten beraten, Adressen für die Untersuchung ausgegeben und mit Sprachvermittlerinnen gearbeitet, um auf Frauen aus anderen EU-Ländern zuzugehen. Außerdem war einmal in der Woche eine ehrenamtlich arbeitende Ärztin anwesend. Das Gesundheitsamt hat dagegen keinen Service angeboten.

„Stimmungsmache und offener Rassismus“

Wie hat sich die Situation in Dortmund in den letzten Jahren verändert?

Es ist passiert, was in vielen Städten Deutschlands passiert: Rumäninnen und Bulgarinnen, die hier legal einer selbstständigen Tätigkeit nachgehen können, sind nach Deutschland gekommen, um sich hier ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die Stadt Dortmund behauptet, das Ganze sei angeschwollen auf eine Größe von 700 Frauen.

Sie zweifeln an diesen Zahlen?

Ich glaube nicht, dass es 700 Frauen waren. Ich kenne die Straße, ich kann mir das nicht vorstellen. Täglich waren etwa 70 Frauen da, selten mehr. Und wenn, dann sind sie sicherlich nicht alle zeitgleich dagewesen, sondern in Schichten. Der Ton, der hier angeschlagen wird, ist wirklich auch sehr rassistisch.

Aus Ihrer Perspektive ist durch den Zuwachs der Sexarbeiterinnen aus Bulgarien das Kooperationsprojekt nicht belastet worden?

Nein, es waren einfach mehr Frauen da. Aber letztlich hat das Modell ja funktioniert. Die Frauen sind gezielt dort hingegangen. Es war nicht so, dass Rumäninnen und Bulgarinnen überall in der Stadt herumstanden und angeschafft haben. Sie haben ganz klar den Ort erkannt und auch genutzt.

Wenn die örtliche SPD von „Menschenhandel“ und „Bandenkriegen“ spricht, dann ist das also Stimmungsmache – oder wie bewerten Sie das?

Ich bewerte das als Stimmungsmache und als einen ganz offenen Rassismus. Was neu ist an der Situation von Frauen, die aus EU-Ländern kommen: dass auch ihre Familienmitglieder nachzogen, im Unterschied zu Frauen, die drei bis sechs Monate hier arbeiten und wieder zurück gehen. Einige der Roma haben ihre Männer mitgebracht, die aufgrund der rechtlichen Regelungen nicht abhängig beschäftigt arbeiten können, deshalb auf dem Arbeitsmarkt wenig Chancen haben und dann als Nicht-Arbeitnehmer als ihre „Zuhälter“ bezeichnet wurden. Auch da ist schon Stimmungsmache drin.

Vertreibung von Prostitution aus den Innenstädten

Sehen Sie die Prostitution als einen Vorwand, vor Ort eine ausländerfeindliche Politik zu betreiben?

Ja. Das passt auch ganz gut zusammen, wenn man sich die Entwicklung in der Prostitutionspolitik allgemein anschaut. Es gibt da einen Backlash. Es ist nicht nur in Dortmund so, sondern auch in Hamburg, wo Investoren darum kämpfen, dass der Stadtteil Sankt Georg aufgewertet wird. Da ist der Straßenstrich am Hansaplatz ein Dorn im Auge. So etwas beobachten wir überall, auch europaweit. Es geht wirklich um die Vertreibung der „sichtbaren, öffentlichen“ Prostitution aus den Innenstädten.

Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang den Vorstoß des Bundesrats, bei dem es um die Verschärfung des Prostitutionsgesetzes hinsichtlich des Kondomgebrauchs geht?

Das hat mit dem Prostitutionsgesetz im Prinzip gar nichts zu tun. Das Prostitutionsgesetz regelt die Sittenwidrigkeit – die abgeschafft worden ist. Es regelt nicht nur, dass man legal arbeiten, sondern auch entweder selbstständig oder angestellt arbeiten kann. Dass die Kondompflicht jetzt dazu kommt, passt für mich in die gesellschaftliche Stimmungslage: jetzt mit Repression zu arbeiten, statt bei der Umsetzung des Prostitutionsgesetzes weiterzumachen. Das Gesetz gibt es ja schon seit zehn Jahren, und trotzdem wird die Ausstrahlungswirkung einfach nicht wahrgenommen.

Was meinen Sie damit?

Eine Forderung ist seit langem zum Beispiel, dass Prostitution als Gewerbe angesehen und auch dementsprechend behandelt wird. Das heißt, wir fordern, dass nicht mehr die Polizei kontrolliert –  denn Prostitution hat nichts mit Strafrecht zu tun – , sondern dass die Gewerbeaufsicht verantwortlich ist und schauen muss: Wie sieht es mit der Hygiene aus? Wie ist die Sicherheit der Frauen und auch der Kunden gewährleistet? Wie sind die Arbeitsbedingungen? Wir klagen eine Normalisierung ein statt eine weitere Kriminalisierung durch die Kondompflicht. Wir reden hier über eine Tätigkeit, die nicht nur legal ist, sondern die auch unter dem Schutz des Grundgesetzes steht. Das wird immer vergessen.

In Bayern überprüfen Polizisten die Kondompflicht

In Bayern gibt es bereits die Kondompflicht. Welche Erfahrungen wurden dort gemacht?

In München wurden Frauen überprüft, ob sie einen Service ohne Kondom anbieten. In Augsburg wurde ähnlich vorgegangen.

Wie kann man das überprüfen?

Indem ein Polizist, der sich als Freier ausgibt, die Frau aufsucht und fragt, ob sie den einen oder anderen Service auch ohne Kondom anbietet. Wenn die Frau dem zustimmt, war das letztendlich schon der Beweis, dass es auch so vollzogen würde.

Was würde in dem Fall mit einer Frau, die in Bayern als Prostituierte arbeitet, passieren?

Beim ernsten Mal gibt es eine Verwarnung, im Wiederholungsfall kann es zu Bußgeldern und im weiteren Verlauf zu Haftstrafen kommen. In Nürnberg hat sich die Polizei geweigert, diesen Weg der Bespitzelung zu gehen. In dem Fall ist sie kein scharfes Schwert mehr. Es ist eine Verordnung, aber wer will sie überprüfen und wie?

In Dortmund kann Prostitution jetzt nicht mehr legal auf der Straße stattfinden. Welche Folgen hat das für die Prostituierten?

Es wurde eine Task-Force eingerichtet, die Prostituierte jagt. Bürger werden aufgefordert, mitzuteilen, wenn ihnen etwas auffällig vorkommt, wenn die Frauen sich eventuell einen anderen Ort suchen auf der Straße. Das ist die absolute Hetze. Das ist das Schlimmste, was ich seit Jahren erlebt habe. Sicherlich ist es auch für einige Frauen möglich, in Clubs und Bars zu arbeiten. Aber das ist auch mit Kosten verbunden. Auf der Straße müssen sie keine Miete zahlen. Die Frage ist, gehen Frauen in angrenzende Städte wie Bochum oder Essen?

Hetze gegen Prostituierte verhindert Prävention

Kann man in dieser Lage die Frauen überhaupt noch präventionstechnisch erreichen?

Natürlich nicht, das ist ja genau das Absurde. Auch KOBER sagt, es hat lange gedauert, Vertrauen aufzubauen, die Arbeit mit den Mediatorinnen zu manifestieren, so dass man mit den Frauen auch arbeiten kann, denn die hatten häufig ein anderes Gesundheitsverständnis. Die Streetworkerinnen haben ihnen gesagt: Es ist wichtig, dass du auf deinen Körper achtest, und sie haben ihnen auch gezeigt, wie man zum Beispiel safe arbeiten kann. Das geht jetzt nicht mehr, wenn man seine Klientinnen auf der Straße suchen muss, mit der Task Force im Hinterhalt.

Das klingt wie in einem schlechten amerikanischen Krimi.

Es ist furchtbar, ja. Aber eine Prostituierte aus Dortmund hat Klage eingereicht gegen die Erweiterung des Sperrbezirks. Ihre Argumentation: Sie wird an ihrer freien Berufsausübung gehindert.

Pressemitteilung der Deutschen AIDS-Hilfe zum Internationalen Hurentag 2011

Erklärung des bufas zum Internationalen Hurentag am 2. Juni

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1 Kommentar

  1. Ich halte es für sehr kurzsichtig, die Prostitution mittels solcher Verfügungen in den Untergrund zu verbannen. Ich kann daher Frau Fischer-Czech nur zustimmen – die Task-Force behindert die Arbeit der Streetworkerinnen.

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