„Wo haben Sie sich das denn eingefangen?“
Es juckt und brennt an Stellen, die Mann als heikel empfindet, und er ahnt bereits, dass dies die Folgen eines One-Night-Stands am zurückliegenden Wochenende gewesen sein könnten. Beunruhigt und besorgt begibt er sich noch am selben Tag in die Notfallklinik und schildert der Empfangsschwester etwas verschämt das Problem.
„Wo ham’ se sich denn dette eingefangen?“ schallt es indiskret und nicht gerade feinfühlig über den Tresen, und der junge Mann suchte lieber das Weite, als auf die benötigte Spritze zu warten.
Diese Szene liegt nun schon einige Jahre zurück, und man mag hoffen, dass sie heute nicht mehr vorstellbar wäre. Andererseits: Sie ereignete sich in der hautärzlichen Fachklinik einer deutschen Metropole. Wo also, wenn nicht dort, hätte man einen adäquaten Umgang mit „sexual transmitted infections“ (STI) – zu deutsch: sexuell übertragbare Krankheiten – erwarten wollen?
Respektloser, diskriminierender Umgang mit Patienten
Wir wissen nicht, ob die Dame mit der direkten Art noch heute auf die selbe Weise in dem Berliner Krankenhaus Dienst tut. Vergleichbare Erlebnisse sind zumindest auch in anderen Gegenden der Republik noch heute erschreckende Realität.
Das bestätigt beispielsweise Stefanie Holm, Ärztin in einer hausärztlich-internistischen Gemeinschaftspraxis in Hannover. Dass STI-Patienten im Gesundheitswesen schlechte Erfahrungen machten, sei keineswegs eine Ausnahme, sondern vielmehr ein „Massenphänomen“.
Ihr jüngster Fall liegt erst wenige Tage zurück. Ein Patient, der von seiner Hausärztin zur Weiterbehandlung der Syphilis in ein Magdeburger Krankenhaus geschickt worden war, sei dort wie ein „Stück Dreck“ behandelt worden. Nun nimmt der Betroffene lieber die weite Anreise nach Hannover in Kauf, um sich nicht weiter dem diskriminierenden Umgang aussetzen zu müssen.
Immer wieder berichteten ihr Patienten vergleichbare Erlebnisse; selbst Hautärzte, „eigentlich Urväter der Geschlechtskrankheiten“, wie sie sagt, hätten bisweilen Schwierigkeiten, den zumeist schwulen STI-Patienten unvoreingenommen zu begegnen.
Homosexuelle Patienten haben es abseits der Metropolen schwerer
Problematisch ist dies vor allem für Homosexuelle in ländlichen und kleinstädtischen Regionen, wo es keine lebendige schwule Szene und daher auch keine Ärzte gibt, die sich auf diese Zielgruppe eingestellt hätten. Aus Angst vor Diskriminierung wagen schwule Patienten auf dem Land oft nicht, sich ihren Hausärzten gegenüber zu outen.
Stattdessen versucht sich mancher seiner Feigwarzen mittels einer Rasierklinge lieber selbst zu entledigen, und manchmal bleibt eine Syphilis im Rachen zu lange schlicht unbemerkt, weil der behandelnde Arzt an diese Möglichkeit nicht einmal zu denken wagte. Stefanie Holm kennt viele solcher Schreckensgeschichten.
Der Magdeburger Patient hat in der Hannoveranerin nun eine Ärztin gefunden, wo er offen über seine gesundheitlichen Probleme und seine Sexualität sprechen kann.Was wie das Normalste der Welt klingt, fällt gerade bei Geschlechtskrankheiten nicht immer so leicht – weder den Patienten noch den Ärzten.
„Alle sind stolz darauf, wenn sie am Wochenende Sex hatten“
„Alle sind stolz darauf, wenn sie am Wochenende Sex hatten, sexuelle übertragbare Krankheiten allerdings sind immer noch mit Makel behaftet.“ Für Hubert Schulbin ist dies ein Widerspruch, der völlig unnötig Probleme und Kummer bereitetet . „Wer das Glück hat, Sex zu haben, sollte sich darüber freuen. Und sollte man sich dabei etwas eingefangen haben, dann lässt sich das behandeln“, gibt er sich ganz pragmatisch.
Der Berliner Internist hat seine Praxis zwar abseits der klassischen Szeneviertel im Stadtteil Kreuzberg, aber selbst manch älteren Damen in seinem Patientenstamm fällt auf, dass sie das Wartezimmer „immer mit so vielen hübschen jungen Männern “ teilen.
Die meisten seiner schwulen HIV-Patienten hätten aufgrund der bereits bestehenden Vertrauensbasis keine Probleme, offen über STIs zu sprechen, berichtet Schulbin. Auch Stefanie Holm macht diese Erfahrung. „Die fangen ganz locker und souverän das Gespräch mit den Satz an ‚Ich brauch da mal wieder eine Spritze…’“
Ich brauch da mal wieder eine Spritze…
Dann aber sind da auch noch jene Patienten, die nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen und die kaum auszusprechen wagen, dass der Verdacht auf eine Syphilis sie in die Praxis getrieben hat. „Man merkt, eigentlich ist alles gesagt, aber irgend etwas bedrückt den Patienten noch. Da muss man doch noch mal nachfragen“, beschreibt Schulbin diese Standardsituation.
In solchen Momenten kommt es allein auf das Feingefühl und Gespür des Arztes an, den richtigen Ton zu finden. „Entscheidend ist für mich, dem Patienten generell auf Augenhöhe zubegegnen, ihn nicht schambehaftet zu behandeln, sondern Optimismus zu verbreiten: Die Sache ist zu behandeln und in den Griff zu kriegen.“
Nicht zu moralisieren, sondern Informationen in gut verständlichem Deutsch zu vermitteln, ist sein Vorsatz. Mediziner-Fachbegriffe schaffen nur Distanz, aber keine Atmosphäre, die es einem Patienten ermöglicht, offen zu sprechen.
„Die meisten sind vollkommen erleichtert, wenn man die Sache beim Namen nennt“, begründet Stefanie Holm ihre Strategie, im Patientengespräch möglichst klar und direkt zur Sache zu sprechen.Doch nicht immer ist eine direkte Art möglich oder konstruktiv; das Arzt-Patienten-Gespräch ähnelt dann vielmehr einem Gang durchs Minenfeld.
Beispielsweise wenn muslimische Familienväter vorstellig werden, die sich möglicherweise beim Sex mit Männern infiziert haben, aber aus Scham niemals darüber sprechen werden.
Heterosexuelle mit STIs sind eine Rarität
„Ich vermeide es, in solchen Situationen aus ihnen herauszukitzeln, wie es zu der Feigwarze oder dem Tripper im Hintern gekommen sein könnte, sondern versuche, gute Medizin zu machen und die Ängste zu nehmen“, sagt Schulbin.
Heterosexuelle mit STIs sind nach Stefanie Holms Erfahrung in den hausärztlichen Praxen eine Rarität. Frauen nehmen zumeist den direkten Weg zum Gynäkologen, Heteromänner treibt nach ausschweifendem Junggesellensabschied und Bordellbesuchen eher das schlechte Gewissen als eine tatsächliche Infektion in die Arztpraxen. Und wenn es bei ihnen dann tatsächlich mal juckt und brennt, verlieren selbst gestandene Kerle den Mut, das Problem offen zu benennen.
Das Gros der STI-Patienten aber stellen Schwule, Bisexuelle und andere Männer, die Sex mit Männern haben. Bei den sexuell besonders Aktiven unter ihnen häufen sich zudem die Infektionen. Mit fast 3.700 Fällen haben die Meldezahlen für Syphilis im Jahr 2011 den bisher höchsten Wert seit Inkrafttreten des Infektionsschutzgesetzes im Jahr 2001 erreicht.
Fast 3.700 Syphilis-Fälle im Jahr 2011
Die weitaus häufigste Infektionsquelle war Sex zwischen Männern: 84 Prozent aller Angaben zu dem wahrscheinlichen Infektionsweg entfielen nach Angaben des Robert-Koch-Instituts auf solche Sexualkontakte.
Hubert Schublin testet seine schwulen HIV-Patienten daher im Rahmen des routinemäßigen Blutbilds quartalsweise prophylaktisch auch auf Syphilis-Erreger. Sabine Holm spricht ihre Risikopatienten auf die ihrer Ansicht nach elementaren Hepatitis A- und B-Impfungen an und testet regelhaft nach Syphilis und Hepatitis C. Ein gutes Dutzend bis dahin unerkannter Infektionen würden so Monat für Monat entdeckt.
Über Infektionsrisiken zu sprechen, falle ihr bei nicht-positiven Männern zumeist wesentlich leichter. Komplizierter werde es für sie bei HIV-Patienten, bei denen sie zum wiederholten Mal eine durch unsafen Sex erworbene Hepatitis- oder Syphilis-Infektion diagnostisiert. „Es ist manchmal eine Sysiphus-Arbeit“, gibt Stefanie Holm unumwunden zu.
„Wenn ich in der Prävention arbeiten würde, wäre ich sicherlich des Öfteren frustriert.“ Die Moralkeule zu schwingen, käme ihr allerdings nie in den Sinn. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall: „Ich habe mich oft gefragt, warum ich gerade in solchen Fällen Hemmungen habe, über das Gesundheitsrisiko des Patienten wie auch das seiner Partner zu sprechen“.
Doch unmittelbar nach der Verkündung einer derartigen Diagnose sei ein denkbar ungeeigneter Moment, um ein Präventionsgespräch zu beginnen. Zudem sei dies wegen des Zeitaufwandes im Praxisalltag oft auch nur schwer zu realisieren.
Qualitätszirkel „Let’s Talk about Sex“
Als sie dieses Dilemma beim DAH-Seminar „Let’s Talk about Sex“ ansprach, wurde Stefanie Holm von den Reaktionen ihrer Kollegen überrascht: Die meisten kannten vergleichbare Fälle und reagierten ähnlich.
Daher sind ihrer Ansicht nach Workshops wie dieser Qualitätszirkel zur HIV-Beratung in Arztpraxen so wichtig: Zum einen, um sich beim Rollenspiel mit Kollegen über Behandlungssituationen auszutauschen und sich gegenseitig Tipps und Feedback zu geben, zum anderen, um sich die Defizite im Dialog mit den Patienten überhaupt erst einmal bewusst zu machen.
Vor allem aber sieht sie eine wichtige Chance, in der Arztpraxis auch HIV-Prävention zu betreiben. „Wir sollten uns aus diesem Bereich nicht herausziehen und diese Arbeit allein den Beratungsstellen und Aidshilfen überlassen“, ist sich die Hannoveranerin sicher.
Weiterführende Beiträge:
DAH-Blogbeitrag zu sexuell übertragbaren Krankheiten in Deutschland
DAH-Blogbeitrag zum ärztlichen Qualitätszirkel „Let’s talk about Sex“. Alle Seminar- und Workshop-Termine auf aidshilfe.de
Grundlegende Informationen zu den wichtigsten sexuell übertragbaren Infektionen auf aidshilfe.de
DAH-Broschüre „Sexuell übertragbare Krankheiten“ (pdf-Download)
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