Zurück ins Leben
Es war der größte Durchbruch in der HIV-Forschung bis heute: Im Juli 1996 wurde auf der XI. Internationalen Aids-Konferenz in Vancouver die „Hoch aktive antiretrovirale Therapie“ (kurz: HAART, heute meist einfach ART) vorgestellt. Zwar gab es schon seit 1987 gegen HIV wirksame Medikamente, doch erst der Einsatz von drei Substanzen zusammen,darunter die neuen „Proteasehemmer“, machte den Unterschied: Die Kombinationstherapie konnte die Vermehrung von HIV im Körper dauerhaft unterbinden.
Innerhalb weniger Wochen erlebten Zehntausende Patientinnen und Patienten, viele von ihnen schon auf dem Sterbebett, ihren Lazarus-Moment – ihre Wiederauferstehung. Einer von ihnen war Ulrich Würdemann. 20 Jahre danach erinnert er sich noch einmal an die Wochen vor dem Wendepunkt, die seine letzten zu sein schienen – und wie sein Leben weiterging.
Die Kombinationstherapie hat aus einer tödlichen Krankheit eine chronische gemacht.
Die Kombinationstherapie hat – zumindest in den reicheren Ländern – aus einer tödlichen Krankheit eine chronische gemacht. 20 Jahre nach Vancouver können die meisten HIV-positiven Menschen in Europa mit einer fast normalen Lebenserwartung rechnen, wenn sie rechtzeitig mit einer Therapie beginnen. Und: Alles ist möglich. HIV-Positive können jeden Beruf ausüben, Sexualität genießen, auf natürliche Weise ein gesundes Kind bekommen. Mit anderen Worten: Die Kombinationstherapie ermöglicht Menschen mit HIV ein langes und erfülltes Leben.
Wenn niemand sie daran hindert. Bis heute müssen Menschen mit HIV mit Stigmatisierung und Diskriminierung rechnen – auch in Deutschland. Diese weiter abzubauen bleibt eine der wichtigsten Aufgaben der Aidshilfen. Eine weitere: in einem der reichsten Länder der Welt auch denen Zugang zu einer lebensrettenden Therapie zu verschaffen, denen er bis heute durch politische Hürden verwehrt bleibt oder erschwert wird. Denn auch das gibt es: Menschen mitten unter uns, die von der Versorgung mit antiretroviralen Medikamenten ausgeschlossen werden. Warum das so ist und was diese Menschen verbindet: Darüber dürfen wir zum Jubiläum nicht schweigen!
Noch lange nicht alle Menschen mit HIV haben Zugang zur Therapie.
Der Alltag mit der ART wirft zugleich Fragen auf, bringt neue Herausforderungen mit sich. Wann beginnen mit der Therapie? Welche Rolle spielen Langzeitfolgen und Nebenwirkungen? Wie umgehen mit Alterserkrankungen, die plötzlich auch Menschen mit HIV betreffen? Dr. Axel Baumgarten, Vorstand der Deutschen Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter (dagnä), berichtet über den veränderten Alltag in den Praxen. Und Professor Dr. Georg Behrens, Präsident der Deutschen AIDS-Gesellschaft, wirft einen Blick in die Zukunft der Kombitherapie und auf die Aussichten, die HIV-Infektion in der Zukunft tatsächlich zu heilen.
International wurden in den letzten Jahren die Anstrengungen immer weiter verstärkt, um HIV und Aids weltweit noch effektiver in die Schranken zu weisen. Noch nie hatten so viele Menschen weltweit Zugang zu Therapien, und doch ist es noch nicht einmal die Hälfte. Von dem Ziel der Vereinten Nationen, Aids bis 2030 zu „beenden“ sind wir noch weit entfernt. Davon berichten wir in dieser Artikelserie ebenso, wie von den Veränderungen im Umgang mit Sexualität, die sich durch die vielleicht schönste „Nebenwirkung“ der HAART ergeben: dass Menschen unter erfolgreicher Kombitherapie für andere nicht mehr ansteckend sind.
13.000 Menschen im Deutschland wissen nichts von ihrer HIV-Infektion
Nicht zuletzt: Rund 13.000 Menschen im Deutschland wissen nichts von ihrer HIV-Infektion und erhalten deswegen auch keine Therapie. Ihre Gesundheit ist in großer Gefahr, manchmal sogar ihr Leben. Noch immer erkranken jedes Jahr mehr als 1.000 Menschen in Deutschland an Aids – obwohl das letzte Stadium der HIV-Infektion vermeidbar ist. Viele gehen nicht zum Test, weil sie Stigmatisierung fürchten: als HIV-positive, als schwule Männer, als Frauen mit einem Sexleben.
Christians Geschichte in unserer „Wussten Sie eigentlich?“-Kampagne steht stellvertretend für sie, ebenso die Geschichte von Christina.
Solange es solche Geschichten gibt, bleibt viel zu tun – nicht nur in der medizinischen Forschung.
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