Bundestagswahl 2025

Solidarität statt Spaltung – schaut bei der Wahl genau hin!

Von Redaktion
DAH-Vorstandsmitglied Ulf Kristal
Ulf Kristal vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe © DAH | Bild: Johannes Berger; Bearbeitung: DAH

#VielfaltWählen: Warum die Deutsche Aidshilfe dazu aufruft, zur Wahl zu gehen und die Stimme für Vielfalt und Demokratie abzugeben, erläutert unser Vorstandsmitglied Ulf Kristal im Interview.

Warum ruft die Deutsche Aidshilfe zur Wahl auf? Sollte sie nicht politisch neutral sein?

Natürlich rufen wir nicht zur Wahl von bestimmten Parteien auf. HIV-Prävention hat jedoch seit jeher eine politische Dimension. Menschen mit HIV haben schon immer Diskriminierung und Stigmatisierung erfahren. Und Aidshilfe entstand als ein Sammelbecken von all jenen Gruppen, die von HIV und Aids besonders betroffen waren und die allesamt bis heute gesellschaftliche Ausgrenzung und Diskriminierung erfahren: schwule Männer, intravenös Drogen konsumierende Menschen, Sexarbeiter*innen, Menschen in Haft und Migrant*innen aus Ländern, in denen HIV häufig vorkommt.

HIV-Prävention hat seit jeher eine politische Dimension.

Wo ist die konkrete Verbindung zum Präventionsauftrag der Aidshilfe?

Die Möglichkeiten von Menschen, ihre Gesundheit zu schützen, werden durch Diskriminierung und Verfolgung massiv geschwächt. Das gilt erst recht für den Schutz vor HIV. Darum setzen wir uns für gesellschaftliche Rahmenbedingungen ein, die Menschen stärken, statt sie zu schwächen – für ein respektvolles und solidarisches Miteinander. Das ist die politische Dimension von Aidshilfearbeit. Deswegen sagen wir: Schaut bei der Wahl genau hin und wählt keine Parteien, die auf Ausgrenzung und Menschenfeindlichkeit setzen.

Die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung wird häufig unter dem Schlagwort „Rechtsruck“ gefasst. Es geht dabei nicht nur um einzelne Parteien, sondern eine größere Verschiebung. Wie würdest du die aktuelle Lage beschreiben?

Genau so: Diese Verschiebung betrifft bei weitem nicht nur die Parteien mit dem Label „rechtsextrem“. Rassistische und andere menschenfeindliche Konzepte werden zunehmend salonfähig. Durch jahrelange Provokationen und gezielte Tabubrüche ist Rechtspopulist*innen eine gefährliche Diskursverschiebung gelungen, die sich auch in einer verschärften Sprache zeigt. So wird nun auch vielfach Wahlkampf auf Kosten von Migrant*innen und Geflüchteten gemacht, etwa indem ihre Anwesenheit in Deutschland pauschal als Problem dargestellt wird und Straftaten Einzelner einer ganzen Gruppe zugeschrieben werden. Eine äußerst traurige und beschämende Entwicklung. Deswegen erinnern wir an Grundwerte wie Menschlichkeit und die Menschenrechte. Es steht derzeit viel auf dem Spiel: Die Feind*innen unserer Demokratie bedrohen auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Dem müssen wir alle uns entschieden entgegenstellen.

Rassistische und andere menschenfeindliche Konzepte werden zunehmend salonfähig.

Welche Gefahren bestehen durch die Zunahme menschenfeindlicher Tendenzen für die Arbeit von Aidshilfe?

Wenn die Menschen gefährdet sind, für die wir da sind, ist auch die Prävention in Gefahr, die wir machen. Wir erleben, wie CSDs und queere Menschen in der Öffentlichkeit von rechts angegriffen werden. Trans Menschen müssen fürchten, dass ihre gerade erkämpften Rechte wie das Selbstbestimmungsgesetz wieder zurückgenommen werden. Migrant*innen haben Angst, dass sie hier bald nicht mehr bleiben dürfen. Solche existenziell bedrohlichen Situationen sind Gift für die Gesundheit der Menschen und die Prävention. Das ist der Rechtsruck durch die Brille von Aidshilfearbeit. Rechtsextreme Positionen und ausgrenzende Haltungen allgemein sind das genaue Gegenteil der Ansätze, die in der Prävention erfolgreich sind.

Ein gutes Miteinander und Füreinander ist gut für die Gesundheit – und zwar aller Menschen.

Kannst du weitere Beispiele geben?

Nehmen wir Drogenpolitik: Wer Menschen nicht erst mal akzeptiert, wie sie sind, sondern sie verfolgt, kann ihnen auch nicht helfen, ihr Leben und ihre Gesundheit zu retten – sondern wird Teil des Problems. Ein anderes Beispiel: Wenn du als queerer Mensch ständig erzählt bekommst, dass du wertlos bist und sogar Gewalt fürchten musst, wirst du deiner Gesundheit vielleicht keinen so hohen Stellenwert einräumen. Ein gutes Miteinander und Füreinander hingegen ist auch gut für die Gesundheit – und zwar aller Menschen.

Auch manche queere oder sozial benachteiligte Menschen teilen rassistische, nationalistische und antimuslimische Haltungen. Von rechter Seite wird hier mit Bedrohungsszenarien und dem Gefühl von Verteilungskämpfen gearbeitet. Wie würdest du auf diese Haltungen reagieren?

Rassistische Erzählungen fallen vor allem dann auf fruchtbaren Boden, wenn für reale Ängste und Sorgen einfache Erklärungen oder Sündenböcke angeboten werden, wie „die Migrant*innen“ oder „alle Muslim*innen“. Ich möchte darum uns alle bitten, immer genau hinzuschauen. Setzt sich die Partei, die gegen Muslim*innen hetzt, wirklich für queere Rechte ein? Ist mir als Geringverdiener*in wirklich geholfen, wenn Asylbewerber*innen noch weniger Leistungen bekommen als ohnehin schon? Sollten wir uns nicht besser gemeinsam für eine sozial gerechte Politik engagieren? Und wohin führt es, wenn ich als queerer Mensch einem Denken in Spaltung und Abgrenzung folge? Säge ich hier nicht meinen eigenen Ast ab? Als einfache Formel würde ich Solidarität statt Spaltung empfehlen.

Dass Menschen mit schweren und übertragbaren Erkrankungen in Deutschland keine Behandlung erhalten, ist nicht hinnehmbar.

Jetzt spielen wir mal „Wünsch dir was!“: Welche drei Maßnahmen sollte eine neue Bundesregierung aus Sicht der DAH sofort umsetzen?

Als Allererstes muss sie die medizinische Versorgung von Menschen ohne Aufenthaltspapiere sicherstellen. Dass Menschen mit schweren und übertragbaren Erkrankungen in Deutschland keine Behandlung erhalten, ist nicht hinnehmbar. Die Ampel hatte im Koalitionsvertrag eine Lösung versprochen, hat aber nicht geliefert. Wir brauchen die Abschaffung der Übermittlungspflicht, wonach die Sozialämter Menschen ohne gültigen Aufenthaltstitel bei der Ausländerbehörde melden müssen, wenn sie die Kostenübernahme von medizinischen Leistungen beantragen. Aus Angst vor Abschiebung trauen sich Menschen nicht, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Und Nummer zwei?

Die Gesetzgebung zur Antidiskriminierung muss weiterentwickelt werden. Das AGG sollte um das Merkmal chronische Krankheiten (wie HIV) erweitert werden. Wir brauchen außerdem ein Verbandsklagerecht, um Gleichbehandlung auch juristisch besser durchsetzen zu können. Und im Arbeitsleben sollten HIV-Tests schlicht verboten werden.

Bei dieser Wahl geht es auch darum, Erreichtes zu bewahren.

Was fehlt noch?

Es geht auch darum, bestimmte Dinge NICHT zu tun, gefährliche Entwicklungen nicht fortzuschreiben. So hoffen wir sehr, dass auch die nächste Bundesregierung keine Gesetze erlässt, die Sexarbeit in irgendeiner Weise kriminalisieren. Das hätte verheerende Folgen für Sicherheit und Gesundheit der Menschen, die dieser Tätigkeit nachgehen. Und wenn mir ein vierter Punkt erlaubt ist: Das neue Selbstbestimmungsgesetz, das Menschen Selbstbestimmung in Bezug auf ihren Geschlechtseintrag gewährleistet, darf nicht rückgängig gemacht werden. Die Diskussion darüber zeigt sehr deutlich: Bei dieser Wahl geht es auch darum, Erreichtes zu bewahren!

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