„Afrikaner in Deutschland brauchen eine starke politische Lobby“
Deutschland hat ein vergleichsweise gut ausgestattetes und organisiertes Gesundheits- und Sozialsystem. Migranten jedoch haben häufig große Schwierigkeiten, einen Zugang zur Versorgung zu finden. Umgekehrt sind diese Gruppen oft besonders schwer mit Aufklärung und Beratung in Sachen HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen (STIs) zu erreichen. Für Clément Matweta gehören diese Herausforderungen seit vielen Jahren zum Arbeitsalltag. 1996 war der Familienvater wegen zunehmender politischer Spannungen aus dem Kongo geflohen und nach Deutschland gekommen.
Über 4.000 Menschen aus Afrika leben im Raum Essen
Seit vielen Jahren engagiert sich der gelernte Elektroingenieur in verschiedenen sozialen Projekten besonders für Migrantinnen und Migranten aus Afrika. So organisiert er beispielsweise unter dem Dach der Essener Caritas das HIV-Beratungsprojekt African Rainbow – ein wichtiges Angebot, denn im Raum Essen leben schätzungsweise rund 4.000 Menschen aus den Regionen südlich der Sahara.
Über die Jahre haben sie inzwischen ihre eigene Infrastruktur und Szene aufgebaut, und Clément Matweta ist Teil von ihr. Vor allem aber spricht er im besten Wortsinn ihre Sprache und verfügt damit über ein entscheidendes Werkzeug, um das nötige Vertrauen aufzubauen. Denn „einfach so“ spricht niemand gern über HIV und Aids.
HIV ist in Afrika im besonderen Maße tabuisiert
„Die Krankheit ist in Afrika im besonderen Maße tabuisiert und moralisch vorbelastet“, sagt Matweta. Aids gilt als Schande, als eine Strafe Gottes und als Folge eines schlecht geführten Lebens. Das macht die Präventionsarbeit nicht unbedingt leicht, zumal die Menschen drängendere Probleme als die HIV-Prävention haben: mangelnden Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt etwa, einen ungeklärten Aufenthaltsstatus oder auch unzureichende Sprachkenntnisse.
Doch weil Matweta für all diese Probleme ein offenes Ohr hat und bei vielem mit Rat und Tat zur Seite stehen kann, ist er längst zu einer vertrauten und vertrauenswürdigen Institution in der Community geworden.
Und er findet dadurch viele Gelegenheiten, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, auch zu Gesundheitsfragen und HIV – in Afroläden und Friseursalons ebenso wie in Frauengruppen, Vereinen und Kirchengemeinden.
In Deutschland gibt es inzwischen eine ganze Reihe Initiativen und Einzelkämpfer wie Matweta und „African Rainbow“. Doch erst jetzt beginnen sie sich miteinander zu vernetzen, angeregt durch Matweta und Pierre Kembo Mayamba, der bei der Essener Aidshilfe das Migrationsprojekt NEKABENE leitet.
Bereits über ein Dutzend Projekte tauschen sich über das neu geschaffene Netzwerk über ihre Erfahrungen und Arbeitsmethoden aus. Ob Afrikaherz in Berlin oder Afride in Hannover, sie alle haben das Ziel, in den afrikanischen Communities in Deutschland nicht nur in Sachen HIV, sondern auch bei anderen Gesundheitsthemen etwas zu bewegen.
Berater und Türöffner für afrikanische Projekte
„Wir wollen anderen Projekten, Vereinen und Selbsthilfeorganisationen als Berater und Türöffner zur Seite stehen, wenn sie Probleme haben“, erklärt Pierre Kembo Mayamba. „Viele wissen oft nicht, wo sie klopfen müssen, um die benötigte Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Daher ist es wichtig, immer im Austausch zu bleiben, zu wissen, wo wir stehen und wie wir unsere Ziele weiterverfolgen können.“
Für Clément Matweta bietet das Netzwerk zudem die Möglichkeit, die auf Afrikaner bezogenen Zerrbilder und Klischees zu brechen und stattdessen zu zeigen, dass Afrikaner in Deutschland sehr wohl selbst etwas in Bewegung setzen können.
In osteuropäischen Communities, so Mayambas Eindruck, werde das Thema HIV und STIs vor allem mit Prostitution in Verbindung gebracht und die Präventionsarbeit mit großem Engagement vorangetrieben. Die afrikanische Community habe es im Vergleich dazu schwerer. „Die ständigen Schlagzeilen über HIV und STIs in Afrika, die steigenden Infektionszahlen dort wie auch hier in den Communities tragen zur Stigmatisierung der afrikanischen Bevölkerung bei“, sagt Pierre Kembo Mayamba. Das Netzwerk solle deshalb auch in die Gesellschaft hineinwirken.
„Wir wollen zu einer Informationsquelle für afrikanische Akteure im Gesundheitsbereich werden, aber auch zu einer Brücke zwischen deutschen Institutionen im Gesundheitswesen und in anderen Bereichen. Wenn dort Informationen gebraucht werden, kann man sich jederzeit an uns wenden“, sagt Mayamba. Nicht zuletzt verspricht er sich durch das Netzwerk eine starke politische Lobby.
Wir brauchen eine starke gemeinsame Stimme
„Ich treffe überall in der Bundesrepublik verstreut auf Menschen, die sich in afrikanischen Communities engagieren, aber der Einzelne ist schwach. Wir brauchen dringend eine starke Stimme, damit wir mit unserer Arbeit und unserem Anliegen vorankommen.“
Mayamba ist zuversichtlich, dass das wirklich zu schaffen ist, nicht zuletzt auch durch die Unterstützung der Deutschen AIDS-Hilfe. Das nächste Netzwerktreffen ist für Dezember geplant. Da soll es bereits um konkrete Projekt wie beispielsweise einen gemeinsamen Flyer gehen.
Weitere Informationen: Selbstdarstellung von AfroLeben+ in Deutsch, Englisch und Französisch (Titel anklicken, dann werden PDF-Dateien der Flyer angeboten)
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