Alle zusammen und jeder wie er kann
Diskriminierung von Menschen mit HIV ist immer noch eher die Regel als die Ausnahme. HIV-Positive werden wegen ihrer HIV-Infektion am Arbeitsplatz gemobbt oder schon beim Einstellungsverfahren aussortiert. Ärzte verweigern aus Angst vor HIV-Übertragungen in ihrer Praxis die Behandlung. Um nur zwei Beispiele zu nennen.
„Wege aus der Diskriminierung – Was können wir gemeinsam tun?“ lautete die Frage einer Talkrunde bei der Eröffnungsveranstaltung der Positiven Begegnungen. Auf dem Podium saßen Gäste aus verschiedenen Bereichen der Selbsthilfe und der Gesellschaft, die sich in besonderer Weise gegen Ausgrenzung und Benachteiligung engagieren. Das Ziel: Rezepte tauschen. Was funktioniert? Was kann man anderswo „nachkochen“?
„Das Recht ist auf Ihrer Seite!“
Die Schirmherrin der Positiven Begegnungen, die Richterin des Bundesverfassungsgerichts Susanne Baer, betonte die Kraft des Grundgesetzes: „Das Recht ist auf Ihrer Seite und Sie können es für sich einfordern. Die Grund- und Menschenrechte gelten für alle, ohne Ausnahmen“. Auf diesen Rechten gelte es zu bestehen, mit allen rechtlichen Mitteln.
Es bedürfe ihrer Erfahrung nach allerdings großer Beharrlichkeit und Stärke, um die bisweilen langwierigen wie schwierigen juristischen Pfade zu gehen, gegebenenfalls bis zu einem Grundsatzurteil. Selbst Niederlagen könnten aber letztlich zu Erfolgen beitragen. Auch sie bringen das Thema in die Öffentlichkeit, auch sie demonstrieren Selbstbwusstsein. Zivilcourage und Offenheit haben allerdings manchmal ihren Preis. „Das weiß ich aus eigener Erfahrung“, sagt die offen lesbisch lebende Juristin.
„Ich will, dass die Leute fragen!“
Carsten Schatz, Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe, saß in einem T-Shirt mit der Aufschrift „ANST“ auf der Bühne. Das Kürzel steht in Polizeidatenbanken für „Ansteckend“ und wird teilweise auch für Menschen mit HIV verwendet.
„Wir müssen Diskriminierungen benennen, dokumentieren und öffentlich machen. Wir müssen uns selbst stark machen und in die Lage versetzen, dagegen vorgehen zu können“, sagt Schatz. Und auf die Frage, warum er aktivistische T-Shirts sogar beim Frühstück im Hotel trage: „Ich will dass die Leute mich danach fragen. Immer, auch beim Frühstück.“
Auch Stephan Gellrich von POSITHIV HANDELN der AIDS-Hilfe NRW plädiert für deutliche Worte: „Manchmal muss man die Botschaft laut unter die Leute bringen, zum Beispiel mit provozierenden Aktionen auf dem Christopher-Street-Day.“ Mit Slogans wie „Testsieger“ oder „Unschuldig!“ macht die Selbsthilfe-Kampagne immer wieder von sich reden.
„Entscheidend ist, dass die Botschaft glaubhaft und authentisch rübergebracht wird“.
Die Maßnahmen müssten aber immer auf die jeweiligen Menschen und Situationen abgestimmt werden, betont Stephan Gellrich. Manchmal sei ein intensives Einzelgespräch der bessere Weg. „Entscheidend ist, dass die Botschaft glaubhaft und authentisch rübergebracht wird“.
Dies ist auch der Kern der Arbeit von Stefan Mannes. Seine Berliner Werbeagentur Kakoii hat in den letzten zehn Jahren die Kampagnen zum Welt-Aids-Tag entwickelt, auch die „Wussten Sie eigentlich?“-Kampagne der Deutschen AIDS-Hilfe entstand in Zusammenarbeit mit Kakoii.
Mannes’ Erfahrung: Der Schlüssel, um Vorurteile und Ängste in der Bevölkerung abzubauen, sind die Geschichten von realen HIV-Positiven und ihrem Alltag. Es geht darum, sie wieder als Mensch wahrzunehmen, nicht nur als HIV-Positive.
Auch in der Arbeitswelt können Positive durch ihren offenen Umgang mit der HIV-Infektion viel bewegen. Ein IBM-Mitarbeiter hat es vorgemacht: Sein Personalchef Dieter Scholz wurde durch ihn an das Thema herangeführt, jetzt sitzt Scholz bei den Positiven Begegnungen auf dem Podium.
Der US-Konzern setze prinzipiell auf Diversity und verfolge eine „Null-Toleranz-Politik“ bei jeglicher Form von Diskriminierung, erklärt der Personalgeschäftsführer für Deutschland, Österreich und die Schweiz. „Es ist wichtig, dass die Geschäftsführung bei Diskriminierungsfällen deutlich reagiert!“ Das könne bis zur Abmahnung gehen.
„Wer kann noch entspannt auf dem Behandlungsstuhl sitzen, wenn er das Recht dazu bei seinem Zahnarzt erst einfordern muss?“
Auch bei Diskriminierung im Gesundheitswesen kann man sich wehren. Im Zweifelsfalle gelte es, das Recht lautstark einzufordern, die Diskriminierung zu melden und öffentlich zu machen, sagt Annette Haberl Ärztin am HIV-Center der Frankfurter Universität. Im idealen Falle könne man den Arzt so zu einer notwendigen Fortbildung bewegen und so Fehlverhalten künftig vermeiden.
Diese Strategie hat allerdings Grenzen. „Wer kann noch entspannt auf dem Behandlungsstuhl sitzen, wenn er das Recht dazu bei seinem Zahnarzt erst einfordern muss?“, spitzt Haberl zu.
Und: Wer lernt schon etwas dazu, wenn er frontal angegriffen wird? „Ärzte ticken nicht anders als andere Menschen“, sagt Haberl. Auch Mediziner hätten Ängste, Unsicherheiten. Wissensdefizite gäben viele ungern zu und reagierten auf Belehrungen abwehrend. Haberl setzt darum neben Fortbildung auch auf kollegiale Gespräche zwischen erfahrenen HIV-Behandlern und ihren Kollegen aus anderen Bereichen.
Jeder kann für sich entscheiden, welche Aktionen zu ihm passen.
Verfassungsrichterin Baer rät analog, auch privaten Gelegenheiten mit Staatsanwälten und Richtern über den medizinischen Stand in Sachen HIV zu sprechen, um eine gute Grundlage für die Urteile der Zukunft zu schaffen.
Letztlich wird, wie Susanne Baer es formuliert, das Zusammenspiel auf unterschiedlichsten Ebenen, das gemeinsame Konzert der verschiedensten Akteure zu Veränderungen und einem Abbau von Diskriminierungen führen.
In diesem Punkt ist die Runde sich einig: Jeder kann für sich entscheiden, welche Reaktionen zu ihm passen, wie viel Aufwand er treiben möchte und wie viel Mut er hat. Ob man nun einen Diskriminierungsfall einfach nur anonym meldet, ob man auf die Straße geht oder bis zum Bundesverfassungsgericht: Alles trägt dazu bei, sich selbst und andere zu stärken.
Axel Schock/howi
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