Alexandra (39) hat vor zehn Jahren ihr positives Testergebnis erhalten. „Die Liebe zu meinem Sohn und der Sport geben mir die Kraft zu zeigen, was trotz der HIV-Infektion in mir steckt“, sagt die alleinerziehende Mutter und Botschafterin des Welt-Aids-Tages 2012. Von Axel Schock

Portrait Alexandra
Alexandra bei der Aachener Aids-Hilfe eine Sportgruppe für HIV-Positive gegründet. (Foto: BzgA)

Was hat dich motiviert, mit deinem Gesicht und deiner Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen?

Ich engagiere mich schon sehr lange ehrenamtlich in der Aidshilfe. So war ich auch als Interviewerin bei dem Projekt „positive stimmen“ mit dabei. Es hat mich betroffen gemacht, mit welchen Stigmatisierungen viele andere HIV-Positive leben. Ich fühlte mich dadurch aufgefordert, etwas dagegen zu unternehmen. Denn glücklicherweise habe ich den Rückhalt meiner Familie und Freunde. Für andere Menschen ist das keine Selbstverständlichkeit. Das war einer der Beweggründe, mich als Botschafterin zu engagieren. Ich sehe für mich dadurch eine Möglichkeit, viele Menschen zu erreichen und das in der Öffentlichkeit herrschende Bild von HIV zu verändern.

Wann bist du zum ersten Mal als HIV-positive Frau an die Öffentlichkeit gegangen?

Ich glaube, als ich mit dem Laufen angefangen habe. Das hat mir unglaubliche Energie gegeben und mich auch mutig gemacht.

Du hast 2009 an dem Projekt „B42“ teilgenommen, bei dem sich Menschen mit HIV professionell betreut auf einen Marathonlauf vorbereiteten.

Das hat mir unglaublich viel Energie und Mut gegeben. In diesem Zusammenhang habe ich dann auch mein erstes Fernsehinterview gegeben.

Ich habe Laufen vorher gehasst!

Warst du vor der Zeit im B 42 schon so sportlich, oder hast du damals eine völlige Persönlichkeitsveränderung durchgemacht?

Ich habe Laufen vorher  gehasst! Hätte mir in der Schule jemand prophezeit, dass ich später mal leidenschaftlich laufen würde, hätte ich den ausgelacht! Ich habe tatsächlich mit zwei Minuten Laufen angefangen, dann wurden es nach einer Weile zehn Minuten. Irgendwann konnte ich eine halbe, dann eineinhalb Stunden laufen.
Diese Erfahrung war phänomenal – gerade wenn man eine solche Krankheit hat. Trotz der HIV-Infektion etwas zu schaffen zu können, wie andere auch, das tut dem eigenen Selbstbewusstsein sehr gut.

Du hast dein positives Testergebnis vor zehn Jahren bekommen. Hattest du damit gerechnet?

Ich war damals schon längere Zeit in Behandlung, ohne dass die Ärzte der Ursache meiner Beschwerden auf den Grund gekommen waren. Sie schlugen dann einen HIV-Test vor. Ich war mir sehr sicher, dass ich nicht infiziert sein konnte, da ich bereits bei meiner Schwangerschaft einen Test gemacht hatte und seitdem verheiratet und treu war.
Meine Symptome – geschwollene Lymphknoten, Nachtschweiß – deuteten allerdings auf eine HIV-Erkrankung hin. Dieses Wissen hatte ich damals schon.

Wie sehr hat es dich und deine Familie belastet, dass der Infektionsweg nicht eindeutig zu bestimmen war?

Daran ist letztlich meine Ehe zerbrochen. Dieses Gespräch mit meinem Ex-Mann steht bis heute noch aus. Wir haben uns gegenseitig vorgeworfen, fremdgegangen zu sein. Später kam bei ihm noch eine Syphilis-Infektion hinzu, damit war die Sache für mich damals klar.

Wir mussten alle lernen, mit dieser Diagnose umzugehen.

Du hast sehr schnell nach deinem Testergebnis mit deiner Familie darüber gesprochen?

Ich habe es meiner Familie noch am gleichen Tag gesagt, außer meinem Bruder. Das war etwas schwieriger; da habe ich noch zwei Wochen gewartet. Ich hatte von allen aber gleich das Signal bekommen, dass sie zu mir stehen. Natürlich gab es auch schwierige Situationen. Schließlich mussten alle erst einmal lernen, mit dieser Diagnose umzugehen – mich eingeschlossen. Nicht zuletzt mussten wir uns alle auch erst das Wissen über die Krankheit aneignen und das Miteinander entwickeln. An dieser Diagnose hängt ja sehr viel: Man überdenkt den Umgang mit dem eigenen Kind und überlegt sich beispielsweise, wie man sich verhalten muss, wenn man sich mal verletzten sollte.

Dein Sohn ist heute 16 und weiß um deine Infektion. War es schwer für dich, das Gespräch mit ihm zu führen?

Man will seinem Kind nur Gutes, es schützen, ihm eine gute Mutter sein – und man weiß, welche Bürde man ihm auferlegt, wenn man ihm so etwas anvertraut. Mein Sohn hatte bereits sehr darunter gelitten, dass unsere Ehe zerbrach.
Danach hatte ich einen Partner, den er sehr mochte und der dann an Krebs verstarb. Auch das war schrecklich für ihn. Daher war ich mir lange unsicher, ob ich ihm das zumuten kann. Als er 13 wurde, hielt ich es für den richtigen Zeitpunkt, um mit ihm über meine HIV-Infektion zu sprechen. Ich hatte vorher versucht, bei Ärzten und der Frauenselbsthilfegruppe Ratschläge und Informationen zu bekommen, wie man ein solches Gespräch führt. Aber keiner hatte bis dato so etwas gemacht, und so konnte mir auch niemand Tipps geben.

Das entscheidende Mutter-Sohn-Gespräch

Für welchen Weg hast du dich dann entschieden?

Ich habe dann das Gespräch während eines gemeinsamen Sommerurlaubs bei einem Waldspazierung gesucht. Ich hielt diesen Moment für passend: niemand konnte uns stören, und wir konnten durch nichts abgelenkt werden.
Ich habe ihm dann auch Menschen aus unserem näheren Umfeld, wie seine Oma und meinen Bruder, an die Hand gegeben, die ihm als Gesprächpartner zur Verfügung stehen würden. Ich hatte sehr gehofft, dass ich alles richtig mache und es auch so funktionieren würde.

Alexandra im Stadium
Alexandra weiß seit zehn Jahren von ihrer HIV-Infektion (Foto: BzgA)

Hattest du Angst, dass dein Sohn durch deine Infektion Anfeindungen ausgesetzt werden könnte?

Ich hatte ihm damals geraten, es in der Schule niemandem zu sagen, weil es eben Menschen mit irrationalen Ängsten und viel Unwissenheit über die Krankheit gibt. Und Kinder können nun mal grausam sein. Er hat es bis heute keinem Schulfreund erzählt. Letzte Woche hat ihn allerdings jemand angesprochen, der über die Welt-Aids-Tag-Kampagne gelesen und mich dort erkannt hat. Mein Sohn erzählte, dass der Freund sehr positiv reagiert hat und sie auch ein gutes Gespräch miteinander geführt haben.

Und wenn sich die Neuigkeit nun noch weiter an seiner Schule verbreitet?

Wir hatten schon vor langem den Deal gemacht: Wir werden nicht schüren, dass es rauskommt, aber wenn es passiert, dann werde ich mich in die Klasse setzen und mit den Schülern sprechen ­– genauso, wie ich es auch mit den Eltern tun würde. Er ist inzwischen 16, und natürlich spreche ich viele meiner Schritte inzwischen mit ihm ab, weil er sie ein stückweit auch mittragen muss.

Es braucht eine große Menge Courage und Selbstbewusstsein, sich einfach mal so in eine Schulklasse zu setzen.

Natürlich habe ich großes Muffensausen vor einer solchen Situation. Aber ein bisschen steckt das wohl in mir drin. Meine Mutter erzählt immer gerne, dass ich mich schon zu meiner Schulzeit wie eine kleine Rechtanwältin aufgeführt hätte.

Die Arbeit an den Schulen gibt meiner Krankheit nun doch noch einen Sinn.

Und du hast auch bereits einige Erfahrungen mit Aufklärungsgesprächen in Schulklassen gesammelt.

Das ist total schön, denn die Schüler sind unglaublich dankbar und froh, wenn jemand kommt, um mit ihnen über Verhütung und Sexualität, übertragbare Krankheiten, aber auch über positives Leben zu sprechen. Mir bringt das unglaublich viel. Es mag vielleicht etwas seltsam klingen, aber diese Arbeit an den Schulen gibt meiner Krankheit nun doch noch einen Sinn.

Eltern haben es mit ihren Kindern in der Pubertät meist eh nicht leicht. Hat deine HIV-Infektion euer Mutter-Sohn-Verhältnis zusätzlich belastet?

Ich denke, dass dies unsere Bindung eher gestärkt und im positiven Sinne intensiviert hat. Wir sind ein eingeschworenes Team geworden. Ich bin mir aber auch im Klaren darüber, dass mein Sohn eine besondere Bürde zu tragen hat. Er ist immer für mich da, wenn’s mir mal nicht so gut geht. Und ich weiß, dass er sich dann viel größere Sorgen macht als andere Kinder, weil er natürlich auch gleich andere Bilder und Ängste im Kopf hat.

Wo siehst du die derzeit wichtigsten Baustellen, um das Leben mit HIV zu verbessern?

Es muss viel mehr gegen die Unwissenheit unter den Menschen unternommen werden. Für die meisten ist die Krankheit ganz weit weg; so, als würden unter ihnen gar keine HIV-Positive leben. Ich würde mir mehr Möglichkeiten der persönlichen Begegnung zwischen positiven und negativen Menschen wünschen, weil man auf diesem Weg sehr viel verändern kann. Das erlebe ich immer wieder bei meiner Präventionsarbeit an Schulen. Auch in Unternehmen und Betrieben sollte man solche Schulungen verstärkt anbieten.

Ein ausführliches Porträt und eine Videobotschaft von Alexandra gibt’s auf www.welt-aids-tag.de

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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