Das war 2012
Welche politischen Ereignisse rund um HIV und Aids haben Schlagzeilen gemacht? Was hat
Strafbarkeit der HIV-Übertragung beenden!
Das im März veröffentlichte Positionspapier „Keine Kriminalisierung von Menschen mit HIV!“ löst eine breite Debatte nicht nur unter Juristen, HIV-Positiven wie Aids-Aktivsten aus. Die DAH fordert, die gängige Rechtspraxis zu beenden, wonach Menschen mit HIV die alleinige Verantwortung für eine mögliche sexuelle Übertragung des Virus aufgebürdet wird. Kurz zuvor hatte die Deutsche AIDS-Hilfe bereits die „Osloer Erklärung“ unterzeichnet, in der Organisationen und Menschen aus zahlreichen Ländern ein Ende der Strafbarkeit fordern.
Nachwuchs in Leipzig
Welt-Aids-Botschafter Thomas ist Vater geworden! Seine Lebensgefährtin Silke brachte am 1. April Sohn Chris-Maurice zur Welt. „Wenn mir nach der Diagnose jemand gesagt hätte, ich würde irgendwann Vater werden, von einem gesunden Kind – den hätte ich für total verrückt gehalten!“, sagte Thomas nach der Geburt. Weil durch seine HIV-Therapie die Viruslast konstant niedrig blieb, konnte Thomas eine natürliche Zeugung wagen, ohne den Virus an seine Partnerin bzw. an den Nachwuchs weiterzugeben.
Gegen den Strich – Sexarbeiterinnen am Internet-Pranger
HIV-positive Sexarbeiterinnen aus Athen werden an den Internet-Pranger gestellt – in der irrigen Annahme, so Freier zu schützen..
Elf Frauen werden im Mai festgenommen und gegen ihren Willen auf HIV getestet. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit wird dadurch massiv verletzt. Doch damit nicht genug: Die Athener Polizei veröffentlicht ihre Gesichter mit vollem Namen und Geburtsdatum im Internet und gibt sie damit der gesamten Welt preis.
Wer sind diese scheinbar rechtlosen Frauen? Sie sollen Opfer von Menschenhandel und Zuhälterei aus Osteuropa sein. Sie sind drogenabhängig und wehrlos. Der griechische Staat hat sie nicht geschützt, sondern wiederum zu Opfern gemacht und sie ein Stück mehr ihrer Menschenwürde beraubt.
Auf Pille sicher: USA lässt Truvada zur HIV-Prävention zu
2010 schafften die USA das Einreiseverbot für Menschen mit HIV ab. Dies war unter anderem Voraussetzung dafür, dass die weltweit größte Aids-Konferenz 2012 im Land der „unbegrenzten Möglichkeiten“ stattfinden konnte. Im Vorfeld der Konferenz konnte man sogar die Löschung des positiven HIV-Status bei den US-Meldebehörden beantragen.
Ob Zufall oder strategische Absicht, kurz vor Beginn der Aids-Konferenz ließ die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA das Medikament Truvada als sogenannte Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) zum Schutz HIV-Negativer vor HIV zu. Die Schutzwirkung in Studien bei schwulen Männern und bei heterosexuellen Paaren aus Kenia und Uganda lag bei Ersteren bei 44 und bei den anderen bei 75 %. Damit liegt sie deutlich unter der des Kondoms (95 %) und der sogenannten „Viruslast-Methode“ (96 %).
Wenn man zudem die monatlichen Kosten von rund 800,- EUR (auf Deutschland bezogen) berücksichtigt, drängt sich unweigerlich die Frage auf, wer hiervon profitieren soll – zumal viele HIV-Infizierte in Entwicklungsländern Medikamente bräuchten, sie aber nicht bekommen. Eine Finanzierung der PrEP außerhalb von Studien in Entwicklungs- und Schwellenländern scheint nicht denkbar. Selbst in den Industrienationen wird es fraglich sein, wer sich die Kosten leisten kann und vor allem will.
Und in den USA? Hier soll die PrEP vor allem Gruppen zukommen, die besonders von HIV betroffen sind. Dies sind vor allem Afroamerikaner und Latinos. Beide Gruppen aber verfügen überproportional häufig nicht einmal über eine Krankenversicherung.
Welt-Aids-Konferenz Washington
Die Welt-Aids-Konferenz im Juli in Washington ist geprägt von Widersprüchen: US-Außenministerin Hillary Clinton sichert die Unterstützung der USA im Kampf gegen HIV/Aids zu und macht Hoffnung auf eine „Aids-freie Generation“, gleichzeitig aber durften Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter sowie Drogengebraucher nicht zu dem Kongress die USA einreisen. Dagegen formierte sich lautstarker und ideenreicher Protest.
War over – Der Krieg gegen Drogen ist nicht zu gewinnen
„Intravenöser Drogengebrauch ist für ein Drittel der neuen HIV-Infektionen außerhalb Subsahara-Afrikas verantwortlich“, heißt es im Bericht der „Globalen Kommission zur Drogenpolitik“.
Es geht um Geld, um sehr viel Geld. Der Jahresumsatz mit illegalisierten Drogen liegt bei geschätzten 330 Milliarden Dollar. Das ist etwa so viel wie in der Textilindustrie. Jährlich verschlingt dieser Krieg rund 100 Milliarden Dollar, ohne Erfolge. Dazu das menschliche Leid: Allein in Mexiko gab es in den zurückliegenden fünf Jahren rund 50.000 Tote im Krieg gegen Drogen.
Zahlen für Deutschland: Jedes Jahr werden für Betäubungsmitteldelikte Freiheitsstrafen (inklusive Bewährungsstrafen) von 300.000 Monaten verhängt, das sind mehr als 25.000 Jahre bzw. mehr als 300 Menschenleben pro Jahr (Statistisches Bundesamt, 2007). Laut einer vom Bundesgesundheitsministerium in Auftrag gegebenen Studie entstehen pro Jahr mindestens 3,8 Milliarden Euro Ausgaben aufgrund des Drogenverbotes. Das sind 317 Millionen Euro pro Monat bzw. 10,4 Millionen Euro pro Tag.
Noch scheint ein anderer Umgang mit illegalisierten Drogen in den meisten Gesellschaften dieser Erde aus ideologischen Gründen kaum vorstellbar. Doch die Ergebnisses jahrzehntelanger repressiver Drogenpolitik machen deutlich, wie wichtig ein Strategiewechsel ist.
HIV-positive Ärzte in den OP!
Eine im August herausgegebene gemeinsame Empfehlung der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten (DVV) und der Gesellschaft für Virologie GfV) macht dem Quasi-Berufsverbot von HIV-positiven OP-Ärzten ein Ende. Denn, so die Experten: eine HIV-Übertragung durch infiziertes medizinisches Personal auf Patienten sei bei nichtinvasiven medizinischen Maßnahmen „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ ausgeschlossen, wenn die üblichen Maßnahmen zur Hygiene eingehalten werden.
Positive Begegnungen Wolfsburg
Zwei besonders emotionale Ereignisse kennzeichnen die Positiven Begegnungen im August in Wolfsburg. Rund 200 Menschen setzten mit ihrer Demonstration durch die Fußgängerzone ein kraftvolles Zeichen gegen Diskriminierung und die Strafbarkeit der HIV-Übertragung. Überschattet wurde der Kongress durch einen gewaltsamen Angriff auf zwei schwule Konferenzteilnehmer, die in der Innenstadt niedergeschlagen wurden.
Trauer um Dirk Bach, und das Ende von kreuz.net
Mit Dirk Bach, der am 1. Oktober 51-jährig überraschend einem Herzleiden erlegen war, ist nicht nur ein gefeierter Schauspieler und Entertainer gestorben, sondern auch ein engagierter Homosexuellen- und Aidsaktivist. Der verleumderische Nachruf auf kreuz.net löst einen Sturm der Entrüstung aus – und führt schließlich dazu, dass das homophobe, antisemitische wie islamfeindliche katholische Nachrichtenportal offline geht.
Safer Sex ohne Kondom ist möglich
Es gibt ein sicheres, kondomfreies Sexleben auch mit HIV. Wer seit mindestens sechs Monaten eine Viruslast unter der Nachweisgrenze hat, die Therapie konsequent durchführt und keine anderen symptomatischen Geschlechtskrankheiten hat, überträgt HIV bei Kondomverzicht mit einer Wahrscheinlichkeit, die der von Safer Sex mit Kondom entspricht. Was diese Erkenntnisse für das (Sex-)Leben, die Behandlung und die Prävention bedeuten, wurde im September mit „HIV im Fokus“ im Berliner Roten Rathaus erstmals auf einem deutschen Fachkongress diskutiert. Auch der Nationale AIDS-Beirat macht sich dafür stark, die präventive Wirkung von HIV-Therapien „offen und öffentlichkeitswirksam“ zu kommunizieren.
20.000 mal Rat und Hilfe im Netz
Seit fünf Jahren erhalten Hilfesuchende auf www.aidshilfe-beratung.de fachkundigen Rat in allen Fragen rund um HIV und Aids. Am 10. September wurde bereits die 20.000 Anfrage beantwortet. Absender war ein junger Mann, der nach einem sexuellen Erlebnis und einer schlaflosen Nacht um die fachliche Einschätzung des Infektionsrisikos bat. „Unsere große Stärke ist die Vielfalt in unserem Team: Schwule, Lesben und Heteros, darunter selbstverständlich auch Menschen mit HIV. Wir kennen die Lebenswelten unserer Zielgruppen und wissen, wovon wir reden“, nennt Werner Bock, fachlicher Leiter der Onlineberatung, als einen der wichtigsten Gründe für die hohe Qualität der Beratungsarbeit.
Zum Tod des IWITT-Botschafters Markus
Als 2010 die bundesweite Welt-Aidstags-Kampagne „Positiv zusammen leben“ startete, gehörte Markus zu den ersten Mutigen, die als Botschafter der bis dahin europaweit einmaligen Kampagne mit HIV-Positiven mit dabei waren. Markus’ bewegende Lebensgeschichte und sein Engagement bei ICH WEISS WAS ICH TU hat auch dort viele Menschen berührt. Markus’ gab HIV ein Gesicht. „Um die Ausgrenzung zu beenden“, sagte Markus, „muss man den Menschen die Angst nehmen“. Am 27. November ist er an den Folgen einer Krebserkrankung verstorben.
„positive stimmen“ verschaffen sich Gehör!
Ein einmaliges Projekt legt im August überraschende wie erschreckende Zahlen vor. Ein halbes Jahr hatten rund 40 speziell geschulte HIV-positive Interviewerinnen und Interviewer in ganz Deutschland erstaunliche 1.148 andere Menschen mit HIV über ihre Erfahrungen mit Stigmatisierung befragt. 29% der Befragten etwa gehen gegenüber ihrem Arbeitgeber offen mit ihrer Infektion um – mehr als meist vermutet. Knapp 77% der Befragten hatten im Jahr vor der Befragung Diskriminierung erlebt – von Tratsch über Beleidigungen bis hin zu tätlichen Angriffen. www.positive-stimmen.de
Hatz auf Homosexuelle
In vielen Ländern Osteuropas wird die Lage von Schwulen und Lesben immer bedrohlicher. In Belgrad kapituliert der Rechtssaat erneut vor rechten Drohungen und verbietet wie schon im Vorjahr den „Belgrad Pride“ – wegen „Sicherheitsbedenken“.
In der Ukraine, Georgien und in den russischen Städten St. Petersburg und Moskau wäre eine Gay Pride Demonstration überhaupt nicht mehr denkbar – dort überall sind Gesetze in Vorbereitung bzw. schon ratifiziert, die die Propagierung von Homosexualität’ unter Strafe stellen. Positive Kommentare zur Homosexualität oder die Einfuhr und Verbreitung von Materialen, die „Homosexualität bewerben“ können zum Teil mit mehrjährigen Haftstrafen geahndet werden.
Madonna machte bei ihrem St. Petersburger Konzert die Probe aufs Exempel und erntete eine Strafanzeige. Weil sie in Moskau zum Coming-out ermunterte, droht Lady Gaga nun eine Geldstrafe. In der ukrainischen Hauptstadt Kiew gingen Nationalisten mit Tränengas gegen Schwule und Lesben vor, die gegen das geplante Verbot von „Homo-Propaganda“ demonstrierten.
Welt-Aidstags-Botschafterin Marika schreibt Geschichte
„Ich lebe schon 23 Jahre mit dem Virus, und es ist einfach Zeit, mit dem Versteckspiel aufzuhören“, sagt die 52-jährige Marika. Über lange Jahre wurde Marika von der Drogensucht beherrscht. Doch durch eine Substitutionsbehandlung hat sie ihr Leben wieder in den Griff bekommen – und auch den Mut gefunden, offen zu ihrer HIV-Infektion zu stehen. Sie ist die erste substituierte Welt-Aidstags-Botschafterin.
Marikas ist nur eine von vielen durch Drogenersatzprogramme ermöglichten Erfolgsgeschichten. Am Landgericht Augsburg ist man davon offensichtlich unbeeindruckt. Die Klagen zweier Inhaftierter auf Substitutionsbehandlung wurden niedergeschlagen.
Ehrung für das Frankfurter Café Karussell
Das schwule Seniorenprojekt „Café Karussell“ im offenen Szenetreff Switchboard der AIDS-Hilfe Frankfurt wurde im Dezember mit dem diesjährigen Hans-Peter-Hauschild-Preis ausgezeichnet. „Es schlägt Brücken zwischen altgedienten Polittunten und versteckt lebenden Homosexuellen, die erst auf ihre alten Tage lernen, dass der Paragraph 175 der Vergangenheit angehört. Es bietet den Raum für neue Freundschaften und das Flicken der durch das Aidsgeschehen oder einfach nur das Alter löchrig gewordenen sozialen Netze“, lobte Bernd Aretz, HIV-Aktivist der ersten Stunde, in seiner Laudatio das seit 2009 bestehende Projekt.
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