Die Vereinten Nationen setzen mit dem Zero Discrimination Day am 1. März ein klares Zeichen gegen die Diskriminierung und für die Gleichbehandlung. Welche Formen von Diskriminierung Menschen mit HIV in Deutschland immer noch erleben und wie sie sich dagegen wehren können, erzählt Kerstin Mörsch von der DAH-Kontaktstelle zu HIV-bezogener Diskriminierung.

Kerstin, seit über drei Jahren bist du die Ansprechpartnerin in der Kontaktstelle zu HIV-bezogener Diskriminierung der Deutschen AIDS-Hilfe. Was genau ist deine Aufgabe?

Wir beraten Menschen, die aufgrund ihrer HIV-Infektion Diskriminierung erfahren haben, und unterstützen sie auch dabei, etwas gegen diese Diskriminierung zu unternehmen.

Mit welchen Formen von Diskriminierung hast du es dabei am meisten zu tun?

Ganz typisch sind Fälle, bei denen Leute zahnmedizinische oder zahnchirurgische Behandlungen in Anspruch nehmen wollen und den letzten Termin am Ende des Tages zugeteilt bekommen  mit der Begründung, dass nach ihnen besondere hygienische Maßnahmen erforderlich seien. Doch dafür gibt es keinerlei Grund, denn die Standardhygiene reicht vollkommen aus. Auch in Reha-Maßnahmen kommt es immer wieder zu Diskriminierung, wie auch auf der Selbsthilfe-Konferenz „Positive Begegnungen“ 2016 thematisiert wurde. Zur weiteren Arbeit gegen Diskriminierung in solchen Einrichtungen haben wir deshalb auf der Konferenz die ThemenwerkstattReha, wir kommen“ ins Leben gerufen. Sie hat eine Onlineumfrage zum Thema HIV und Reha erarbeitet, die zum Zero Discrimination Day gestartet ist.

Onlinebefragung zum Thema HIV und Rehabilitation gestartet

Welches Ziel verfolgt ihr mit der Befragung?

Zum einen fragen wir, was Menschen mit HIV bei Reha-Maßnahmen für sich erwarten und welche besonderen Bedürfnisse sie haben. Zum anderen sollen Reha-Erfahrungen zusammengetragen werden, um so gezielt Verbesserungen in den Einrichtungen anregen zu können. Die Umfrage wird drei Monate online bleiben. Dass großer Bedarf besteht, haben uns die ersten Testfragebogen gezeigt: Die Hälfte der 16 Teilnehmenden haben bei ihrem Reha-Aufenthalt diskriminierende Erfahrungen gemacht.

Welche Vorkommnisse wurden beispielsweise genannt?

Es kommt immer wieder vor, dass Leute aufgrund ihrer HIV-Infektion an bestimmten Angeboten nicht teilnehmen durften. Sie sollten zum Beispiel nicht das Schwimmbad benutzen. Auch von unnötigen Hygienemaßnahmen wird berichtet. Dass bei einer Physiotherapie eines HIV-positiven Patienten Handschuhe getragen werden, ist einfach entwürdigend.

Worauf ist ein solches Verhalten zurückzuführen?

Viele HIV-positive Reha-Teilnehmer_innen haben den Eindruck gewonnen, dass das Wissen um HIV in solchen Einrichtungen oft sehr rudimentär ist und deshalb auch irrationale Infektionsängste bestehen oder dass solche Infektionsängste bei den Mitpatient_innen vermutet werden. Das hat auch zur Folge, dass Menschen mit HIV von den behandelnden Ärzt_innen und Therapeut_innen angehalten werden, gegenüber anderen nicht über ihre Infektion zu sprechen, auch nicht in Gruppentherapiesitzungen. Das ist eine besonders problematische Form der Diskriminierung.

Auch in Rehakliniken kommt es zu Diskriminierungen

Welche Auswirkungen kann ein solches Redeverbot denn haben?

Mehr und mehr Menschen nehmen heutzutage Reha-Maßnahmen aufgrund von psychosomatischen Erkrankungen oder psychischen Belastungen in Anspruch. Bei vielen HIV-Positiven dürfte die HIV-Infektion als chronische Erkrankung, als zu verarbeitendes Erlebnis oder als Ursache einer Diskriminierungserfahrung in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen. Wenn dann in einer solchen Reha-Maßnahme aber genau darüber nicht gesprochen werden darf, ist der Erfolg der Therapie von vornherein beeinträchtigt – und kann von den Betroffenen zudem als Re-Traumatisierung erlebt werden. Das ist auch deshalb so fatal, weil die meist mehrwöchigen Reha-Maßnahmen von vielen dazu genutzt werden, um zum Beispiel nach einem beruflichen Burn-out ihr Leben neu zu justieren.

Müssen Menschen mit HIV immer noch befürchten, dass ihre Krankenakten besonders markiert werden?

Dies kommt leider weiterhin vor. Der HIV-Status wird zum Beispiel durch einen roten Punkt oder den Vermerk „HIV“ auf der Krankenakte gekennzeichnet. Damit ist eine wichtige Gesundheitsinformation über den Patienten oder die Patientin für alle zu sehen. Dies ist nicht nur eine gravierende Verletzung des Datenschutzes, sondern auch ein Bruch des Vertrauens im Arzt-Patient-Verhältnis.

Bei Einstellungsverfahren wird von Bewerber_innen im Rahmen des Gesundheitschecks bisweilen auch ein freiwilliger HIV-Test erwartet. Wie sollten sich Menschen mit HIV in einer solchen Situation verhalten?

Was tun, wenn man Opfer von Diskriminierung geworden ist?

Wir haben in Deutschland keine Berufsverbote für Menschen mit HIV, deshalb ist ein HIV-Test im Rahmen der Einstellungsuntersuchung völlig unnötig. Nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist die Frage nach einer Behinderung in Einstellungsverfahren nicht zulässig. Damit stellt auch der HIV-Test in diesem Kontext unserer Position nach einen Verstoß gegen das AGG dar. Wenn es dennoch dazu kommt, sollte man versuchen, ihn abzulehnen oder den Betriebsarzt oder die Betriebsärztin darauf hinweisen, dass auch für ihn oder sie die Verschwiegenheitspflicht gilt.

Was kann man als Betroffene_r konkret tun, wenn man Opfer von Diskriminierung geworden ist?

Zunächst ist es wichtig, dass die Menschen diese Diskriminierungserfahrung ernst nehmen. Denn sie hat Auswirkungen nicht nur auf die eigene Person und das Selbstbewusstsein, sondern auch auf die Gesundheit und das Sexualverhalten. Man sollte sich überlegen, mit wem man darüber sprechen und wer einem behilflich sein kann, gegen die Diskriminierung vorzugehen.

Wenn sich jemand entscheidet, diesen Schritt zu gehen und sich aktiv zu wehren: Wie kann man dabei vorgehen?

Eine Beschwerde zu führen, ist manchmal ein zähes Geschäft. Das zeigen die Erfahrungen, und dessen sollte man sich auch bewusst sein. Und dennoch, vielleicht auch gerade deshalb: Es stärkt jene Menschen, die den Mut und die Energie dazu aufbringen, ungemein. Es macht ein gutes Gefühl, weil man sich gewehrt hat und damit für sich und andere Menschen mit HIV die Situation verbessert.

Unterstützung dabei kann man bei dir in der Kontaktstelle bekommen. Welche Bündnispartner gibt es darüber hinaus noch?

Es ist sinnvoll, nicht allein vorzugehen, sondern nach guten Kooperationspartnern Ausschau zu halten. Dies sind zunächst natürlich die Aidshilfen vor Ort. Bei Diskriminierungen in der Arbeitswelt sind es auch die Arbeitnehmervertretungen und Gewerkschaften, die zudem auch die Möglichkeit haben, nicht nur im konkreten Einzelfall etwas zu verändern, sondern auch innerhalb der Strukturen. Wichtige Partner_innen sind außerdem die Antidiskriminierungsstellen, die es in fast allen Bundesländern gibt.

Kontaktstelle zu HIV-bezogener Diskriminierung:  
Kerstin Mörsch, Deutsche AIDS-Hilfe e.V. , Wilhelmstr. 138, 10963 Berlin
Telefon: 030 690087-67 (Bürozeiten: Mo, Di und Fr 9–15 Uhr)
E-Mail: gegendiskriminierung@dah.aidshilfe.de.

Weiterführende Links:

Onlineumfrage „HIV und Reha“

UNAIDS zum Zero Discrimination Day

Weiterführende Beiträge zum Thema:

Patient_innenrechte: Aktiv gegen Diskriminierung im Gesundheitswesen

Keine Angst vor HIV in der Zahnarztpraxis!

„Gleichbehandlung ist ein Gewinn für uns alle“ – Interview mit Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes

Lesetipp: Die DAH-Broschüre Deine Rechte, deine Möglichkeiten geht kurz auf Stigmatisierung und Diskriminierung ein und zeigt dann auf, welche Möglichkeiten und Rechte Menschen mit HIV bei Versicherungen, am Arbeitsplatz, im Gesundheitswesen und als Eltern haben. Am Ende der Broschüre erfährt man, wo man im Diskriminierungsfall Rat und Unterstützung bekommt.

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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