Ein Gesicht hinter den Zahlen: Stephanie Schmidt (1965–2010)
1331. Das ist die Zahl der „Drogentoten“ des Jahres 2009. Gedacht wird der verstorbenen Drogengebraucher alljährlich am 21. Juli: Angehörige, Freunde und solidarische Mitbürger erinnern an die Geschichten hinter diesen Zahlen. Und sie fordern ein „menschenwürdiges Leben mit Drogen“ ein – so der Slogan von JES e. V., dem bundesweiten Selbsthilfenetzwerk von Junkies, Ehemaligen und Substituierten, das den Gedenktag mitveranstaltet.
„Drogentote“ dagegen klingt nach Elend, der schnellen Injektion im Hauseingang, weggeworfenen Spritzen. All das gibt es, auch heute noch. Aber man kann auch andere Geschichten erzählen. Von Drogengebrauchern, die ihr Leben in die Hand nehmen. Die sich selbst und anderen helfen. Sich politisch engagieren. Die selbstbewusst ihr Gesicht in der Öffentlichkeit zeigen, sich nicht diskriminieren und ausgrenzen lassen.
Stephanie Schmidt, 1965 geboren und am 22. Januar 2010 gestorben, war so ein Mensch. „Ich gebe nicht auf!“, überschrieb sie einen im April 2004 erschienenen Beitrag zu ihrer Lebensgeschichte. Sie beschreibt darin, wie sie 1991 – damals Mutter zweier kleiner Kinder –vom Heroin loskommen, eine Substitutionstherapie beginnen will. Sie scheitert jedoch an der juristischen Lage, weil sie weder mit HIV noch Hepatitis-C-Virus infiziert ist. Ein halbes Jahr später liegt sie, nur noch 41 Kilo schwer, mit einer Lungenentzündung im Krankenhaus. Die Diagnose: HIV und Hepatitis C. Sie macht sich Vorwürfe, hat Angst – das Jugendamt hat schon manchen Drogengebraucherinnen die Kinder entzogen. Von der Infektion erzählt sie niemandem. Immerhin: Sie wird ins Methadonprogramm aufgenommen.
Jahrelang haben Drogen ihr Leben bestimmt. Nachdem sich ihre Gesundheit stabilisiert hat, will sie die verlorene Zeit mit ihren Kindern nachholen. Und sie engagiert sich, gründet mit Unterstützung der Aidshilfe Braunschweig eine JES-Gruppe in der Stadt. 1993 erzählt sie dann einer Kollegin in der Aidshilfe von ihrer HIV-Infektion. Die ist zunächst geschockt, Stephanie aber erleichtert. Von da an versteckt sie sich nicht mehr, zeigt stattdessen ihr Gesicht in der Öffentlichkeit, kämpft politisch gegen Ausgrenzung von HIV-Positiven und Drogengebrauchern. Über viele Jahre ist sie Bindeglied zwischen dem JES-Netzwerk und dem Aidshilfeverband, wirkt als kraftvolle und sympathische Interessenvertreterin auf regionaler und auf Bundesebene.
Ein letztes Mal wird sie Ende Oktober 2009 zur öffentlichen Frau: Im Rahmen der Braunschweiger Aktion „Aids braucht positive Gesichter“ prangt ihr Konterfei lebensgroß auf einer Braunschweiger Straßenbahn.
Mit ihrem Tod im Januar 2010 haben JES und die Aids- und Drogenhilfen ein wahrhaft positives Gesicht verloren. Stephanies Beispiel aber bleibt und macht Mut: „Ich gebe nicht auf!“
(Holger Sweers)
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