Frauen und HIV

Der Club der roten Schuhe

Von Gastbeitrag
HIV und Aids – auch ein Thema für Frauen
HIV-positive Frauen haben besondere Bedürfnisse, die es zu beachten gilt. Seit rund 10 Jahren entwickelt und begleitet eine Bundesarbeitsgemeinschaft der Aidshilfen frauenspezifische Angebote.

Marianne Rademacher ist auf der Suche nach Verlinkungen. Die Frauenreferentin der Deutschen AIDS-Hilfe scrollt über die neue Website der Bundesarbeitsgemeinschaft Frauen – kurz BAG Frauen – und guckt fragend in die Runde. Um eine Tischgruppe sitzen zwölf Frauen und diskutieren, wie die Website nach ihrem Relaunch funktioniert und ob alle wichtigen Informationen an ihrem Platz sind.

frauenundhiv.info ging 2011 online und ist eines der wichtigsten Kommunikationsinstrumente des Gremiums, das vor rund zehn Jahren gegründet wurde. Bereits wenige Wochen nach dem Start der Seite wurde sie mit dem dritten Platz des Info-Awards ausgezeichnet. Doch keine Zeit, sich auszuruhen: Die Website wird regelmäßig überarbeitet und mit aktuellen Informationen gefüttert.

HIV und Aids – auch ein Thema für Frauen

Das Markenzeichen der aktuellen Kampagne: Schuhe. Ob Pumps, Birkenstock-Sandalen oder Turnschuhe – sie sind alle anders. So wie auch alle Frauen anders sind, die trotzdem eines gemeinsam haben: Sie können sich mit HIV infizieren – wie alle Menschen.

Das wissen die Frauen, die sich an diesem Tag in der Bundesgeschäftsstelle der Deutschen AIDS-Hilfe in Berlin treffen, nur zu genau. Sie arbeiten für Aidshilfen im gesamten Bundesgebiet und beschäftigen sich in unterschiedlichen Funktionen speziell mit Frauen und HIV – als Referentinnen oder auch als Beraterinnen in lokalen Aidshilfen.

„Hier wird nicht nur geredet, hier wird gehandelt“

Die halbjährlichen Treffen der Bundesarbeitsgemeinschaft bieten ihnen eine Plattform, um sich auszutauschen. Aber Diskussion ist nicht alles. „Hier wird nicht nur geredet, hier wird gehandelt“, sagt Petra Hielscher, Landeskoordinatorin der Aidshilfe für den Bereich Frauen in Nordrhein-Westfalen. Die Teilnehmerinnen unterstreichen die Effektivität der zweitägigen Treffen. „Darum wird man von den männlichen Kollegen auch beneidet“, sagt Annette Biskamp von der Aidshilfe Hamburg und lacht. Trotz der Zusatzbelastung versuche sie immer, zu den Treffen nach Berlin zu kommen: „Es ist wichtig, dass Frauenthemen einen festen Platz haben. Das ist keineswegs selbstverständlich.“

Die Arbeitsgemeinschaft fördert frauenspezifische Angebote in Aidshilfen. Sie wirkt als politisches Gremium innerhalb des Verbandes, will aber auch in der Öffentlichkeit für die Angelegenheiten von Frauen sensibilisieren. Bei den Treffen werden aktuelle Themen aus der Praxis besprochen, die so direkt in die Arbeit des entsprechenden Fachbereichs der Deutschen AIDS-Hilfe einfließen können. „Für mich als Frauenreferentin ist die BAG deshalb ein besonders wichtiges Gremium“, sagt Marianne Rademacher.

Bis Frauen als Betroffene wahrgenommen wurden, hat es lange gedauert

Dass Frauenthemen innerhalb der Aidshilfe inzwischen fest verankert sind, ist auch ein Verdienst der Arbeitsgemeinschaft. Denn historisch gesehen wurden HIV und Aids nicht nur von der Gesamtgesellschaft als Männerthemen wahrgenommen, sondern auch innerhalb der Institutionen. Claudia Fischer-Czech, die 1993 die erste DAH-Frauenreferentin wurde, schrieb in einem Beitrag zum Band „10 Jahre Deutsche AIDS-Hilfe. Geschichten und Geschichte“, die Aidshilfe könne als eine Antwort schwuler Männer auf die damals beginnende Aids­krise verstanden werden. Trotzdem seien Frauen von Anfang an involviert gewesen – als Freundinnen und Verwandte, aber auch als professionelle Helferinnen.

„Oft stehen die Männer im Fokus“

Bis Frauen aber auch als Betroffene wahrgenommen wurden, habe es lange gedauert. Das nicht konfliktfreie Zweierbündnis aus Schwulen und Junkies, das sich mit der Zeit gebildet hätte, sei von Männern dominiert worden. Der Tatsache, dass unter den Drogenabhängigen auch viele Frauen waren, sei anfangs kaum Beachtung geschenkt worden. Sie sei schlichtweg unter den Tisch gefallen. Geändert habe sich das erst um 1990, als klar wurde, dass Frauen in den Aidshilfen keine passenden Angebote vorfanden.

Dieses Problem sehen die Mitglieder der BAG Frauen auch heute noch. „Oft stehen die Männer im Fokus. Medikamente wirken aber bei Frauen anders“, sagt Yvonne Bach aus Darmstadt, die unter anderem in der Beratung von HIV-Positiven arbeitet.

Schwangerschaft und Stillen mit HIV – auch das sind Themen. Glücklicherweise hat die Medizin Fortschritte gemacht. Vaginale Geburten etwa seien normaler geworden, sagt Petra Hielscher. „Aber eine bestimmte Grundhaltung hat sich nicht verändert. Wir sind in unserer Gesellschaft weit davon entfernt, dass das Thema HIV frei von Stigmatisierung ist.“ Es gebe immer noch die Vorstellung, dass „ganz normale Hetero-Frauen“ kein HIV bekämen, bestätigt Annette Biskamp. Manchmal kämen Ärzte gar nicht auf die Idee, Frauen dahingehend zu untersuchen – auch jetzt noch, nach 30 Jahren Kampf gegen Aids. So seien es vor allem unter Frauen viele „Late Presenter“, die erst in einem relativ späten Stadium der Krankheit die Diagnose bekommen.

„Wir sind weit davon entfernt, dass das Thema HIV frei von Stigmatisierung ist“

Dagegen kämpft die BAG Frauen mit Aufklärungskampagnen und spezifischen Informationsangeboten für Frauen. Einen Kern seiner Arbeit sieht das Gremium darin, Ressourcen zu nutzen, bestehendes Wissen und Materialien zu bündeln und den lokalen Aidshilfen zur Verfügung zu stellen. „Sonst fängt jede immer wieder von vorne an“, erklärt Petra Hielscher.

Bei den Treffen können die Frauen aus ganz unterschiedlichen Erfahrungen schöpfen. Inzwischen seien fast alle Bundesländer vertreten, sagt DAH-Frauenreferentin Marianne Rademacher, die die regelmäßigen Treffen organisiert und die Aktivitäten der BAG koordiniert. Gerade für kleine Aidshilfen mit wenig Hauptamtlichen sei es schwer, regelmäßig teilzunehmen. Wer nicht kommen könne, werde aber im Nachhinein mit Infos versorgt.

Die lokalen Aidshilfen sind ganz unterschiedlich aufgestellt – auch, was das Thema Frauen betrifft. „Nicht jede Aidshilfe kann einen Frauenbereich anbieten“, sagt Petra Hielscher. „Das ist in jedem Ort völlig anders. Ich bewundere immer Nordrhein-Westfalen – was die alles auf die Beine stellen“, sagt Annette Biskamp von der Aidshilfe Hamburg mit Blick auf die Kollegin. Yvonne Bach aus Darmstadt berichtet, dass in Hessen eine Landesarbeitsgemeinschaft für Frauen erst noch entstehen solle.

Die Arbeit für Frauen in der Aidshilfe stärken

Gegründet wurde die BAG Frauen 2006 von Silke Klumb, die damals Frauen- und Migrationsreferentin war und heute Geschäftsführerin der Deutschen AIDS-Hilfe ist. Es herrsche oft das Gefühl, dass Frauenarbeit zu kurz kommt, erzählt sie. „Ziel war die Stärkung der Frauenarbeit in der Aidshilfe – dort, wo sich Frauen relativ alleine gefühlt haben.“ Sie habe ein konstruktives Angebot machen wollen, an dem Frauen aus möglichst vielen unterschiedlichen Regionen beteiligt werden. „Es geht uns darum, Dinge gemeinsam zu entwickeln“, betont sie.

„Solange Frauen Angst vor Stigmatisierung haben, müssen wir weiterarbeiten“

Nachdem sie den Startschuss gegeben hatte, begleitete sie das Gremium für anderthalb Jahre – bis Marianne Rademacher Frauenreferentin wurde. Die Geschäftsführerin unterstreicht: „Ich finde, dass die unglaublich tolle Arbeit machen – von der Website bis zu den Broschüren.“ Entwickelt wurden etwa die Kampagnen „Sie können sich nicht vor allem schützen…“ und die aktuelle Serie „Passt? Passt immer: Informationen zu HIV“. Auf humorvolle und Art und Weise und mit ansprechenden Bildern sollen Frauen in allen Lebenslagen erreicht werden.

Die kontinuierliche Arbeit trägt Früchte. Inzwischen sei es viel selbstverständlicher geworden, dass es auf Bundesebene einen Frauenbereich gebe, sagt Petra Hielscher. „Ich glaube, dass die BAG der Frauenarbeit in den letzten zehn Jahren mehr Gesicht gegeben hat.“ Trotzdem sei noch viel zu tun. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Frauen werde auch weiterhin gebraucht, betont Hielscher. Denn der Kampf gegen Diskriminierung müsse weitergehen. „Solange Frauen in Deutschland Angst vor Stigmatisierung haben, müssen wir weiterarbeiten.“

Von Inga Dreyer

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