„Mit HIV muss ich leben. Mit Kollegen, die mich diskriminieren, nicht“, heißt es auf einem zum Welt-Aids-Tag 2010 verbreiteten Postkartenmotiv. Es ist gut, dass die Deutsche AIDS-Hilfe „HIV am Arbeitsplatz“ zu einem ihrer Schwerpunktthemen gemacht hat. In der bisherigen Diskussion hierzu sind Häftlinge jedoch kaum berücksichtigt worden. Eigentlich erstaunlich, denn in Deutschland gibt es wohl keinen Lebensbereich, in dem HIV-Positive am Arbeitsplatz stärker diskriminiert werden als in Gefängnissen.  

Im Justizvollzug wird HIV-bezogene Diskriminierung gefördert. Foto: Peter Reinäcker, pixelio.de
Im Justizvollzug wird HIV-bezogene Diskriminierung gefördert. Foto: Peter Reinäcker, pixelio.de

Die zugewiesene Arbeit richtet sich nach den Möglichkeiten und Bedarfen der Anstalt

Arbeit in Haft ist Mangelware. Nur etwa die Hälfte der mehr als 60.000 Menschen im deutschen Strafvollzug hat einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz. Dem Anspruch, die Resozialisierung Gefangener durch „geregelte Arbeit“ zu fördern, wird man damit nicht gerecht. Häftlinge können auch nicht selbst entscheiden, welche Arbeit sie verrichten oder welchen Beruf sie erlernen möchten. Art und Umfang der zugewiesenen Arbeit richten sich in der Regel nach den Möglichkeiten und Bedarfen der Vollzugsanstalt, die oft in der Grundversorgung des Gefängnisbetriebs liegen, wie etwa in der Bäckerei, Küche, Wäscherei, Gärtnerei, Schlosserei oder Tischlerei. Manche der größeren Haftanstalten haben auch eigene Unternehmen, so etwa in den Bereichen Montage oder Fertigstellung.

Arbeitende Häftlinge erhalten ein geringes Arbeitsentgelt, das je nach Tätigkeit in fünf Stufen gestaffelt ist. Danach liegt der Stundenlohn zwischen 1,15 € und 1,92 €. Rechnet man ihn auf einen Sieben-Stunden-Tag hoch, kommt man auf einen Tageslohn von 8,05 € bis 13,32 €. Davon hat der Häftling drei Siebtel zur „freien“ Verfügung, der Rest dient als „Überbrückungsgeld“ für die Zeit nach der Entlassung oder wird zur Abzahlung von Schulden verwendet.

Arbeitende Häftlinge werden um einen wichtigen Teil der sozialen Absicherung betrogen

Obwohl der Gesetzgeber im Strafvollzugsgesetz von 1976/1977 bereits vorgegeben hatte, arbeitende Strafgefangene in die Rentenversicherung einzubeziehen, ist ein solches Gesetz nie erlassen worden. Der Staat spart sich dadurch jährlich 160 Millionen Euro Rentenbeiträge. Arbeitende Gefangene werden dadurch um einen wichtigen Teil der sozialen Absicherung betrogen – ein Skandal, den sich ein Rechtsstaat eigentlich nicht leisten dürfte. Um dieses Unrecht endlich zu beenden, führte das Grundrechtekomitee vor wenigen Wochen eine Unterschriftenaktion durch – 1.598 Unterschriften wurden an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags übergeben.

Trotz geringer Entlohnung und fehlender sozialer Absicherung sind Arbeitsplätze bei den meisten Gefangenen begehrt, weil dort praktische Erfahrungen gesammelt und manchmal auch Berufsabschlüsse nachgeholt werden können. Arbeit in Haft eröffnet Handlungsspielräume und Begegnungsmöglichkeiten und bringt Abwechslung in den ansonsten eher reizarmen Alltag. Und nicht zuletzt ist mit begehrten Jobs – zum Beispiel in der Bibliothek, Küche oder Bäckerei – ein Aufstieg in der Gefangenenhierarchie möglich.

Wegen HIV vom Küchendienst ausgeschlossen

HIV-Positive sind am Arbeitsplatz in Haft mit den gleichen Vorurteilen, Klischees und Zuschreibungen konfrontiert wie im Erwerbsleben draußen: Mitgefangene wie Bedienstete nehmen sie häufig als „Infektionsherde“ mit riskantem Verhalten wahr und reagieren dann mit Angst, Ablehnung und Ausgrenzung. Dem weiß man in Freiheit mit Aufklärung, Antidiskriminierungsmaßnahmen und dem Arbeitsrecht zu begegnen, im Justizvollzug dagegen scheint man darauf verzichten zu können.

Für Gefangene mit HIV (oder einer anderen chronischen Erkrankung wie Hepatitis C) sind die Arbeitsmöglichkeiten daher oft begrenzt. So kommt es zum Beispiel immer wieder vor, dass sie nicht in der Küche, Bäckerei oder Essensausgabe, zum Teil auch nicht in der Wäscherei beschäftigt werden. Hinter vorgehaltener Hand wird das dann mit „Übertragungsrisiken“ begründet, und dass es Aufruhr unter den Mithäftlingen zu vermeiden gelte. Außerdem trage man Verantwortung für alle Gefangenen und habe folglich auch die Sicherheitsbedürfnisse der Nichtinfizierten zu berücksichtigen. Bei HIV-positiven Häftlingen sei es fraglich, ob sie die Möglichkeiten des Infektionsschutzes genauso beachten würden wie Menschen in Freiheit.

Unsinnige Maßnahmen statt Information und Aufklärung

Weil ein mit HIV begründeter Ausschluss von bestimmten Beschäftigungsbereichen aber eine Diskriminierung darstellt, werden andere Gründe angegeben, wie etwa, dass es für den betreffenden Arbeitsplatz besser geeignete Anwärter gebe. Das kann dann z. B. bedeuten, dass ein HIV-Positiver seine draußen begonnene Bäckerausbildung in Haft nicht abschließen kann. Anstatt alle im Justizvollzug lebenden und arbeitenden Menschen über HIV zu informieren und aufzuklären – auch und gerade darüber, wie HIV eben nicht übertragen werden kann –, werden unbegründete Ängste und Diskriminierungen durch unsinnige Maßnahmen verfestigt.

Entlassungen oder Mobbing wegen HIV sind außerhalb des Vollzugs rechtlich anfechtbar. Auch Justizvollzugsanstalten sind kein rechtsfreier Raum, doch die Möglichkeiten, sich zur Wehr zu setzen – zum Beispiel durch eine Klage – sind hier begrenzt. Dabei hätte der Vollzug in punkto Antidiskriminierung wichtige Aufgaben zu erfüllen. Bedenklich ist es in jedem Fall, wenn der Staat in seinen Institutionen duldet, dass das Recht ausgehebelt wird und Unrecht geschieht.

Peter Wiessner

 

Literatur:

Bärbel Knorr: Arbeit, Sozialversicherung und Geld hinter Gittern. In: Betreuung im Strafvollzug. Ein Handbuch. 4. Auflage, Berlin: Deutsche AIDS-Hilfe 2008

Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe

Grundrechtekomitee

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1 Kommentar

  1. „Auch Justizvollzugsanstalten sind kein rechtsfreier Raum“ das ist die Kernaussage, die oftmals von den JVA’en nicht beachtet wird. So ist es die mir bekannte Regel, dass in Bay. JVA’en die Häftlinge keine schriftlichen Bescheide bekommen, wenn sie z.B. Eingaben oder Beschwerden einreichen. Konkret: Wenn ein in Freiheit substituierter Häftling diese Behandlung auch im Vollzug beantragt bekommt er diese in aller Regel nicht und er bekommt schon gar keinen schriftlichen Bescheid darüber, warum diese Behandlung nicht gewährt wird. Recht muss Recht bleiben auch hinter Gittern!

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