Junge Menschen mit HIV: Frische Ideen für Vernetzung und Interessenvertretung
Junge Leute wollen nicht über Krankheit reden. Ihre Devise lautet: „Es geht mir doch gut.“ Ist das ein Klischee – oder die Erklärung dafür, dass Selbsthilfeangebote von ihnen kaum genutzt werden?
Vielleicht ist auch der Begriff „Selbsthilfe“ nicht mehr zeitgemäß – zum Beispiel für das, was in Internet-Communities an Austausch stattfindet. Wie sieht es mit den immer mehr Initiativen für Gruppen und Netzwerke junger HIV-Positiver aus, deren Aktivitäten alles andere als verstaubt wirken?Antworten von Corinna Gekeler.
Junge Lebenswelt = neue Gruppen
„Wir jungen Positiven haben eigene Bedürfnisse, Interessen und Erfahrungen. Das war lange unsichtbar, aber es gibt uns!“, berichtet Marcel vom Netzwerk jung und positiv. Der Endzwanziger setzt sich bereits seit einigen Jahren mit Gleichgesinnten für die Gründung und bundesweite Vernetzung örtlicher Gruppen für junge Menschen mit HIV ein. „Auf unserer Homepage www.jungundpositiv.de findet man auch Ansprechpartner, die bei der Gründung neuer Gruppen behilflich sein können.“ Die Seite befindet sich noch im Aufbau und stellt sich vor als ein Angebot „von engagierten jungen Menschen mit HIV und AIDS für junge Menschen mit der Immunschwäche.“
Das Netzwerk gestaltet auch die jährlichen Treffen der Jungpositiven im Tagungshaus Waldschlösschen, die von positiv e.V., der DAH und dem Waldschlösschen unterstützt werden und gerade zum siebten Mal stattfanden. „Ende August laden wir auf den Positiven Begegnungen in Bielefeld zum Kennenlernen und Fragenstellen in unseren offenen Raum ein“, heißt es auf der Netzwerkseite weiter.
Positive Selbsthilfe: Immer das Gleiche?
Einen selbstverständlichen Umgang mit HIV erleben. Sich über Probleme mit der Infektion austauschen. In gemeinsamen Unternehmungen ein Miteinander erfahren. All das trägt zur Stärkung des Selbstbewusstseins und besseren Bewältigung des Lebens mit HIV bei. Diese Erfahrungen sind neben der gemeinsamen Interessenvertretung von Anfang an Grundsteine „positiver Selbsthilfe“.
Die eine, von allen Menschen mit HIV geteilte Lebenswelt aber gibt es so nicht bzw. nicht mehr. Die weit auseinander liegenden Altersgruppen machen sehr unterschiedliche Erfahrungen. Junge Menschen interessieren sich für ganz andere Themen und Aktivitäten – es macht schon etwas aus, in welcher Lebensphase man sich mit Krankheit und Einschränkungen auseinandersetzen muss.
Die eine, von allen Menschen mit HIV geteilte Lebenswelt gibt es nicht
„Hinzu kommt, dass HIV in unserer Gesellschaft immer noch stark tabuisiert bzw. von den meisten Menschen moralisch bewertet wird. Das macht es gerade für junge Menschen, die ihre Sexualität gerade entdecken, so schwer, offen damit umzugehen. Vor allem, wenn sie schwul sind“, erläutert Dr. Stefan Timmermanns weitere Gründe für das Bedürfnis, eigene Wege zu gehen. Für den DAH-Referenten für Menschen mit HIV ist „das Internet sicher ein gutes Medium, um Informationen zu vermitteln und einen ersten Kontakt herzustellen. Aber um zum Beispiel die Schuldfrage zu entschärfen, braucht es eine andere Qualität der Begegnung, und zwar die von Mensch zu Mensch.“
Solche Begegnungen finden zum Beispiel in Selbsthilfegruppen für junge Positive statt. Michael Bohl, Mitarbeiter der AIDS-Hilfe Frankfurt mit langjähriger Erfahrung im Anleiten solcher Gruppen, meint: „Die Prozesse der Selbsthilfearbeit sind nach wie vor sehr hilfreich für den Einzelnen und die Gruppen. Auch die bewährten Konzepte aus der Positivenarbeit erweisen sich als durchaus zeitgemäß. Das Rad muss also nicht neu erfunden werden, aber Community-Bildung und Vernetzung wurden durch das Internet wesentlich erweitert.“
Zusammen mit der AIDS-Hilfe Köln bieten die Frankfurter im August 2010 zum dritten Mal ein verlängertes Wochenende für HIV-positive und schwule Männer bis 30 Jahre aus ganz Deutschland in Willingen an. Die Teilnehmer kommen aus Städten mit Angeboten für junge schwule Positive, um diese untereinander zu vernetzen und auch mit Teilnehmern aus solchen Regionen in Kontakt zu bringen, in denen es bislang keine speziellen Angebote gibt. „Alle sollen ermuntert werden, sich für solche Angebote einzusetzen und damit die Szene zu verändern“, heißt es in der Ankündigung.
Woher kommt die junge Selbsthilfe?
An den Wochenenden in Willingen steht auch „praktische Anleitung zur Gründung von Selbsthilfegruppen für junge, schwule, positive Männer“ auf dem Programm. In Frankfurt kam die Initiative zur Gründung einer eigenen Gruppe von einem ehrenamtlichen Mitarbeiter, der sich bereits im Internet mit anderen Positiven ausgetauscht hatte und ein Treffen organisieren wollte.
Solche Initiativen scheinen jedoch nicht immer auf so offene Ohren wie in Frankfurt zu stoßen. „Und schon gar nicht auf offene Arme, denn die Organisationsstruktur erschwert manchmal schon die Raumnutzung oder ähnliche Formen der Unterstützung“, weiß Marcel zu berichten. Für Michael Bohl steht fest, „dass von der jeweiligen Gruppe selbst formulierte Bedürfnisse die besten Voraussetzungen sind, aber Unterstützung brauchen. Aber Aidshilfen sollten auch ihr Gespür für die Sprachlosigkeit und den Bedarf anderer Betroffener nutzen und entsprechende Angebote schaffen.“
Das Klischee, Selbsthilfe sei eher etwas für ältere Menschen, hat die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS) untersucht. Um auch junge Leute zu motivieren, die Möglichkeiten der Selbsthilfe zu nutzen, ließ NAKOS das „gemeinschaftliche Engagement in der Selbsthilfe der Altersgruppe der ca. 18- bis Ende 20-Jährigen“ erforschen. Gefragt wurde auch nach besonderen Unterstützungserfordernissen von Selbsthilfegruppen junger Menschen und nach einer zielgruppen- und situationsgerechten mediale Ansprache.
„Dabei wollen junge Menschen selten ausschließlich über ihre Krankheit reden, sondern vor allem darüber, was diese Krankheit für ihren jeweiligen Lebenskontext bedeutet“, sagt Miriam Walther von NAKOS und ergänzt „Wie können sie es zum Beispiel schaffen, sich von zu Hause abzunabeln und trotz Krankheit ein selbstbestimmtes Leben zu führen?“
NAKOS hat dazu eine Internetseite unter www.schon-mal-an-selbsthilfegruppen-gedacht.de eingerichtet und stellt Informations- und Werbematerialien bereit, um auf die Chancen der Selbsthilfe aufmerksam zu machen und jungen Menschen die Scheu davor zu nehmen.
(Corinna Gekeler)
Quellen/Informationen
http://www.jungundpositiv.de
http://www.nakos.de/site/schwerpunkte-und-projekte/2009/junge-menschen/expertisen/
http://www.aerztezeitung.de/panorama/?sid=613489
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