Seit 1. April 2015 läuft das Buddy-Projekt „Sprungbrett“: Hier geben speziell geschulte HIV-Positive Unterstützung bei den ersten Schritten im Leben mit HIV. Eine erste Bilanz und ein Interview mit Jan, der das Angebot genutzt hat.

Obwohl das Buddy-Projekt „Sprungbrett“ gerade mal 100 Tage alt ist, können die Macher_innen bereits ein positives Fazit ziehen. „Bis jetzt haben 36 Menschen mit HIV Kontakt zu Sprungbrett aufgenommen und nach einem Buddy gefragt. Das ist deutlich mehr, als wir erwartet hatten!“, freut sich Projektleiterin Heike Gronski. „Schon in den ersten Wochen haben medizinische Einrichtungen und Schwerpunktpraxen HIV-Positive an uns vermittelt. Offenbar schließt Sprungbrett tatsächlich eine Lücke zwischen medizinischer Versorgung und klassischer Beratung.“

73 % der Projektnutzer_innen haben ihr Testergebnis vor weniger als einem Jahr bekommen und gehören somit genau zu der Gruppe, die das Projekt erreichen will. Drei Viertel sind homo- und ein Viertel heterosexuell, was der Verteilung der 2014 vom Robert Koch-Institut (RKI) erfassten HIV-Neudiagnosen entspricht. Dagegen sind nur 17 % der Begleiteten nichtdeutscher Herkunft, obwohl laut RKI etwa ein Drittel der HIV-Neudiagnosen auf Migrant_innen entfällt. „Um diese Gruppe besser zu erreichen, wollen wir 2016 das Fremdsprachenpotenzial der Buddys nutzen und unsere Homepage mehrsprachig gestalten.“

Gesucht: Buddy-Anwärter aus Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen

Das bundesweite Buddy-Projekt ging am 1. April 2015 mit 24 speziell geschulten Buddys an den Start. Für das laufende Jahr sind zwei weitere Schulungen geplant, sodass bis Ende 2015 etwa 50 Buddys bereitstehen werden. „Für die Schulung im Herbst suchen wir vor allem HIV-Positive aus Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen, die Buddy werden möchten“, erklärt Heike Gronski. „Interessierte können sich hier anmelden.“

Was ein Projekt wie Sprungbrett bewirken kann, hat uns Jan erzählt. Noch vor ein paar Monaten stand der 36-jährige Betriebswirt aus der Nähe von Frankfurt am Main mitten im Leben, alles war perfekt. Dann bekam er die Diagnose „HIV-positiv“. Jan war geschockt. Für ihn bedeutete es das Ende – bis er „seinen Buddy“ traf. Wir haben mit Jan über die erste Zeit nach der Diagnose, die Rolle des Buddys und über sein wiedergewonnenes Lebensgefühl gesprochen.

Jan, wann hast du deine Diagnose bekommen?

Das war letzten Februar nach einem längeren Urlaub. Als ich wieder zu Hause war, bekam ich Fieber. Ich tippte auf eine Grippe und ging zu meinem Hausarzt, der mich dann wegen Verdachts auf Malaria ins Krankenhaus eingewiesen hat. Nach ein paar Tagen auf der Isolierstation ging es mir wieder deutlich besser.

Ich hatte schon mit nichts Bösem mehr gerechnet, als der Chefarzt in mein Zimmer kam und meinte: „Wir müssen uns mal unterhalten.“ Er holte tief Luft und sagte: „Die Blutuntersuchungen haben ergeben, dass Sie HIV-positiv sind. Die Ergebnisse zeigen, dass Sie sich vor kurzem infiziert haben. Es tut mir sehr leid.“

„Für mich ist eine ganze Welt zusammengebrochen“

Was ging dir da durch den Kopf?

Für mich ist eine ganze Welt zusammengebrochen. Ich dachte immer: Mich trifft das nicht. Ich habe schließlich immer verhütet. Die HIV-Infektion war für mich eine Krankheit, die Drogenabhängige und Prostituierte bekommen. Aber sie hat auch mich getroffen, und zwar mit voller Wucht. Ich hatte sofort Zahlen im Kopf: Zwei bis drei Jahre, so viel Zeit bleibt mir noch zum Leben.

Gab es schon in dieser Situation jemanden, der dir geholfen hat?

Natürlich haben die Ärzte versucht, mich aufzupäppeln. Sie sagten mir, dass man mit HIV heute gut leben kann und eine frühe Behandlung eine normale Lebenserwartung ermöglicht. Aber ich hatte nur Horrorgeschichten im Kopf, den Film Philadelphia, Freddie Mercury – einfach, dass die Leute mit der Diagnose schnell weggestorben sind. Ich hatte starke Gewissensbisse, wusste nicht, was schiefgegangen ist. Ich war doch, was den Kondomgebrauch angeht, immer wie der Teufel hinter der armen Seele her.

Ich habe nichts mehr verstanden. Alles, was mir die Ärzte zu sagen versuchten, hörte ich zwar, aber es kam nicht bei mir an. Ich spürte Lebensgefahr und hatte massive Ängste. Auch meine zwei besten Freunde versuchten, mich aufzufangen und durch Aufklärung zu beruhigen – vergebens. Ich rechnete fest damit, dass ich bald sterbe.

„Ich rechnete fest damit, dass ich bald sterbe“

Wie ging es dann weiter?

Ein guter Freund hat mich ins HIV-Zentrum zur Sprechstunde begleitet. Dort musste ich erst mal ins Labor zur Blutuntersuchung. Da sind mir schon die Tränen gekommen. Ich war verzweifelt, machte mir Vorwürfe und fragte mich, bei wem und wo ich mich infiziert haben könnte. Der Krankenpfleger versuchte mich zu beruhigen. Auch der Arzt hat wieder auf mich eingeredet, um mir die Angst zu nehmen.

Die Angst vor dem baldigen Tod?

Ja, aber auch die Angst vor den Krankheiten, die ausbrechen können, Lungen- oder Hirnhautentzündung, Tuberkulose und so weiter. Die Angst, ich würde auf Pflege angewiesen sein. Die Angst, dass meine Eltern es erfahren könnten. Und ich hatte auch massive Angst vor einem sozialen und wirtschaftlichen Abstieg: dass ich durch die Erkrankung nicht mehr arbeiten kann und Hartz IV-Empfänger werde. Zwar bin ich weiterhin zur Arbeit gegangen, aber es war total schwer für mich, ganz bei der Sache zu sein. Ich war eben ständig mit meinen Problemen beschäftigt. So lebte ich nur noch in den Tag hinein, hatte Angst, die Wohnung zu verlassen. Ich war froh, wenn wieder ein Tag rum war. Es war für mich wie ein Kampf.

Wie bist du dann auf das Buddy-Projekt gestoßen?

Ich erfuhr davon ganz zufällig. Beim Googeln stolperte ich über einen Artikel, wo es hieß, dass die Deutsche AIDS-Hilfe das Buddy-Projekt ins Leben gerufen hat. Ich las das und setzte mich dann auch gleich mit zwei Buddys in Verbindung: Mit einer Frau, die vom Alter her meine Mutter sein könnte – mit ihr habe ich mehrmals telefoniert. Und mit einem Mann, Dominik, der aus meiner Region kommt. In ihm habe ich den älteren Bruder gesehen. Beide waren für mich gewissermaßen ein Ersatz für Menschen aus meinem nächsten Umfeld. Beide haben mir auch umgehend geantwortet. Schon ein paar Tage später habe ich mich mit Dominik getroffen.

„Mein Buddy hat mich aus diesem Loch herausgezogen“

Und der Buddy konnte dir dann helfen?

Als ich Dominik traf, war ich ganz tief in einem Loch. Ich hatte schon mit allem abgeschlossen: Ich hatte meine beiden besten Freunde in alles eingeweiht, etwa in meine finanziellen Angelegenheiten. Ich hatte meinen Ärzten verboten, nach meinem Tod meine Familie über die Diagnose zu informieren. Ich hatte eine Patientenverfügung und eine Vorsorgevollmacht erstellt. Alles war vorbereitet für den Tag X. Mein Buddy hat mich gepackt und aus diesem Loch herausgezogen. Durch ihn wurde es immer besser. Ich fing wieder an, am Leben teilzunehmen.

Warum konnte ausgerechnet der Buddy dir die Angst nehmen – und nicht die Ärzte?

Weil er ein Betroffener ist wie ich. Dominik hat dasselbe durchlebt wie ich. Er kann also meine Zweifel, Ängste und Befürchtungen verstehen. Er weiß einfach, was in mir vorgeht und was ich durchmache. Und er hat mir durch sich selbst gezeigt, dass es sich mit der Infektion tatsächlich leben lässt.

Er saß vor mir mit schlechteren Werten als ich. Trotzdem fühlte er sich gesundheitlich gut, erzählte von seiner Arbeit und dass er in den Urlaub fliegen wird. Auch mit der Infektion machte er also immer noch das, was er tun wollte. Ich konnte so sehen, dass er ein ganz normales Leben führt. Mit dem einzigen Unterschied, dass er Tabletten einnehmen muss.

Mein Buddy hat mir bewiesen, dass das Leben weiterhin lebens- und liebenswert ist. Er sagte mir: „Gib nicht auf. Du bist nicht allein mit dieser Diagnose, und wir leben im Jahr 2015, wo es ausreichend Medikamente gibt.“

Und es ist wohl auch nicht bei dem einen Treffen geblieben.

Nein. Wir treffen uns seither regelmäßig, mal in einer Bar, mal in einem Eiscafé. Wenn ich Fragen habe, nimmt er sich Zeit. Und ich habe ihn wirklich mit Fragen überhäuft: Wie gehst du mit der Infektion im Alltag um? Wie ist bei dir der Krankheitsverlauf? Wie ist das mit dem Sex?

Wenn ich Dominik von meinen Problemen erzähle, lächelt er oft und sagt: „Das war bei mir auch so.“ Dominik hat ja schon jahrelange Erfahrungen mit der Krankheit. Deshalb kann er mir nicht nur Tipps für den Alltag geben, sondern mich auch beruhigen, wenn meine Ängste wieder mal hochkochen. Und es tut gut, wenn er sagt: „Du kannst mich anrufen, wenn es dir schlecht geht.“

„Es kommt darauf an, wie man lebt“

Wie geht es dir heute?

Mir geht es gut. Ich fühle mich körperlich absolut fit, gehe konzentriert meiner Arbeit nach und mache Sport. Ich genieße das jetzt umso mehr. Denn ich sehe viele Dinge anders: Es kommt nicht darauf an, wie lange man lebt. Es kommt darauf an, wie man lebt. Das habe ich durch meinen Buddy gelernt.

Das Projekt war für dich also wirklich ein „Sprungbrett“ zurück ins Leben?

Auf jeden Fall, es war die Rettung für mich! Ich habe dadurch einen tollen Menschen kennengelernt, der die gleichen Probleme und Ängste hatte wie ich. Er hat mir Mut gemacht, mich aufgebaut. Allein hätte ich das nicht geschafft. Ich bin für das Buddy-Projekt sehr dankbar.

Das Interview führte Michael Mahler

 

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