Oke Göttlich, Präsident des FC St. Pauli, ist Schirmherr der Positiven Begegnungen 2016 und eröffnete die Konferenz am Donnerstag mit einem eindringlichen Plädoyer.

Seine Rede auf der Eröffnungsveranstaltung der Positiven Begegnungen gibt es hier zum Nachlesen:

Liebe Teilnehmer_innen der Positiven Begegnungen,

sehr geehrte Damen und Herren,

als ich vor über 20 Jahren Fan des FC St. Pauli geworden bin, übte dieser Verein eine nahezu magische Anziehungskraft auf mich aus. Hier war etwas entstanden – entgegen dem Mainstream –, aber mit Werten, die meiner Auffassung nach längst Mainstream hätten sein müssen. Etwas, das es in einem professionellen Fußballclub bis dahin noch nicht gegeben hat.

Ein Verein – oder besser seine Fans – erhoben ihre Stimme. Laut vernehmlich, manchmal schrill, manchmal donnernd und sehr oft unbequem. Zu allen Themen, die den Verein, die Menschen, die ihm folgen, und die Menschen aus dem Stadtteil bewegen und bewegten. Die Fans haben die Politik ins Stadion geholt und das nicht nur auf Spruchbändern und Tapeten.

Den Finger in die Wunde legen

Der Verein ging so weit, als erster Club in Deutschland, den Kampf gegen Rassismus, Diskriminierung, gegen Homophobie und Sexismus in seiner Stadionordnung festzuschreiben. Und nicht nur dort: „Lieb doch, wen Du willst“ oder „Nur die Liebe zählt“ ist auf der von Fans künstlerisch gestalteten Gegengeraden im Millerntor-Stadion zu lesen. Auf dem Dach der Südkurve flattert die Regenbogenfahne als äußeres Signal unseres seit Jahren engagiert geführten Kampfes gegen Diskriminierung. Diese Haltung hat mich begeistert und begeistert mich immer noch. Und das war auch ein wichtiger Grund, warum ich Präsident dieses Vereins geworden bin. Aber der Umstand, dass wir diesen Kampf überhaupt noch kämpfen müssen, zeigt das große Dilemma und gleichzeitig unsere Verpflichtung, nicht müde zu werden, auf Missstände hinzuweisen und immer wieder den Finger in die Wunde zu legen und unsere Stimme zu erheben. Laut und deutlich.

Als nun die Bitte an mich herangetragen wurde, dass ich die Schirmherrschaft für diese Veranstaltung übernehmen sollte, musste ich nicht eine Sekunde überlegen. Und je mehr ich mich mit dem Thema „Leben mit HIV“ beschäftigt habe, desto notwendiger ist für mich das Engagement geworden. Denn eine ganz wichtige Botschaft lautet: Mit HIV hat man heute eine fast normale Lebenserwartung und man kann mit HIV leben, wie man möchte – wenn einem nicht Diskriminierung das Leben schwer macht. Das muss noch bekannter werden. Mir war es in seiner ganzen Tragweite bisher auch nicht bewusst. Natürlich wusste ich, dass sich durch die Medikamente vieles geändert hat, aber wie genau das Leben mit HIV heute aussieht und wie weitreichend die Veränderungen sind, war mir nicht klar. In dem Bereich habe ich gerne dazugelernt.

„Zu viele Leute wissen noch nicht, dass HIV durch eine Blutgrätsche nicht übertragbar ist“

Dass Diskriminierung von Menschen mit HIV heute immer noch zum Alltag gehört, finde ich erschreckend. Wo wir Zurückweisung begegnen, müssen wir handeln, denn Ausgrenzung ist nicht akzeptabel. Deswegen müssen wir deutlich machen, dass eine HIV-Infektion im Alltag keine Rolle spielen muss. Und das gilt eben auch auf dem Fußballplatz und am Stammtisch nach dem Spiel. Zu viele Leute wissen noch nicht, dass HIV durch eine Blutgrätsche nicht übertragbar ist. Und es soll noch immer ziemlich viele geben, die nicht mal aus dem Glas eines HIV-Positiven trinken würden. Nach mehr als 30 Jahren Aufklärung ist das eine ziemlich niederschmetternde Erkenntnis. Aber zum Glück hat sich ja gleichzeitig auch vieles getan, was Mut macht. Zum Beispiel das Engagement von Dr. Thomas Buhk, einem Hamburger Arzt. Er behandelt HIV-positive Migrant_innen ohne Papiere, sprich ohne Aufenthaltsstatus. Diese Menschen riskieren mit jedem Arztbesuch ihre Abschiebung. Deshalb vermeiden viele, zum Arzt zu gehen, und werden sterbenskrank. Als Arzt will Dr. Buhk diese Leben retten und Gesundheit erhalten. Aber um seine Pflicht zu tun, muss er Vorschriften verletzen, indem er Medikamente aus Restbeständen verwendet.

Ich finde: Niemand verkörpert das Motto „Sei ein Teil der Lösung!“ so konsequent wie er. Wir brauchen mehr Menschen, die mal den Rücken gerade machen, die sich ins Fadenkreuz stellen, um etwas zu bewegen. Zugleich finde ich es beschämend, dass es Menschen wie Dr. Buhk geben muss. Dass er gegen Gesetze verstoßen muss, um seinen Job als Arzt zu machen: um Leben zu retten und die Gesundheit von Menschen zu erhalten. Es ist ein Skandal, dass im reichen Deutschland Menschen von der HIV-Behandlung ausgeschlossen sind. Wir brauchen eine vollwertige medizinische Versorgung für alle! Es darf keine Menschen zweiter Klasse geben, deren Leben und Gesundheit nichts wert sind! Medizinische Behandlung ist eine Frage der Menschenrechte, nichts anderes.

„Wir sind ein Teil der Lösung! Wir sind an eurer Seite!“

In diesem Zusammenhang müssen wir weiter Tag für Tag gegen die Stigmatisierung von HIV-positiven Menschen kämpfen. Diese wurzelt in Homophobie, Sexismus und Rassismus. Und deswegen werden wir Diskriminierung von Menschen mit HIV auch nur dann in den Griff bekommen, indem wir weiter gegen Homophobie, Sexismus und Rassismus kämpfen. So lange das Bild von HIV mit abwertenden Stereotypen von Schwulen, Migranten, Frauen und Drogen konsumierenden Menschen verknüpft wird, wird es auch Herabwürdigung von Menschen mit HIV geben. So lange es diese merkwürdige Vorstellung gibt, dass in der Sexualität immer alles völlig rational und wohl überlegt ablaufen muss und kann, wird es Schuldzuweisungen geben. Und je mehr die AfD, die „besorgten Eltern“ und ähnliche Strömungen die alten Normen von der heterosexuellen Kernfamilie befeuern, desto mehr Ausgrenzung wird es geben. Dagegen müssen wir gemeinsam angehen! Und deswegen stehe ich hier als Präsident des FC St. Pauli und sage laut und deutlich: „Wir sind ein Teil der Lösung! Wir sind an eurer Seite!“

Mehr Eindrücke von den Positiven Begegnungen gibt es im News-Ticker.

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