Portrait Len Tooley
Len Tooley (© Len Tooley)

Len Tooley ist ein 31 Jahre alter, sexuell aktiver, HIV-negativer schwuler Mann aus Toronto, wo er in den Bereichen Gesundheitsförderung und HIV-Prävention für schwule Männer arbeitet. Um ihn dabei zu unterstützen, HIV-negativ zu bleiben, hat sein Hausarzt ihm das HIV-Medikament Truvada zur Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) verschrieben. Im zweiten Teil seines Interviews mit John McCullagh vom kanadischen HIV-Portal PositiveLite.com berichtet Len von seinen Gesprächen mit dem Arzt, seinen Erfahrungen mit der täglichen Einnahme von Truvada und seinen Gedanken zur Krankenkassenfinanzierung der PrEP.

(Original: Len Tooley on PrEP Part Two, 20.2.2013; Übersetzung: Holger Sweers. Herzlichen Dank an John und Len für die Erlaubnis, das Interview hier zu veröffentlichen!)

Len, im ersten Teil unseres Interviews hast du erzählt, dass die PrEP in den USA zugelassen ist. Kanada hat sich dem noch nicht angeschlossen, aber einige Ärzte bei uns verschreiben das HIV-Medikament trotzdem „off-label“, also außerhalb der eigentlichen Zulassung, für diesen Zweck. War es leicht, deinen Hausarzt davon zu überzeugen, dass er dir die PrEP verschreibt?

Um ehrlich zu sein, war ich in einer besonderen Situation: Zunächst einmal habe ich einen Hausarzt, was viele andere ja nicht von sich sagen können. Und zweitens ist er nicht nur selber schwul, sondern hat auch sehr viele HIV-positive Patienten. Ich hatte Glück, dass ich schon lange im HIV-Bereich arbeite und diesen Arzt über Freunde kennengelernt habe. Mein Arzt wusste natürlich schon über die PrEP Bescheid, sodass ich ihm nichts mehr von den Forschungsergebnissen zu ihrer Wirksamkeit erzählen musste.

Ich hatte Glück: Durch meinen Job bin ich gut informiert

Zu meinem Job gehört es, über die Forschung und auch die Praxis der PrEP informiert zu sein, und da ich schon jede Menge über alle möglichen Aspekte der PrEP gelesen hatte, wusste ich so ziemlich, was da auf mich zukommen würde. Ich war auf die Fragen vorbereitet, die er mir vielleicht stellen würde, und wusste, dass ich ein geeigneter Kandidat für die PrEP war.

Welche Fragen hat dir dein Arzt dann gestellt?

Ich habe insgesamt vier Termine bei ihm gebraucht, um die Verschreibung zu bekommen. Als ich das das erste Mal erwähnte, sagte er mir, dass wir uns vorher erst einmal ausführlich darüber unterhalten sollten, was mir durch den Kopf geht, wenn ich auf Kondome verzichte. Ich habe geantwortet, dass ich mir zwar wünschen würde, das Ganze wäre so einfach (schließlich bin ich ja auch HIV-Präventionist), aber das sei eben nicht immer eine Ja-Nein-Entscheidung. Er könne sicher sein, dass ich mich nach Kräften bemühe, Safer Sex zu machen, aber das gelinge mir eben nicht immer.

Stethoskop
Vor einer PrEP steht das Gespräch mit dem Arzt (Foto: Andrea Damm, pixelio.de)

Beim zweiten Termin, da war ich wegen einer anderen Sache bei ihm, habe ich das Gespräch dann wieder auf die PrEP gebracht. Er hat zuerst noch ein wenig gezögert und mir dann gesagt, dass ich, wenn er mir die PrEP verschreiben soll, erst noch Blutuntersuchungen machen muss, damit er meine Nieren- und Leberfunktion überprüfen und außerdem sicher sein kann, dass ich noch HIV-negativ bin. Wenn die Ergebnisse vorlägen, könnten wir dann weiter darüber sprechen. Ich war einverstanden, er hat mir eine Überweisung geschrieben, und ich bin noch am selben Tag zu einem Labor gegangen und hab die Blutuntersuchungen machen lassen.

Als die Ergebnisse vorlagen, habe ich wieder einen Termin bei meinem Arzt gemacht. Er bestätigte mir, dass ich HIV-negativ war und dass meine Nieren- und Leberfunktionstests in Ordnung waren. Ich war ziemlich nervös und aufgeregt. Er fragte mich, was ich denn machen würde, wenn Nebenwirkungen des Medikaments aufträten. Meine Antwort war, dass in den Studien nur etwa fünf Prozent der Leute Nebenwirkungen hatten, die Wahrscheinlichkeit also eher gering war, dass ich aber, falls ich welche hätte und sie auch nicht verschwänden, über ein Absetzen der PrEP nachdenken würde. Außerdem sagte ich ihm, ich wisse auch, dass es Langzeitnebenwirkungen geben könne, aber es sei für mich wahrscheinlich besser, so lange Truvada zu nehmen, wie ich für mich ein HIV-Risiko sehe, als mich zu infizieren und dann den Rest meines Lebens Medikamente nehmen zu müssen.

Und war dein Arzt mit diesen Antworten zufrieden?

Offensichtlich ja, denn er setzte sich an seinen Computer, drückte ein paar Tasten, und dann surrte der Drucker. Er nahm mein Rezept heraus, gab es mir und erinnerte mich daran, dass ich trotzdem Kondome nehmen solle, auch wenn ich die PrEP nähme.

Wann hast du dann mit der Truvada-PrEP angefangen?

Einen Tag vor meinem Winterurlaub, Mitte Dezember. Ich wollte das so, um ganz entspannt auf mögliche Nebenwirkungen reagieren zu können.

Und hast du Nebenwirkungen gehabt?

Nein, überhaupt nicht. Jedenfalls habe ich keine bemerkt. Dabei war ich so sehr auf Nebenwirkungen vorbereitet, dass ich mir sogar eingeredet habe, ich hätte welche: Ich dachte fälschlicherweise, dass Truvada lebhafte Träume verursachen kann, und als ich kurz nach Beginn der PrEP ein paar intensive Träume hatte, dachte ich, dass das eine Nebenwirkung ist. Später habe ich dann gesehen, dass Truvada gar keine lebhaften Träume verursacht und das Ganze ein Zufall war. Ich dachte also, ich hätte Nebenwirkungen, weil ich irgendwie glaubte, dass es welche geben müsse.

Ich hatte keine Nebenwirkungen, habe mir aber welche eingebildet

Ich muss demnächst zum Labor und eine weitere Blutuntersuchung machen, damit mein Arzt meine Leber- und Nierenfunktion überprüfen kann, sodass ich über mögliche unsichtbare Nebenwirkungen noch nichts sagen kann. Aber ich fühl mich auf jeden Fall hervorragend.

Schön zu hören, Len. Die HIV-Medikamente, die wir heute haben, sind ja auch viel besser verträglich als die früheren Medikamenten-Generationen. Aber bei der PrEP ist es ja nicht einfach nur damit getan, jeden Tag eine Pille zu schlucken, oder?

Ja und nein. Ehrlich gesagt ist es gar nicht so einfach, wie es klingt, jeden Tag eine Pille zu schlucken. Damit die PrEP bestmöglich wirkt, muss man sie nicht nur jeden Tag, sondern auch jeden Tag zu exakt derselben Zeit nehmen. Sonst können die Blutspiegel des Medikaments zu sehr schwanken, und dein Risiko für eine HIV-Infektion erhöht sich. Das heißt, was auch immer ich gerade tue, ob ich in einem Meeting bin, am Computer sitze, Rad fahre oder sonst etwas, ich muss Tag für Tag meine Pille dabei haben und daran denken, sie auch zu nehmen. Gerade neulich hatte ich so eine Situation, als ich bei der Arbeit merkte, dass ich meine Pille zu Hause vergessen hatte. Das war ganz schön stressig, und ich bin dann so schnell ich konnte nach Hause geradelt, damit ich meine Tablette nehmen konnte.

Ja, solche Panikmomente kenne ich auch, wenn ich morgens ohne meine Tabletten aus dem Haus gegangen bin. Das ist in der Tat nicht so einfach, wie manche denken. Außerdem musst du regelmäßig dein Blut untersuchen lassen, oder?

Ja. Alle drei Monate muss ich die Funktion meiner Leber und meiner Nieren und meinen HIV-Status überprüfen lassen, um zu sehen, ob ich noch negativ bin.

Zur PrEP gehören regelmäßige Blutuntersuchungen (Foto: Andriy Solovyov, istockphoto.com)
Zur PrEP gehören regelmäßige Blutuntersuchungen (Foto: Andriy Solovyov, istockphoto.com)

Warum musst du immer wieder HIV-Tests machen, obwohl du HIV-Medikamente zum Schutz vor einer Ansteckung nimmst?

Falls ich mich unter der PrEP trotzdem mit HIV anstecken sollte, was ich allerdings nicht für sehr wahrscheinlich halte, könnte das Virus sehr schnell gegen die beiden Substanzen in Truvada resistent werden, und dann könnte ich diese Substanzen nicht mehr in der Therapie einsetzen. Regelmäßige HIV-Tests sind also wichtig, damit das nicht passiert.

Hinzu kommt, dass eine Monatsration Truvada ganz schön teuer ist.

Du sagst es, Truvada ist teuer, sehr teuer sogar. Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf, als ich sah, dass die Tabletten für einen Monat 871,21 Dollar kosten (umgerechnet etwa 650 Euro, d. Red.). Ich bin sehr, sehr froh, dass ich eine Krankenversicherung habe, die das bezahlt. Wenn das nicht so wäre, könnte ich mir das Medikament nicht leisten.

Wie geht es dir damit, wenn du an die monatlichen Kosten für Truvada denkst und dass deine Krankenversicherung das alles bezahlt?

Ich habe mich lange mit dieser Frage beschäftigt. Bin ich 871,21 Dollar im Monat wert? Oder vielmehr: Ist es 871,21 Dollar per Monat wert, dass ich HIV-negativ bleibe? Was heißt es, Seelenfrieden und langfristige Gesundheit mit einem Preis zu versehen? Ich habe lange mit mir gekämpft, aber es gibt ein paar Gründe, warum ich entschieden habe, dass es das wert ist.

Es ist für alle günstiger, wenn ich HIV-negativ bleibe

An erster Stelle ist da das Grundprinzip der Solidargemeinschaft. Jeder zahlt etwas in einen großen Topf ein, unabhängig von seinem Gesundheitszustand, damit derjenige, der ein Medikament braucht, es auch bekommt. Ich hatte vorher schon lange Beiträge gezahlt, damit ich im Fall des Falles Medikamente, die ich brauche, erstattet bekomme. Und mein Arzt und ich waren beide der Meinung, dass dieses Medikament, Truvada, für den Schutz meiner Gesundheit wichtig war. Dafür gibt es ja Krankenversicherungen. Andere nehmen Medikamente, um Komplikationen bei Arteriosklerose, die Folgen hoher Cholesterinwerte oder hohen Blutdrucks oder um Sodbrennen zu vermeiden. Und die Liste lässt sich beliebig verlängern. Ich hatte nicht das Gefühl, dass die Vermeidung einer HIV-Infektion sich davon allzu sehr unterscheidet.

Und meine zweite Erkenntnis war, dass es, egal wie man es betrachtet, letztendlich für alle günstiger ist, wenn ich HIV-negativ bleibe, als wenn ich mich mit HIV infiziere. Truvada ist ein einziges Medikament (eine feste Kombination aus zwei Anti-HIV-Substanzen), und das war’s. Wenn ich mich anstecken würde, müsste ich mindestens ein weiteres HIV-Medikament dazu nehmen. Und damit fängt dann oft eine Kettenreaktion mit anderen Medikamenten oder Vitaminpräparaten zur Unterstützung des allgemeinen Gesundheitszustand an. Ich hatte also das Gefühl, dass die Kosten, die die PrEP für alle (mich eingeschlossen) verursacht, die langfristigen Kosten, wenn ich mich mit HIV anstecken würde, mehr als aufwiegen.

 

Den ersten Teil des Interviews finden Sie hier.

Zurück

„Es war alles eine glückliche Fügung"

Weiter

„Sex in einer Epidemie" – Erfahrungen mit der HIV-PrEP 3

Über

Gastbeitrag

Gastautor_innen schreiben für magazin.hiv

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

4 + 6 =

Das könnte dich auch interessieren