Steve Spencer hat sich trotz PrEP mit HIV infiziert – und sieht die HIV-Prophylaxe trotzdem als riesigen Erfolg und entscheidendes Instrument, um die HIV- und Aids-Epidemie zu beenden. Mit dem australischen Star Observer hat er über seinen Umgang mit der Diagnose und den Werkzeugkoffer der HIV-Prävention gesprochen.

Von Nic Holas*

Eine HIV-Diagnose ist für jede_n ein einschneidendes Ereignis, auch wenn sich in den vielen Jahrzehnten, in denen schwule und bisexuelle Männer mit HIV klarkommen mussten, die Bedeutung der Diagnose gewandelt hat.

Von den dunkelsten Zeiten zu Beginn der Epidemie bis heute zieht sich aber immer das Thema des „Scheiterns“ durch.

Warum haben wir kein Kondom benutzt, warum nicht die richtigen Fragen gestellt, warum nicht der Versuchung widerstanden?

Was wäre, wenn du dich trotz PrEP mit HIV infiziert hättest?

Die HIV-Epidemie ist mittlerweile in ihrem vierten Jahrzehnt. Wie mag es sich da für jemanden aus der jüngeren Generation anfühlen, eine HIV-Diagnose zu bekommen – während die Zahl der gemeldeten HIV-Diagnosen unter australischen schwulen und bisexuellen Männern auf einem historischen Tiefstand angelangt ist?

Und es gibt eine neue Version dieses sogenannten Scheiterns: Warum hast du nicht die PrEP genommen?

Aber was wäre, wenn du sie genommen hättest und dich trotzdem mit HIV infiziert hättest?

Einer dieser Leute ist Steve Spencer.

Steve war einer der ersten PrEP-User_innen in Australien und Gründungsmitglied von PrEP Access Now (jetzt PAN).

Inzwischen lebt Steve mit HIV. Mitgeteilt hat er dies der Welt, indem er beim Mardi Gras zusammen mit The Institute of Many (TIM) marschierte, der von mir mitbegründeten HIV-Basisbewegung.

Ich habe mit Steve über das Leben mit HIV in Zeiten von PrEP und Schutz durch Therapie gesprochen.

Wie hat es sich angefühlt, dein Coming-out als frisch mit HIV Diagnostizierter zu haben, indem du im TIM-Block beim Mardi Gras mitmarschiert bist und ein „HIV-Status-Update“ auf Facebook vorgenommen hast? Wie waren die Reaktionen?

Es geht mir ganz hervorragend damit. Ich bin so froh, dass ich das gemacht habe! Was könnte es für einen besseren Weg für ein HIV-Coming-out geben, als bei der 41. Sydney Gay and Lesbian Mardi Gras Parade im positiven Block mitzumarschieren, umgeben von Menschen mit HIV und unseren Verbündeten – es war einfach grandios.

Dadurch hat sich ein Prozess der Trauer und des Kummers in ein freudiges Ereignis verwandelt – ich habe meine Gesundheit, meine Community und den Fakt gefeiert, dass ich mir selbst treu bleibe.

Überwältigend positive Reaktionen aufs positive Coming-out

Zwar gehört das positive Coming-out mit Sicherheit zu den beängstigendsten Dingen, die ich in meinem Leben tun muss, aber die Reaktionen waren überwältigend positiv.

Die Menschen um mich herum haben mich sofort in den Arm genommen, ich habe sogar vor Erleichterung geweint – obwohl erst ein paar Monate seit meiner Diagnose vergangen waren, wurde die Last, sie geheim zu halten, unerträglich.

Gehen wir vor dein positives Coming-out zurück. Wie war das mit deiner Diagnose?

Mitte Dezember 2018 wurde bei mir HIV diagnostiziert. Ausgehend von meiner Viruslast und dem Zeitpunkt meiner letzten Tests können wir mit Sicherheit sagen, dass die Infektion nur wenige Wochen vor meiner Diagnose erfolgte.

Zur PrEP gehört, dass ich in Kontakt mit dem Gesundheitssystem stand. Das umfasst Routinetermine für Tests auf HIV und Geschlechtskrankheiten. So habe ich herausgefunden, dass ich HIV-positiv bin.

Ich habe sofort mit der Behandlung angefangen, wie das von fast allen Gesundheitsbehörden empfohlen wird, und hatte schon nach sechs Wochen eine nicht nachweisbare Viruslast.

Meine Diagnose hat mich völlig überrascht

Die Zeit zwischen der Diagnose und dem Erreichen einer nicht nachweisbaren Viruslast war eine der schwierigsten Phasen meines Lebens.

Meine Diagnose hat mich völlig überrascht, und ich war total geschockt – ebenso wie meine Ärzt_innen. Ich hasste dieses Virus, das durch meinen Körper reist, empfand Angst vor meinem eigenen Körper.

Aus jemandem, den die PrEP sexuell befreit und geradezu zum Vorzeige-Modell für Sex-Positivität gemacht hatte, wurde jemand, der aus Angst vor Ansteckung anderer keinen Sex mehr hatte. Das war eine steile Lernkurve…

Sprechen wir über die PrEP. Du hast sie genommen. Mein Gott, du warst eine Zeit lang das PrEP-Aushängeschild. Du hast Jahre damit verbracht, den Leuten einzuhämmern, dass es die PrEP gibt und wie man an sie herankommt. Was antwortest du auf die Frage, wie du dich mit HIV infiziert hast?

Meine HIV-positiven Freund_innen haben mich von klein auf gelehrt, dass es völlig irrelevant ist, wie oder warum oder wann jemand HIV bekommen hat.

Wichtig ist allein, dass ich HIV bekommen habe und dass ich Unterstützung brauche, damit ich so gesund und glücklich wie möglich leben kann.

Fragen nach dem „Wie“ entspringen häufig der Sensationslust – oder der Sorge um sich selbst. Andere PrEP-User_innen wollen wissen, was passiert ist, damit ihnen nicht dasselbe passiert.

Aber oft werden solche Informationen dann sortiert, um zu definieren, wie „akzeptabel“ oder „schlecht“ die HIV-Infektion der Person ist.

Ich möchte diese Sichtweise nicht unterstützen, aber respektvoll mit ihr umgehen.

Viele schwule und bisexuelle Männer, die dies lesen, dürften sich Sorgen um ihr eigenes Schutz-Niveau machen. Bist du auf diese Ängste vorbereitet?

Ich verstehe die Ängste der PrEP-User. Ich war einer der Ersten im Land, die die PrEP genutzt haben, und habe sie fünf Jahre lang genommen.

Als ich von den anderen HIV-Infektionen unter PrEP erfuhr, musste ich mich damals auch vergewissern, dass ich aus den richtigen Gründen und nicht aus Sensationslust mehr dazu wissen wollen.

Da wir den genauen Zeitpunkt oder die Umstände meiner Infektion nicht kennen, können wir auch nicht mit absoluter Sicherheit wissen, wie ich mich infiziert habe, und wahrscheinlich werde ich das nie wirklich wissen.

Ich spreche nicht von PrEP-Versagen. Die PrEP ist ein enormer Erfolg!

Ich hatte das Glück, mit einigen anderen Männern Kontakt aufnehmen zu können, die sich unter PrEP mit HIV infiziert haben, und auch sie haben die gleichen offenen Fragen.

Ich möchte in diesem Zusammenhang aber nicht den häufig verwendeten Begriff PrEP-Versagen benutzen. Die PrEP ist alles andere das.

Die PrEP ist ein enormer Erfolg – sie stärkt und schützt Hunderttausende Menschen vor HIV und ist neben der wirksamen Behandlung von Menschen mit HIV ein entscheidender Teil der australischen Strategie, HIV-Übertragungen ein für alle Mal zu beenden.

Zur Zeit deiner Infektion hast du die anlassbezogene PrEP genommen, also vor und nach dem Sex und nicht täglich. Müssen Menschen, die die PrEP auf diese Weise nutzen, sich jetzt Sorgen machen?

Klar, die anlassbezogene PrEP steht aufgrund dieser Infektion jetzt im Fokus, aber die Forschung hat sie als legitime und effektive Form der PrEP erwiesen, und sie wird von Ärzt_innen und Gesundheitsbehörden auf der ganzen Welt unterstützt.

Die Tatsache, dass einer der Abertausenden Menschen weltweit, die dieses Einnahmeschema befolgen, sich jetzt mit HIV infiziert hat, macht dieses PrEP-Form nicht „ungültig“.

Um die Ängte der PrEP-Nutzer_innen abzubauen, brauche ich mir nur die Zahlen und Fakten anzusehen – weltweit hat es nur einige wenige Fälle von HIV-Infektionen unter PrEP gegeben, obwohl rund 450.000 Menschen diese Präventionsstragie einsetzen.

Die HIV-Prävention ist ein ganzer Werkzeugkoffer

Die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Infektion unter PrEP ist verschwindend gering, und die Belege für die Wirksamkeit der PrEP sind immer noch eindeutig.

Ein Wort, das in diesem Zusammenhang häufig auftaucht, ist „Pech“.

Aber ich habe nicht das Gefühl, dass das irgendwas mit fehlendem Glück zu tun hat. Das Leben hat mich einfach an diesen Punkt geführt.

Ich ermutige Menschen, die die PrEP nutzen oder nutzen wollen, sich zu informieren und selbst zu entscheiden, wie sie sich am besten vor HIV schützen können, und zwar auf Grundlage ihres Sexualverhaltens und in Absprache mit ihren Ärzt_innen.

So könnt ihr euch sicher sein, dass ihr über die nötigen Informationen verfügt, die verschiedenen Einnahmeschemata kennt und euch schützen könnt.

Aber denkt immer daran, dass die HIV-Prävention ein ganzer Werkzeugkoffer ist und ihr das tun solltet, was für euch selbst, eure Gesundheit und für euren Seelenfrieden sowie den eurer Sexpartner_innen am besten funktioniert.

Genau. Du selbst nutzt jetzt andere Werkzeuge aus diesem Koffer und kannst dich auf „Schutz durch Therapie“ verlassen, das heißt HIV-Medikamente nehmen, um deine Gesundheit zu schützen, wodurch HIV auch nicht auf deine Partner übertragen wird. Wie hast du das empfunden?

Als die Viruslast unter die Nachweisgrenze sank, war das einer der glücklichsten Momente meines Lebens – die Last der Diagnose wurde etwas leichter, und die gesundheitlichen Vorteile einer Viruslast unter der Nachweisgrenze bedeuten, dass ich mir keine Sorgen um die Langzeitwirkungen von HIV auf meinen Körper machen muss.

Die Existenz dieses Virus und seine Präsenz in meinen Gedanken sind ein Teil von mir geworden, stehen unter meiner Kontrolle.

Aber die Angst vor dem HIV-Stigma bleibt bestehen. Während ich jetzt weniger Angst habe, es Sexpartnern, Freund_innen und Familienmitgliedern zu sagen – es ist viel einfacher zu sagen, dass deine Behandlung funktioniert, als dass deine Behandlung sich noch einpendeln muss –, habe ich weiterhin Angst vor Stigmatisierung.

Und weil ich noch nicht lange mit HIV lebe, werde ich sicher noch manches von dem erleben müssen, was man mir in dieser Hinsicht prophezeit hat.

Aber ich bin vorbereitet.

*Original: „I am prepared – Steve Spencer on becoming HIV-positive in the era of PrEP and U = U“, veröffentlicht am 22. März 2019 auf www.starobserver.com.au. Übersetzung: Literaturtest.de.

Wir danken Steve Spenver, Nic Holas und dem Starobserver herzlich für die Erlaubnis zur Übersetzung und Zweitveröffentlichung.

Der 1979 gegründete Star Observer ist Australiens größtes und am längsten bestehendes LGBTI-Medium.

 

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