Anna_Heinrich_BUHeroin kann man auch von einer Folie rauchen, anstatt es sich zu spritzen – das senkt die Gesundheitsrisiken. Doch schafft man es, langjährige „Fixer“ zum Umsteigen zu bewegen? Holger Sweers sprach mit Anna Heinrich von der Dortmunder Drogenhilfeeinrichtung Kick.

Anna, könntest du uns erst einmal kurz erklären, was Kick macht?

Wir haben jede Menge Angebote für Drogengebraucher. In unserer Drogentherapeutischen Ambulanz machen wir zum Beispiel Wund- und Abszessbehandlungen oder führen HIV-Tests durch. Im Kontaktcafé bieten wir gesunde und kostengünstige Mahlzeiten an, tauschen benutzte Spritzen und Nadeln gegen neue und informieren zum Thema Safer Use, also Risiken senken beim Drogengebrauch. Im Druckraum kann man unter hygienischen Bedingungen seine mitgebrachten Drogen konsumieren und bekommt im Notfall medizinische Hilfe. Und im Rauchraum mit zehn Plätzen kann man von Folie rauchen.

In Deutschland „drücken“ die meisten Drogenkonsumenten. Wie sieht das bei euch aus?

Einige Klienten machen beides, und die meisten haben zumindest irgendwann schon mal von Folie geraucht. Viele machen je nach Situation das eine oder das andere. Wenn man zum Beispiel mal keine sterilen Spritzen hat oder eine Pause für die Venen braucht, raucht man eben, oder man spritzt, wenn der „Kick“ sofort eintreten soll. Bei uns in der Einrichtung haben wir so 120 bis 130 Konsumvorgänge am Tag, würde ich sagen, und die Mehrzahl davon im Rauchraum.

„Die meisten haben schon mal von Folie geraucht“

Was sind denn eigentlich genau die Vorteile des Rauchens?

Beim Rauchen von Folie gibt’s keine Gefahr einer Überdosierung, kein HIV-Risiko, nur ein geringes Hepatitis-Risiko (wenn man keine Röhrchen teilt), keine Abszesse und Venenvernarbungen, keine „Shakes“ durch giftige Substanzen und Bakterien.

Also alles völlig ungefährlich?

Na, nicht ganz. Der Rauch belastet schon die Lunge und kann zu Problemen mit den Bronchien oder bei Asthmatikern zu Anfällen führen. Außerdem kann man sich durch die hohen Temperaturen beim Erhitzen des Stoffs die Lippen am Röhrchen verbrennen, wenn man den Rauch einsaugt. Aber insgesamt ist das Folie-Rauchen viel weniger riskant und gesundheitsschädlich als das Spritzen.

Konsumraum in Bochum
Konsumräume (hier: Bochum) gibt es nur in wenigen Städten

Dann müsste man doch eigentlich denken, dass die Leute aufs Rauchen umsteigen, wenn ihnen ihre Gesundheit lieb ist.

Deswegen haben wir 2012 ja das Modellprojekt „SMOKE-IT“ gemacht, an dem sechs Konsumräume in fünf Städten teilgenommen haben. In diesem Rahmen haben wir Infomaterialien und neuartige Folien zusammen mit Anleitungen zum „richtigen Rauchen“ zur Verfügung gestellt.

Was war das Neue an diesen Folien?

Die Folien sind, anders als die meisten Haushalts-Alufolien, nicht beschichtet und deswegen besser für die Gesundheit. Außerdem sagen die User, dass der Stoff nicht so leicht verbrennt.

Und was hat das Modellprojekt gebracht?

SMOKE-IT lief von Anfang April bis zum September 2012. In dieser Zeit haben wir verstärkt über das Folie-Rauchen informiert, zum Beispiel, wenn unsere Klienten gerade auf einen Konsumplatz warteten. Außerdem wurden wir auch häufig auf die Plakate zur Aktion angesprochen. Einige Leute, die Interesse hatten, haben wir dann zu ihrem Konsumverhalten und auch zum Folie-Rauchen interviewt. Der Abschlussbericht zum Projekt ist jetzt gerade veröffentlicht worden. Jetzt wissen wir zum Beispiel viel mehr über die unterschiedlichen Motive fürs Drücken und Rauchen.

Viele haben das Bild vom „elenden Junkie“ verinnerlicht

Und wie sehen die aus?

Wir hatten zum Beispiel einen Klienten hier, der schon lange intravenös konsumierte, aber irgendwo zwischen Absturz und Noch-mal-die-Kurve-Kriegen stand. Der hatte einen Beruf, eine Frau, Kinder, ein Haus, aber mit der Zeit immer öfter Probleme im Job. Für ihn als Bauarbeiter war es dann ein Argument, dass man, gerade im Sommer, wenn man keine langärmeligen Sachen trägt, Einstichstellen sieht. Und dafür hat er sich geschämt. Der hatte dieses Bild vom elenden „Junkie“ verinnerlicht, das wollte er nicht sein. Außerdem ist das Rauchen natürlich viel unauffälliger, als wenn man sich Drogen spritzt.

Gibt es diese verinnerlichte Scham auch bei anderen?

Ja, SMOKE-IT hat gezeigt, dass Heroin-Raucher in der Szene allgemein ein höheres Ansehen zu haben scheinen. Sie gelten oft als stabiler, nicht so weit „unten“.

Und dieser Bauarbeiter ist dann beim Folie-Rauchen geblieben?

Ja, der kam noch eine ganze Zeitlang und hat sich bei uns Folien abgeholt.

Drogenkonsumraum Hamburg
Druckräume (hier: Hamburg) bieten auch Notfallhilfe

Sind denn auch noch andere aufs Rauchen umgestiegen?

Ja, wir hatten noch zwei Klienten, die umgestiegen sind, aber ich glaube, die sind in der Kiste gelandet.

Wie bitte? Heißt das, sie sind gestorben?

Nein, um Gottes willen! (lacht) In der Kiste landen heißt bei uns, in den Knast zu gehen.

Okay, das ist zwar auch nicht schön, aber hört sich nicht ganz so schlimm an. Im Knast gibt’s wahrscheinlich keine Folien, oder?

Nein, da wird auch eher nicht geraucht. Zum einen, weil man das natürlich sofort riecht. Und zum anderen haben viele Angst, dass sich eine kleine Menge des Stoffs verflüchtigt, und das kann man sich natürlich gerade im Knast überhaupt nicht leisten. Deswegen spritzt man dann Drogen, und weil es keine sterilen Spritzen im Knast gibt – schließlich gibt’s hier ja „offiziell“ keine Drogen –, hat man ein hohes Risiko, sich mit Hepatitis oder HIV anzustecken, wenn man Spritzen und Nadeln teilt.

„Drogengebrauch hat 1000 Schrauben“

Zurück zum Folie-Rauchen im Kick. War es einfach, die User zum Umsteigen zu bewegen?

Nein, ehrlich gesagt nicht. Das braucht viel Zeit zum Begleiten und den Einsatz des ganzen Teams. Es ist ja nicht so, dass es da nur eine Schraube gibt, an der man drehen kann. Drogengebrauch hat ja 1000 Schrauben. Und außerdem gibt es schon echte Unterschiede, wie die User berichten. So dauert es beim Folie-Rauchen länger, bis der „Kick“ eintritt, und die Leute sagen auch, dass sie „anders breit“ sind. Und ein bisschen Stoff „verraucht“ eben, das ist auch eine ökonomische Frage. Für andere wiederum ist es ein großer Vorteil, dass sie nicht spritzen müssen, weil sie Angst davor oder vor Abszessen, Infektionen und sichtbaren Narben haben.

Alles in allem: War SMOKE-IT ein Erfolg?

Auf jeden Fall, auch wenn ich vorher skeptisch war. Wir konnten uns als Einrichtung mit dem Angebot noch mal neu positionieren, und die Klienten haben das als Wertschätzung wahrgenommen, dass wir uns um sie und ihre Gesundheit kümmern und ihnen neue Sachen anbieten. In diesem Zusammenhang kommen übrigens auch unsere Zahnpflegesets mit Pflegekaugummis, Zahnbürsten und Zahnpasta total gut an. Und nicht zuletzt wissen wir jetzt mehr über die Gründe für und gegen das Folie-Rauchen und können die Klienten besser verstehen und beraten.

Anna, vielen Dank für das Gespräch!

Gerne!

 

Weitere Informationen

Abschlussbericht zur SMOKE-IT-Studie (PDF-Datei)

Faltblatt Heroin rauchen (PDF-Datei)

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Über

Holger Sweers

Holger Sweers, seit 1999 als Lektor, Autor und Redakteur bei der Deutschen Aidshilfe, kümmert sich um die Redaktionsplanung des Magazins.

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