Vier Jahrzehnte Aids: 6 Dokumentarfilme über Künstler*innen

Von Axel Schock
Keith Haring zeichnet ein Graffito an eine Wand. Standbild aus dem Film
Keith Haring zeichnet ein Graffito an eine Wand. Standbild aus dem Film „The Universe of Keith Haring” © French Connection Films/Overcom Production/Salzgeber

1981 wurde die Krankheit, die seit 1982 Aids heißt, Teil unserer Lebensrealität. 1983 wurde das Aids auslösende Virus entdeckt, das seit 1986 den Namen HIV trägt. Welche Auswirkungen HIV und Aids auf das Leben einzelner Menschen, auf ihre Communitys, die Gesellschaft und ganze Weltregionen hatten und haben, wurde seither in zahlreichen Werken festgehalten – in Büchern und Filmen, in der Kunst und Musik, mit digitalen Projekten und in anderen Formen.

Gut vier Jahrzehnte nach den ersten beschriebenen Fällen präsentiert die Redaktion von magazin.hiv in loser Folge ihre Empfehlungslisten mit Werken zur Aidsgeschichte – wie diese Auswahl von Dokumentarfilmen, über Künstler*innen, deren Leben und Werk eng mit HIV und Aids verbunden sind. In der Auswahl berücksichtigt haben wir Titel, die 2023 als DVD erhältlich oder auf Videoplattformen zu sehen sind.


Schweigen = Tod – Künstler in New York kämpfen gegen Aids

Deutschland 1990

Im zweiten Teil seiner „Aids-Trilogie“ versammelt Rosa von Praunheim Kurzporträts von New Yorker Künstler*innen, die sich mit Aids und seinen Folgen auseinandersetzen. Ihre Angst, Wut, Verzweiflung und Trauer angesichts des Ausmaßes dieser Aidskrise, von der ihre Stadt im besonderen Maße betroffen ist, finden in den Gedichten, Bildern, Performances und Aktionen der Künstler*innen unmittelbaren Ausdruck. „Schweigen = Tod“ zeigt zum einen, wie kreativ und politisch die Künstler*innen-Community auf die Katastrophe reagierte, und ist zugleich ein historisches Dokument: Viele der Protagonist*innen – wie Keith Haring, David Wojnarowicz und Bern Boyle – sind inzwischen an den Folgen ihrer Aids-Erkrankung gestorben.
 Als Stream bei Amazon Prime.


Wojnarowicz: F**k You F*ggot F**ker

USA, 2020

Er war ein enorm leidenschaftlicher, dabei stets herausfordernder sowie politischer Künstler und Autor. Auf die Aidskrise reagierte er mit aktivistischem Furor und schonungsloser Offenheit. Für sein Filmporträt hatte Regisseur Chris McKim Zugriff auf außergewöhnliches Archivmaterial: neben Tagebüchern, Fotos und Super-8-Filmen auch auf eine Fülle von Anrufbeantworternachrichten und andere aufgezeichnete Gespräche. Am bewegendsten sind die Dokumente aus dem Jahr 1989: Wojnarowicz hatte seine Aids-Diagnose erhalten und lebte ohne Krankenversicherung; sein langjähriger Lebensgefährte, der Fotograf Peter Hujar war bereits gestorben. Und auf seine zunehmend radikalere und provozierende Kunst reagierte zum Teil auch die queere Community mit Widerstand und Ablehnung.

Kostenfrei abrufbar auf YouTube sowie als Stream bei MUBI.


All the Beauty and the Bloodshed

USA, 2022

Ihr Leben und ihre Kunst wollte und konnte Nan Goldin nie voneinander trennen, vielmehr machte sie als eine der ersten Fotografinnen das eigene Leben zum Gegenstand ihrer Kunst. Diese intimen Momentaufnahmen aus ihrem meist queeren Umfeld zeigen gelebte Freundschaft, überschwängliche Lebensfreude und Begehren, aber auch Schmerz, Einsamkeit und die Folgen von Sucht. In den 80er Jahren wurde Nan Goldin zudem ungewollt auch Dokumentaristin der Aidskrise und des Sterbens vieler ihr nahestehender Menschen. Die Oscar-prämierte Filmemacherin Laura Poitra verknüpft in ihrem Dokumentarfilm „All the Beauty and the Bloodshed“ die Lebensgeschichte und Werkbiografie Goldins mit ihrem aktuellen Aktivismus mit dem Ziel, die Pharma-Dynastie Sackler für die seit den 90er Jahren andauernde Opioidkrise in den USA zur Rechenschaft zu ziehen.

Auf DVD und als Stream, u. a. bei Prime Video, Apple TV, Google Play, Magenta TV.


Rettet das Feuer

Deutschland, 2019

Berlin, 1993. Die Aids-Epidemie hat ihren Höhepunkt erreicht. Ganze Freundeskreise verschwinden, und mit den Menschen gehen oftmals auch ihre Geschichten verloren, als hätte es sie nie gegeben. Auch der Fotograf und Künstler Jürgen Baldiga kämpft gegen das HI-Virus. Den Tod der Freund*innen und den eigenen vor Augen, wird Baldiga zum Chronisten seiner Zeit, der überlebenswichtige Sichtbarkeit schafft. Über 5000 Bilder umfasst sein fotografischer Nachlass: Porträts von Punks und Obdachlosen in seinem Neuköllner Kiez, die Stars der Tuntenszene und die schwulen Subkultur West-Berlins. So direkt und unmittelbar er auch Sex und Begehren im Bild festhielt, ging er auch mit seiner Aidserkrankung um. Für seinen Dokumentarfilm hat sich Jasco Viefhues auf Spurensuche begeben und Weggefährt*innen von Jürgen Baldiga getroffen. „Rettet das Feuer“ ist sowohl Porträt dieses Künstlers als auch eine Reflexion darüber, wie die Community mit Erinnerung und Geschichte umgeht.

Als DVD erhältlich sowie im Stream bei Vimeo und Salzgeber Club.


The Universe of Keith Haring

USA, 2008

Seine lebensbejahenden Strichmännchen und seine farbenfrohe Kunst kennen selbst Menschen, die den Namen des Schöpfers nie gehört haben. Keith Haring ist ein echtes soziales Phänomen, das die Kunst der Gegenwart im Zeitraum von einer einzigen Dekade revolutionierte. Bis zu seinem Tod 1990 mit nur 31 Jahren an Aids hatte er seine populäre Kunst immer wieder auch für Projekte der HIV- und der LGBT-Community eingesetzt. Er gilt heute als einer der beliebtesten und bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Mit Ausschnitten von Original-Ton- und Filmaufnahmen von Keith Haring und Interviews mit Zeitzeugen wie Yoko Ono, Kenny Scharf und Tony Shafrazi gelang der Regisseurin Christina Claussen eine vielschichtige und faszinierende Rekonstruktion eines Künstlerlebens.

Auf DVD und sowie im Stream bei Vimeo und Videobuster verfügbar.


Blue

Vereintes Königreich, 1993

Einfach nur blau. Die Leinwand ein Abgrund aus kaltem Kobaltblau. Mehr gibt es für unser Auge nicht, mehr schaffte auch das Auge von Derek Jarman nicht mehr. Der erste Film ist für einen Regisseur stets ein Kraftakt. Aber wie schwer muss es sein, dem Tode nah, wissentlich den letzten zu drehen? Derek Jarman, infolge seiner Aidserkrankung weitgehend erblindet, konfrontiert kurzerhand die Zuschauerschaft mit dem Verlust seiner Sehkraft. Für 76 Minuten nur diese aggressive, monochrome blaue Farbfläche – und dazu Geräusche, Musikfetzen, Glockenklang und Stimmen. „Blue“, das finale Werk des 1994 verstorbenen Malers, Filmemachers und Autors ist eine Mediation über die HIV-Erkrankung, die Erblindung und Endlichkeit, eine poetische Collage aus Momentaufnahmen aus dem Krankenhausalltag, Erinnerungen an Freunde und Geliebte und an die Kindheit.

Auf DVD und bei Videobuster verfügbar.

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