Hydra Café: Empowerment von Sexarbeiter_innen für Sexarbeiter_innen
Von Noa Kayenberg
Wer kennt es nicht: Man kommt nach Hause, und das Einzige, was man nach einem langen Arbeitstag tun möchte, ist, sich so richtig aufzuregen über den Job, die schlechte Bezahlung, unverschämte Klient_innen, übergriffiges Verhalten vom Chef, Rassismus durch Kolleg_innen oder was auch immer einem in der weißen, patriarchalen kapitalistischen Arbeitswelt das Leben schwermacht.
Dass dieser Rant zu Hause mit der Familie am Mittagstisch oder mit dem_der Partner_in im Bett ein Privileg ist, welches nicht alle genießen, darüber macht sich in der Regel fast niemand Gedanken.
Viele Sexarbeiter_innen können nicht offen über ihren Beruf sprechen
Dennoch gibt es viele Berufstätige, für die das Sich-Beschweren über den Job bei Freund_innen oder Verwandten nicht selbstverständlich ist. Berufstätige, die ihrem Job nur im Geheimen nachgehen können und die, wenn sie nach Hause gehen, nichts von dem mitbringen dürfen, was sie den ganzen Tag auf der Arbeit beschäftigt.
Zu diesen Berufstätigen gehören wir Sexarbeiter_innen, denn das Hurenstigma, welches unseren Beruf umgibt, macht es uns in vielen Situationen unmöglich, über unsere Arbeit und unsere Erfahrungen zu sprechen.
Wir Sexarbeitende werden mit indiskreten Fragen über unsere Sexualität und unsere Körper bombardiert
Von wissenschaftlicher Seite wurde schon einiges über dieses Stigma geschrieben. Melissa Gira Grant beispielsweise, die Autorin von „Hure spielen – Die Arbeit der Sexarbeit“, schreibt, wir Sexarbeitende „werden mit diesem Stigma behaftet, weil [wir] gegen bestimmte ‚Zwangstugenden‘ verstoßen haben oder weil [uns] das unterstellt wird“.
Jenseits der Universität kann sich das dann auf viele Arten äußern.
Zum Beispiel in Gestalt von Eltern, die denken, man müsste eine Borderline-Störung haben, weil man Prostituierte ist, und eine Arbeit im Puff wäre nichts als selbstverletztendes Verhalten. Oder wir Sexarbeitende wären ein Hort ansteckender Krankheiten, obwohl Prostituierte laut den Fakten zu den Personen mit den wenigsten Geschlechtskrankheiten gehören, einfach weil wir wissen, wie Kondome wirklich funktionieren.
Alles in Allem: Wir Sexarbeitende können ein Lied davon singen, wie es sich anfühlt, mit indiskreten Fragen über unsere Sexualität und unsere Körper bombardiert zu werden. Und wir sind an die Gefahr gewöhnt, dass Menschen sich angeekelt von uns abwenden oder uns physische wie psychische Gewalt antun, wenn sie von der Natur unseres Erwerbes erfahren.
Für viele von uns Sexarbeitenden stellt sich also die Frage gar nicht, mit wem man am besten über seinen Arbeitsalltag redet, weil man die Gefahr des Geoutet-Werdens nicht in Kauf nehmen kann.
Hydra Café: Raum für Austausch, Empowerment, Entspannung
Deswegen ist es für uns unabdingbar, dass es andere Angebote gibt, wo auch wir unseren Frust loslassen, ein offenes Ohr finden oder auch nur als authentische Versionen unser Selbst einfach entspannen können.
Einen solchen Ort hat Hydra e.V. mit dem Hydra Café jetzt in Berlin-Neukölln geschaffen. Hydra ist einer der wenigen Vereine, die sich für die Rechte von Sexarbeitenden einsetzen und Beratungen auf Augenhöhe bieten. Aufsuchende und akzeptierende Sozialarbeit sind das Credo, nach dem Hydra arbeitet.
Zu dem umfassenden Beratungsangebot und der Lobbyarbeit, die der Verein schon seit 1980 leistet, kam Anfang 2019 mit der Begegnungsstätte nun ein weiteres Angebot hinzu.
Wie eine WG – nur mit Softtampons im Badezimmer
„Die Idee ist, einen Ort zu schaffen, wo Sexarbeitende sich austauschen können, da es viel Wissen innerhalb der Community gibt und Vernetzung wichtig ist“, sagt Anita. Sie ist an der Betreuung des Hydra Café beteiligt und empfängt mich heute, um mir die Räumlichkeiten vorzustellen.
Anita nimmt mich an der Haustür in Empfang und gemeinsam laufen wir in den sonnendurchfluteten Innenhof. Dort treffen wir zwei von ihren Kolleginnen, die sich ihre Arbeit mit in die Sonne genommen haben und nebeneinander auf zwei Klappstühlen sitzen.
Insgesamt sind fünf Leute aus dem Team heute da. Neben Anita, der Koordinatorin des Cafés, gehören noch Liad, die Koordinatorin des Peer-Projekts, Ioana, die Koordinatorin der Fokusgruppen von Hydra, sowie zwei Sozialarbeiterinnen und eine Beraterin dazu.
Anbieten, was Sexarbeiter_innen brauchen
„Das Konzept ist, einen Raum anzubieten, dass Sexarbeitende entspannt herkommen und die Dusche benutzen können und die Küche oder was immer sie gerade brauchen“, sagt Anita, während sie mich durch das Café führt. Dementsprechend ist es auch eingerichtet: Im Flur des Cafés steht eine Freebox mit Gegenständen, die man für die Sexarbeit brauchen kann: Von BHs über Parfums bis hin zu Kondomen. Das Badezimmer erinnert an das Badezimmer einer WG, nur dass sich neben dem Spülkasten Softtampons finden und keine „normalen“ Tampons.
Ziel ist, eine Community aufzubauen
Bevor wir uns auf eines der roten Sofas im Café setzen, zeigt Anita mir noch das Obergeschoss, in dem sich das Büro der Sozialarbeiterinnen befindet sowie ein kleiner separater Raum für vertrauliche Gespräche.
„Willst du was trinken?“, fragt sie mich dann und stellt eine große Kanne Tee vor uns auf den Tisch.
„Es wäre schön, wenn es uns gelingt, eine Community aufzubauen und gleichzeitig auch Veranstaltungen und Workshops anzubieten“, fährt sie fort.
Workshops wird es in Zukunft viele geben im Café Hydra. Der erste fand schon am 27. Februar statt und behandelte das Thema Arbeitssicherheit und Gewaltprävention. Ein Thema, das für Sexarbeitende von großer Wichtigkeit ist: Gewalt und Übergriffe gegen uns sind überproportional hoch, weil gesetzliche Regulierungen uns unsere Arbeit erschweren und vor allem Sexworker_innen of Color, migrantische sowie trans* Sexworker_innen vonseiten der Polizei mehr Gewalt als Unterstützung erfahren.
Raum für unterschiedliche Realitäten
Veranstaltungen wie diese machen deutlich: Das Café Hydra macht Angebote von Sexarbeitenden für Sexarbeitende. Denn während es in anderen Räumen auf Workshops und Vorträgen immer noch um unsere Existenzberechtigung geht oder darum, ob unsere Arbeit nun unser geistiges Wohl gefährdet oder nicht, gibt es hier ein Angebot mit relevanten Themen, zu denen man sonst nicht mal im Internet ausreichend Informationen findet.
Gewünscht ist aktive Teilhabe
„Alle Sexarbeitende haben ganz unterschiedliche Realitäten, und meine eigene ist nur ein ganz kleiner Teil davon. Deswegen hoffe ich, dass wir auch mehrere Zielgruppen erreichen können“, sagt Anita. Aus diesem Grund rufen die Koordinatorinnen auf der Website des Cafés zur aktiven Teilhabe auf. Jede in der Sexarbeit tätige Person kann Vorschläge einbringen und wird durch das Team mit Wissen, aber auch durch finanzielle Mittel unterstützt, um diese Vorschläge in die Realität umzusetzen. „Ich spreche zum Beispiel kein Rumänisch, und wenn jemand, der_die Rumänisch spricht, Lust hat, etwas zu organisieren, das fände ich super. Die Person kann dann einfach vorbeikommen oder eine E-Mail schreiben oder anrufen, und dann machen wir das.“
Damit so viele Sexarbeitende wie möglich von diesem Angebot erfahren, ziehen verschiedene Mitarbeiter_innen von Hydra durch die Berliner Stätten der Sexarbeit und informieren die Arbeitenden persönlich vor Ort.
Da fast alle von uns ein Lied singen können von inkompetenten Sozialarbeiter_innen oder diskriminierenden Behördenmitarbeiter_innen, begegnen viele Sexarbeitende neuen Angeboten zu Recht skeptisch. Von den Organisator_innen persönlich von dem Projekt zu hören, bietet da die Möglichkeit, Zweifel anzusprechen und aus dem Weg zu räumen. So steigt die Chance, dass auch Sexarbeitende, die noch nicht politisch organisiert sind, ihren Weg ins Café finden. „Es gibt eine Austauschgruppe von Sexarbeitenden, und die Leiterin hat von unserem Café berichtet“, erzählt Anita. „Jetzt wollen ganz viele aus der Gruppe kommen.“
Das Hydra Café ist auch eine Antwort auf das „Prostiuiertenschutzgesetz“
Die Idee, eine Begegnungsstätte für Sexarbeitende zu eröffnen, ist auch eine Reaktion auf das zum 1. Juli 2017 in Kraft getretene sogenannten Prostituiertenschutzgesetz. Denn während dieses Gesetz eigentlich Sexarbeitende schützen soll, sieht die Realität ganz anders aus: „Das Gesetz schützt niemanden, es existiert nur, um uns zu kriminalisieren“, sagt Liad, die Koordinatorin des Peer-Projekts von Hydra, in dem migrantische Sexarbeitende Beratung für migrantische Sexarbeitende anbieten.
Vor allem migrantische Sexarbeiter_innen mit geringen Sprachkenntnissen und Personen, die in ihren Herkunftsländern wegen ihres Berufs verfolgt werden, sind verunsichert wegen der Anmeldung und anfällig für Personen, die ihnen Klient_innen ohne eine Anmeldung versprechen. Viele Sexarbeiter_innen werden auf diese Art und Weise abhängig von sogenannten Zuhältern, die sagen: „Mit mir brauchst du keine Anmeldung.“
„Das Prostiuiertenschutzgesetz schützt niemanden“
Um auf die vielen Gefahren und Unklarheiten zu reagieren, die das neue Gesetz Sexarbeitenden aufbürdet, hat Hydra einen Raum des Austauschs und des gegenseitigen Empowerments geschaffen. In dem Café können sich Sexarbeitende mit unterschiedlichen Biografien treffen, um sich gegenseitig in einem geschützten Ort auszutauschen und Wissen weiterzugeben.
„In der Sexarbeit ist es gerade so, dass alle allein arbeiten, zu Hause vor ihrem Computer. Was wir hier versuchen ist, die verschiedenen Sexarbeits-Communitys zusammenzubringen, um das zu brechen“, sagt Liad, denn die Vereinzelung der Sexarbeitenden trage dazu bei, dass diskriminierende Strukturen aufrechterhalten werden können.
„Der Staat legt uns Verpflichtungen wie Steuern zu zahlen auf, aber nimmt uns unsere Rechte weg“, beschreibt Liad und nickt nachdrücklich.
Solange das so ist, sind wir Sexarbeitenden darauf angewiesen, einander solidarisch zu begegnen und zu unterstützen. Das Hydra Café bietet dafür beste Voraussetzungen.
Adresse und Kontakt:
Hydra Café
Hermannstraße 18
12049 Berlin (das Café befindet sich im Hinterhof)
Kontakt per E-Mail: cafehydra@hydra-berlin.de
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