„In dem Gespräch spürte ich, dass er ein Kind Gottes war“
1984 endete die Amtszeit des Bundespräsidenten Karl Carstens, und sein Nachfolger wurde Richard von Weizsäcker. Ich lernte Siegfried Dunde in der Zeit kennen, in der er seinen Job als Redenschreiber im Bundespräsidialamt gerade losgeworden war: Der neue Bundespräsident wollte ihn nicht übernehmen, weil er keine Homosexuellen in seiner nächsten Umgebung duldete. Siegfried war aber nicht beunruhigt, weil er wusste, dass für ihn bereits etwas Neues gesucht wurde, und weil er nun Zeit hatte, sein neuestes Buch in Ruhe zu Ende zu bringen.
„Immer auf der Suche nach Neuem, Wichtigem“
So war er und so blieb er für mich bis zu seinem Ende: einerseits gelassen, ruhig, umsichtig, zuversichtlich, und andererseits immer auf der Suche nach Neuem, Wichtigem und danach, es zu veröffentlichen. Er hat in den letzten zehn Jahren seines Lebens 35 Bücher geschrieben oder sich an der Herausgabe beteiligt.
Und dann, 1985, war etwas für ihn gefunden: Die neu ernannte Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit, Professor Rita Süssmuth, nahm ihn als Referenten in ihr Haus auf, weil sie keine Berührungsängste hatte, wie sie selber sagte.
Rita Süssmuth wurde Nachfolgerin von Heiner Geißler, der in seinen letzten Amtswochen der allgemeinen Aids-Hysterie unter anderem dadurch begegnen wollte, dass er – damals einmalig – eine allgemeine Postwurfsendung vorbereitete, in der über Aids aufgeklärt wurde und die in jeden Briefkasten der Republik kommen sollte. So kam die Bundesgesundheitsministerin zum Thema ,,Aids“, ohne selbst etwas dafür getan zu haben. Der Rest ist Geschichte und allen bekannt.
Er legte Rita Süssmuth nahe, zu einem Positiventreffen zu fahren
Weniger bekannt aber ist die Rolle, die Siegfried dabei spielte. Er schrieb nicht nur ihre Reden zu dem Thema, sondern begleitete sie, wann immer sie wegen Aids unterwegs war. Und legte ihr nahe, zu einem der bundesweiten Positiventreffen zu fahren, die es seit 1986 im Waldschlösschen gab, um dort HIV-lnfizierte kennenzulernen. Er versüßte ihr das mit dem Hinweis, dass das Waldschlösschen in ihrem Wahlkreis Göttingen lag.
Dort hatte Rita Süssmuth Begegnungen und Gespräche, die sie nicht nur erschütterten, sondern auch ermunterten und sie bestätigten, ihren Weg der Prävention durch Akzeptanz und Aufklärung zu gehen.
Und es hat sich wieder einmal gezeigt: Die Einstellung zu Aids verändert sich, wenn man Menschen mit HIV und Aids persönlich kennenlernt. Ohne Übertreibung kann gesagt werden, dass Siegfried sehr dazu beigetragen hat, dass Rita Süssmuth ihren erfolgreichen Kampf durchhielt.
Anfang 1987 bat ich ihn in das Vorbereitungsgremium für die Aids-Stiftung „positiv leben“, auf deren Genehmigung durch das Landesinnenministerium Nordrhein-Westfalens wir seit Ende 1966 warteten. Die Stiftung sollte sich an Menschen mit HIV und Aids wenden, von denen in Deutschland die meisten schwul waren – und ich kannte im Grunde nur die Schwulenszene und ihre Einrichtungen in Köln und Umgebung. Siegfried sagte zu: Er war einfach der perfekte Mensch, um das Anliegen der Stiftung in die schwule Öffentlichkeit zu tragen.
Erst beim Abschied ein Gespräch über den Glauben
Durch die enge Zusammenarbeit wurden wir zu Freunden. Das intensivierte sich, als er 1992 erfuhr, dass er HIV-infiziert war.
Obwohl wir beide Theologen waren, hatten wir bis dahin nie über unseren Glauben gesprochen. Erst bei meinem letzten Besuch bei ihm, von dem wir beide wussten, dass es der Abschied war, ergab sich das. Er sagte mir, er könne es kaum ertragen, so schwach zu sein und ständig Hilfe zu brauchen. Wir sprachen über Ohnmacht – und kamen auf das Kreuz Jesu zu sprechen.
Ich bin wirklich niemand, der mit Bibelwörtern um sich schmeißt, aber in der Situation fiel mir der Satz ein, in dem Gott sagt „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“. Wir haben darüber gesprochen, und in dem Gespräch spürte ich, wie viel Kraft selbst in dieser Situation von ihm ausging – dass er wirklich ein Kind Gottes war. Und er konnte es annehmen, als ich es ihm sagte.
Rainer Ehlers
Prof. Dr. Dr. Siegfried Rudolf Dunde (1953–1993), Referent bei der ehemaligen Gesundheitsministerin Rita Süssmuth, ist es mit zu verdanken, dass die Aidspolitik der Bundesregierung liberal, human und frei von seuchengesetzlichen Maßnahmen blieb. Er publizierte viel, hauptsächlich zu den Themen Sexualität und Aids, und nahm in diesem Zusammenhang auch kritisch Stellung zu sexualethischen Positionen der christlichen Kirchen. Als Mitglied des Bundesausschusses Aids des Berufsverbandes Deutscher Psychologen war er am Faltblatt „Aids – wie Psychologie helfen kann“ beteiligt. In Erinnerung dürfte er vielen auch als Gründungsmitglied und stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Deutschen AIDS-Stiftung „Positiv leben“ geblieben sein. Zuletzt war er Professor an der Fachhochschule für Verwaltung in Köln. Siegfried Dunde erfuhr im Juli 1992, dass er sich infiziert hatte, und starb nur zehn Monate später, am Himmelfahrtstag 1993. In einem Nachruf schrieb Rita Süssmuth über ihren ehemaligen Mitarbeiter: „Siegfried Dunde hat sich beispielhaft für die Betroffenen eingesetzt. Als Homosexueller hat er zeitlebens gegen Diskriminierung und Ausgrenzung gekämpft, die fatalen Negativ-Verknüpfungen von Aids und Moral beim Namen genannt. Immer wieder war sein Motto, dass sich der Kampf gegen die Krankheit nicht gegen die Erkrankten richten darf. … Das Wirken Siegfried Dundes wird lebendig bleiben, ebenso die Spuren, die in Begegnungen mit ihm gelegt wurden. Er hat uns ermutigt, und wir bleiben ihm verpflichtet.“
Rainer Ehlers (geb. Jarchow) war Mitbegründer der Aidshilfe Köln, Gründer der Deutschen AIDS-Stiftung, „Aidspastor“ in Hamburg und setzt sich bis heute für Menschen mit HIV ein.
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1 Kommentare
Bernd Aretz 23. Dezember 2015 18:53
Danke für den Text, lieber Rainer. Das Schöne daran ist ja, dass er auch eigene Erinnerungen wachruft. Dazu gehört zum Beispiel, dass Frau Prof. Süssmuth in historischen Überblicken darauf hinweist, ihr sei eines Tages ein junger Mann aus der Ministerialbürokratie des Innenministers Zimmermann gegenüber gestanden und habe um ihre Hilfe gebeten. Er halte es als schwuler Mann unter seinem bisherigen Dienstherrn nicht länger aus. Das erwies sich ja in mehrerer Hinsicht als Geschenk des Himmels, so es ihn denn doch geben sollte. Frau Prof. Süssmuth hatte sich das Thema ja nicht ausgesucht. Sie wurde mit der noch von ihrem Vorgänger auf den Weg gebrachten Informationsschrift für alle Haushaltungen hineingeworfen und nahm sich dessen an, getragen von der tiefen Überzeugung, dass Zwang weder legitim noch sinnvoll im Umgang mit einer viralen Infektion ist, statt auf Aufklärung und Ermutigung zu setzen. Ihr Besuch im Waldschlösschen, den ich nur vom Hörensagen kenne, war wohl ein ganz wesentlicher Schritt zur Vertrauensbildung ihrem Geschäftsbereich gegenüber. Das hat auf der Arbeitsebene trotz aller Leitungswechsel immer noch Bestand.