Hamburger Straßensubstitution: voller Erfolg für Drogengebrauchende
Die Corona-Pandemie machte Menschen mit Opioidproblematik in den vergangenen Monaten ordentlich zu schaffen: Zwar riss die Versorgung mit Drogen nicht ab, doch viele hatten Schwierigkeiten, an Geld zu kommen, und auch die Angebote von Kontaktläden und Konsumräumen waren eingeschränkt.
Der Hamburger Kontaktladen „Drob Inn“ hat es in kürzester Zeit geschafft, hunderte Drogengebrauchende unkompliziert und direkt zu substituieren – eine Notfallmaßnahme mit positiven Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen, und eine neue Art der Substitution, die sich zu einem Modell für die Republik entwickeln könnte.
Wer in den Tagen der Lockdown-Maßnahmen kein Geld für eine Kugel Heroin hat, vielleicht entzügig ist und dann auch noch weder Krankenversicherung noch einen festen Wohnsitz hat, ist ziemlich aufgeschmissen.
In Hamburg naht die Rettung im „Drob Inn“ der örtlichen Jugendhilfe: Deutschlands erste Substitutionsambulanz vergibt speziell an Menschen ohne Papiere, Krankenversicherung oder Obdach Drogenersatz wie Methadon und andere Substitutions-Medikamente.
Nach Speicheltest auf Opioidkonsum und Speichern der Fingerabdrücke in einem Computer kommt unkompliziert das Substitut aus einem Behälter – „Methadonpumpe“ genannt. Fertig ist die direkte Substitution in der Hamburger Ambulanz.
Für Einrichtungsleiter Peter Möller ist der unbürokratische Ablauf einer der Aspekte, die zum Erfolg des Projekts geführt haben, das erst Anfang des Jahres an den Start ging. „Ein anderer Aspekt ist die Nähe zur Szene. Wir haben etliche Personen, die täglich hier hinkommen. Von denen haben viele einfach zurzeit keine Alternative.“
Drei Viertel ohne Krankenversicherung
Tatsächlich wurden von Anfang 2021 bis Ende März 339 Personen über das „Drob Inn“ substituiert, drei Viertel davon ohne Krankenversicherung. Rund hundert Drogengebrauchende besuchen die Ambulanz täglich, viele der Klient*innen des Kontaktladens kommen aus dem Ausland, einige sind Geflüchtete. Für sie alle ist die niedrigschwellige Substitution eine rettende Maßnahme einerseits und zugleich ein Schritt der Integration.
Die Kosten der Behandlung für Klient*innen ohne Krankenversicherung trägt die Hamburger Behörde für Gesundheit und Soziales, bei krankenversicherten Substituierten übernimmt natürlich die Kasse.
Bis Ende September 2021 ist das Projekt finanziert. Im Sommer wird das „Drob Inn“ der Gesundheitsbehörde berichten, dann hofft die Jugendhilfe Hamburg, dass die Finanzierung der Substitutionsambulanz jenseits der Pandemie verlängert wird.
Hamburger Straßenprostitution: mehr Alltag und Sicherheit
Was sich jetzt schon abzeichnet: Die Straßensubstitution verhindert Straftaten und kann von Obdachlosigkeit zurück in einen geregelten Alltag und eine stationäre Therapie führen. Für andere, die unter problematischen Bedingungen auf der Straße leben, bleibt diese Substitution ohne Hürden eine sinnvolle Alternative zu den engen Strukturen in Arztpraxen.
Klientin Sonja erzählt, warum das Projekt der Jugendhilfe Hamburg für Obdachlose so hilfreich ist:
„Ich habe mich für die niedrigschwellige Substitution im Drob Inn entschieden aus einem einfachen Grund: Ich bin ohne festen Wohnsitz. Zuvor war ich lange nicht substituiert. Seit die Coronapandemie ausgebrochen ist, ist es besonders schwierig, Geld zu machen. So war ich zu Beginn der Pandemie häufig entzügig.
„Die Substitution hier ist viel einfacher als bei niedergelassenen Ärzten“
Deswegen ist die Substitution im Drob Inn und anderen Drogenkonsumräumen eine super Gelegenheit. Klasse, dass ihr das anbietet. Die Substitution hier ist viel einfacher als bei niedergelassenen Ärzten, viele Praxen sind doch überfüllt zurzeit, und dort müsste ich Rezeptgebühren bezahlen. Das Drob Inn hingegen ist direkt vor Ort. Wenn du obdachlos bist, ist das echt eine gute Chance, mal runterzufahren.
Endlich kein Stress mehr, Geld machen zu müssen, um nicht entzügig zu sein. Dadurch konsumiere ich auch viel weniger.
Hoffentlich geht es zukünftig so weiter. So kann ich mich endlich um andere Sachen kümmern. Zum Beispiel zum Wohnungsamt gehen, um aus der Obdachlosigkeit zu kommen. Ich will mich in Zukunft einfach noch mehr um mich selber kümmern, was vorher kaum möglich war. Was mit Substitution aber geht. Deswegen habe ich das Angebot auch anderen empfohlen.“
Kevin ist über die Substitution im „Drob Inn“ in einen geregelten Alltag und in Therapie gekommen:
„Ich habe mich für die niedrigschwellige Substitution im Drob Inn entschieden, weil ich nicht krankenversichert bin. Jetzt bin ich erst mal substituiert und kann danach alles andere erledigen. Seit ich in der Substitution bin, habe ich Hartz IV beantragt und einen strukturierten Tagesablauf. Läuft also.
Deswegen rate ich auch anderen zur Substitution, wo immer sie möglich ist. Danach kann man Hartz IV kriegen und kommt damit wieder in eine Krankenversicherung. Ohne Substitution begehen viele Leute weiter Straftaten und kommen so nicht von der Straße weg. Ich habe jetzt sogar eine Therapie begonnen und habe das Gefühl, dass ich sie auch bis zum Ende schaffe.“
Jahrelang war die Substitutionsbehandlung ein ungeliebtes Stiefkind der deutschen Medizin. Immer wieder gab es Hausdurchsuchungen bei Ärzt*innen, Berufsverbote und Geldbußen. Immer wieder mussten Ärzt*innne und Patient*innen um Take-Home-Rezepte und die Behandlungsdauer streiten, häufig brachen Substituierte die Therapie ab – und die Behandlungsmethode fand zuletzt kaum noch Nachwuchsmediziner*innen.
Modellprojekt mit Strahlkraft über Landesgrenzen hinweg?
Und nun – Corona sei Dank – tun sich neue Möglichkeiten der Substitution auf, weil Behörden und Trägerorganisationen gemeinsam in der Not der Pandemie Hürden zu Behandlung und Versorgung abgebaut haben.
„Unser Modell ist auf ganz Deutschland übertragbar“
Für Dirk Schäffer von der Deutschen Aidshilfe ist das Hamburger Modell eine wichtige neue Option der Schadenminimierung und Therapie: „Wenn sich allein in Hamburg in so kurzer Zeit hunderte Menschen für die Behandlung entschieden haben, kann man sich vorstellen, wie hoch bundesweit der Bedarf bei unversorgten Personen ist, die eigentlich gerne behandelt werden wollen.“
Kann die Hamburger Straßensubstitution Leitbild für eine direkte, unbürokratische, schadensminimierende Substitution werden?
„Unser Modell ist auf ganz Deutschland übertragbar, es braucht einzig den Willen der sozial- und gesundheitspolitischen Verantwortlichen, die Überlebenshilfeangebote für Drogenabhängige bedarfsgerechter zu erweitern“, sagt Einrichtungsleiter Peter Möller.
An Trägerorganisationen dafür mangelt es nicht.
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