Drogenkonsumräume – Einrichtungen, die Platz für Konsum oder Aufenthalt bieten – sind zentrale Anlaufstellen für Drogennutzer*innen. Knotenpunkte in ihren sozialen Netzen, die Safer Use gewährleisten, in denen die Mitarbeiter*innen zuhören, beraten und über HIV und Hepatitis aufklären. Scharnierstellen, die von der Straße in Entgiftung und Substitution führen.

Doch die Corona-Pandemie hat diese niedrigschwelligen Angebote stark ausgedünnt und den Ablauf eingeschränkt – mit negativen Folgen für die Klient*innen. Eine Bestandsaufnahme

Münster: Gravierende Auswirkungen auf den Drogenkonsumraum

„Besonders für den Konsumraum hatte und hat die Pandemie gravierende Auswirkungen“, sagt Ralf Gerlach vom niedrigschwelligen Drogenhilfezentrum des INDRO e.V. in Münster. Schon bevor das Virus grassierte, konnte der Drogenkonsumraum (DKR) kaum den täglichen Bedarf an Konsumplätzen in der Stadt abdecken. Im April 2020 mussten dann die sechs Plätze auf je einen für den intravenösen und den inhalativen Gebrauch reduziert werden. „Das bedeutet, dass wir täglich weniger als die Hälfte der sonst üblichen Anzahl an Konsumvorgängen zu verzeichnen hatten und haben“, so Gerlach weiter – von bis zu 70 sicheren Konsumvorgängen unter hygienischen Bedingungen pro Tag runter auf 30.

Lockdown-Maßnahmen bedeuten Stress für das Konsumraum-Team und die Nutzer*innen

Die Folgen von Lockdown-Maßnahmen und reduzierten Plätzen für den DKR in Münster: Stress für das Konsumraum-Team, das den Einlass, Masken, Fieber, Hygiene und Abstand sowohl bei den Hilfesuchenden als auch teils bei sich selbst kontrollieren muss. Und gleichzeitig ein enormer Druck auf die drogengebrauchenden Besucher*innen, die trotz geringerer Auslastung länger warten müssen und „ungeduldig“ werden, so Ralf Gerlach. „Nicht mehr einfach die Einrichtung betreten zu können, sondern im Außenbereich warten zu müssen, bis man an der Reihe ist, bedeutet für viele Angebotsnutzende einen langfristigen Lernprozess.“

Letztlich hätten die Kontrollen und langen Wartezeiten viele Nutzer*innen gänzlich vom Konsum im Drogenkonsumraum des INDRO abgehalten. Das offene Konsumgeschehen in Münster nimmt wieder zu, sagt Ralf Gerlach, „was sich nicht nur an einem erhöhten Beschwerdeaufkommen seitens Münsteraner Bürger und Bürgerinnen zeigt, sondern auch daran, dass unser Team ‚Mobile Spritzenentsorgung‘ wesentlich mehr gebrauchte Spritzutensilien einsammelt“.

Münster ist kein Einzelfall: Von 41 im Sommer 2020 vom Robert-Koch-Institut angeschriebenen Konsumräumen und Kontaktläden antworteten 23 – und beschrieben gravierende Folgen durch vollständige Schließung oder reduzierte Angebote von Konsumplätzen im Notbetrieb. „Die Schließung von Kontaktläden hat in vielen Einrichtungen mangels ausreichender Privatsphäre zu einem starken Rückgang der allgemeinen Beratungen geführt, trotz eines hohen berichteten Bedarfs an Gesprächen“, fasste das RKI zusammen. Und auch dem RKI meldeten einige Einrichtungen, verstärkt Konsum im öffentlichen Raum zu beobachten, und damit einhergehende Bedenken, dass „Safer Use deshalb nur schwer möglich ist“, so das RKI weiter.

Viele Nutzer*innen kämpfen ohnehin mit schwerwiegenden psycho-sozialen Problemen

Darüber hinaus würden Angebote wie Naloxonschulungen und Hepatitis-C- oder HIV-Schnelltests deutlich seltener genutzt, sagt Ralf Gerlach aus Münster – mit potenziell verheerenden gesundheitlichen Folgen. Gerlach beschreibt die Lockdown-Maßnahmen als eine Bedrohungssituation für seine Klient*innen, von denen viele ohnehin mit schwerwiegenden psychischen und sozialen Problemen sowie vielfältigen existenziellen Lebenskrisen zu kämpfen hätten. Er beobachtet bei einigen „Hoffnungslosigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber dem eigenen Leben und ein bisweilen äußerst riskantes Konsumverhalten im öffentlichen Raum“.

Eine positive Auswirkung von weniger Konsumplätzen immerhin könnte man sehen, wenn man wollte: Die wenigen, die kommen dürfen, können besser in Sachen Substitution, Safer Use und psychosoziale Intervention beraten und in Entgiftungen, Substitution und weiterführende medizinische Hilfsangebote vermittelt werden.

Karlsruhe: Synergie von Drogenkonsumraum und Kontaktladen derzeit nicht möglich

Auch die Anlaufstelle des „get IN“ der AWO in Karlsruhe ist betroffen. Der Druckraum war erst im Dezember 2019, kurz vor der Pandemie, eröffnet worden. „Wir haben im Konsumraum vier Konsumplätze, die wir wegen des Abstandes auf zwei Plätze reduzieren mussten“, sagt Einrichtungsleiterin Petra Krauth. Generell laufe der Betrieb aber trotz der Reduzierung der Plätze reibungslos – nur der Aufenthalt im Kontaktladen sei derzeit nicht möglich.

Krauth und ihre Kolleg*innen versprachen sich Synergie-Effekte vom Drogenkonsumraum und Kontaktladen „unter einem Dach“, als der Drogenkonsumraum des get IN startete – will heißen: engere Betreuung und Bindung zwischen Mitarbeitenden und Konsumierenden. Da derzeit in Karlsruhe aber nur die Basisangebote bestehen und Drogengebrauchende nach dem Konsum gehen müssen, hoffen sie im get IN, dass sich die Lage bessert und der Kontaktladen wieder aufmachen darf.

München: Condrobs endlich wieder mehr als ein „Supermarkt für Drogengebrauchende“

In München sind Team und Drogengebrauchende froh, dass die Kontaktläden von „Condrobs“ wieder mehr sind als ein Supermarkt für Userinnen und User. „Zu Beginn der Pandemie hieß es ungefähr: Nimm dein Essen, deine Spritze, und geh“, sagt Einrichtungsleiter Olaf Ostermann. Schnell aber erkannten Stadt und Land den Bedarf, sicherten die fortlaufende Finanzierung zu und Condrobs durfte die Kontaktläden unter strengen Auflagen wieder öffnen.

„Natürlich binden die Regeln unsere Kräfte und strengen an, aber es klappt besser als gedacht. Unsere Leute sind sehr dankbar, dass wir geöffnet sind, auch wenn sie nach einer Stunde wieder gehen müssen. Das ist schon etwas Besonderes und das merken unsere Klientinnen und Klienten“, so Ostermann.

Seit dem Winterlockdown kommen sogar mehr Drogengebrauchende als zuvor. Hinzu kommen Nutzer*innen, die stabil substituiert sind und im Sommer 2020 ihre Arbeit in der Lagerlogistik, als Putzkräfte oder Securitypersonal verloren haben. In München scheint die Pandemie Drogengebrauchende und Mitarbeitende des Condrobs zusammenzuschweißen.

Berlin: „Klopapierprobleme sind auf dem Drogenmarkt nicht festzustellen“

Zu Beginn der Pandemie sei die Szene verunsichert und gestresst gewesen, die Straßen leergefegt, so Astrid Leicht von Fixpunkt in Berlin. Konsumierende hätten sich Sorgen gemacht, sie bekämen kein Koks oder Heroin. Doch die Drogenzufuhr funktioniere, die Bunker der Hauptstadt seien gefüllt gewesen und seien es heute auch, so Leicht, die jahrzehntelange Erfahrung in der Drogenhilfe hat und Entwicklungen im ganzen Bundesgebiet beobachtet. „Die Klopapierprobleme unserer Gesellschaft sind auf dem Drogenmarkt nicht festzustellen.“

Trotz Pandemie seien die Öffnungszeiten beider Kontaktstellen von Fixpunkt dank dem Berliner Senat von etwa 30 auf bis zu 60 Stunden pro Woche ausgebaut worden. „Das war kein Lockdown, sondern ein Build-up“, sagt Leicht. Insgesamt habe das Angebot von Fixpunkt aber dennoch eingeschränkt werden müssen, so wie in den anderen Einrichtungen quer durch die Republik.

„Fast kein Kontaktladen in Deutschland lässt noch den freien Aufenthalt zu“, sagt Astrid Leicht. Man brauche jetzt ein Anliegen, um kommen zu dürfen, etwa Wäsche waschen zu wollen, Utensilien oder eine Beratung zu brauchen. „Einfach vorbeikommen geht nicht mehr. Stattdessen lautet das Motto, überspitzt gesagt: Geh mal bitte, damit du nicht so viel Aerosol ablässt“, erzählt sie. Auch der Konsumraum von Fixpunkt sei von sechs auf drei Plätze reduziert, so Leicht weiter, aus dem „Rauchraum“ müssten die Klient*innen schneller raus.

Zugang zur Substitutionsversorgung weiter vereinfachen

Dennoch sieht Leicht auch positive Tendenzen der vergangenen Monate: „Jenseits von Parteizugehörigkeit und ideologischer Grundlage waren alle Entscheidungsträgerinnen und -träger sensibel genug, um etwas für unsere Zielgruppe zu tun. Da haben wirklich alle geguckt, dass wir gemeinsam was gestrampelt kriegen.“

Ein Ergebnis: Die Regeln für die Substitution wurden bundesweit gelockert, die Verschreibung und Abgabe von Substitutionsmitteln vorübergehend erleichtert.

Nun gehe es darum, den „niedrigschwelligen Zugang zur Substitutionsversorgung weiter zu vereinfachen, damit Drogengebrauchende für eine gewisse Phase versorgt sind“, sagt Astrid Leicht. Das wäre sinnvoll, damit Nutzer*innen keine Kontakte auf der Straße mehr eingehen und sich dabei einem Ansteckungsrisiko aussetzen müssten, um sich Drogen zu beschaffen, so Leicht weiter. „Wie können wir noch mehr Leute in Behandlung schaffen, damit sie ruhiger werden?“, fragt sie sich.

Selbstbewusst bleiben und für den Schutz vor Hepatitis, HIV und Covid-19 eintreten

Leicht hält nicht viel davon, das Klientel irgendwelche Zettel über Kontakte ausfüllen zu lassen: „Wir wollen uns das Vertrauen nicht kaputtmachen“, sagt sie. „Besser, wir erklären den richtigen Umgang mit der Maske und, warum Impfungen sinnvoll sind.“ Astrid Leicht hofft außerdem, dass mobile Impfteams für die Fixpunkt-Klient*innen in die Einrichtungen kommen.

„Wir müssen selbst zur Bekämpfung des Virus beitragen und können uns nicht nur auf andere verlassen“, sagt sie mit Blick auf ihr Team und andere Helfende sowie auf Hilfesuchende. „Wir dürfen uns nicht vor schwierigen Situationen wegducken, müssen selbstbewusst bleiben. Unsere Mission ist weiterhin, vor Hepatitis und HIV zu schützen, und wir müssen diesen Schutz nun auch auf Covid-19 anwenden.“

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Über

Benedict Wermter

Benedict Wermter ist freier Autor und Rechercheur aus dem Ruhrgebiet und schreibt gerne Reportagen. Für das Magazin der Deutschen Aidshilfe beschäftigt er sich unter anderem mit der Drogenpolitik hierzulande.

(Foto: Paulina Hildesheim)

1 Kommentar

  1. Ich frage mich, bekommt Fr. Ludwig eigentlich davon etwas mit? Bei Euch möchte ich mich bedanken. Ihr seid einfach super.

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