Mit seinem Melodram „Die Liebenden“ (deutscher Kinostart am 3. Mai 2012) schlägt Christophe Honoré einen großen zeitlichen wie thematischen Bogen von den 60er Jahren bis zur Jahrtausendwende, von der sexuellen Revolution bis Aids. Von Axel Schock

Die ersten Filmminuten sind für Liebhaber des beschwingten französischen Chansons wie auch eleganter Damenschuhe eine wahre Freude. Zu lässigem Sixties-Retro-Sound heftet sich die Kamera im wahrsten Sinne des Wortes an die Fersen der schaufensterbummelnden Madeleine (Ludivine Sagnier). Weil die Liebe der Schuhverkäuferin zur Mode größer ist als ihr Lohn, verdient sie sich in ihrer jugendlich-naiven Unbekümmertheit mit gelegentlichen sexuellen Dienstleistungen das eine oder andere schicke Kleidungsstück dazu.

So lässig und nostalgisch „Die Liebenden – von der Last, glücklich zu sein“ im Paris der 60er Jahre auch beginnt, mit der Leichtigkeit des Seins ist es dann auch schnell vorbei. Kaum hat sich Madeleine in den erstbesten Freier verliebt – den jungen tschechischen Arzt Jaromil ­–, ist sie auch schon schwanger. Sie heiraten, gehen zusammen nach Prag und trennen sich, als 1968 sowjetische Panzer die Stadt besetzen.

30 Jahre nach dem Ende des Prager Frühlings frönt Madeleine, nunmehr gespielt von Catherine Deneuve, immer noch den Männern und der Lust. Ihre mittlerweile erwachsene Tochter Véra (Chiara Mastroianni) hingegen ist mehr der Typ melancholischer Trauerkloß. Wenn sie sich schon mal in einen Mann verguckt, etwa den kanadischen Musiker Henderson (Paul Schneider), ist es garantiert der Falsche. Denn Henderson mag zwar gerne mit ihr reden, aber nicht ins Bett steigen. Dass dies weniger mit Vera, sondern schlicht mit seiner Homosexualität zu tun hat, schert sie jedoch nicht. Sie verrennt sich immer mehr in diese unmögliche Liebe und hat sich in den Kopf gesetzt, dass Henderson der Vater ihres Kindes werden soll.

Liebesdrama um verzweifelte Liebende und Ungeliebte

Dass Henderson HIV-positiv ist, einen Lover hat – all das beeindruckt sie nicht. Erst als sie in seinem Hotelzimmer Medikamentenpackungen findet und so seine Infektion für sie greifbar wird, scheint sie von ihrem Wahn befreit – mit dramatischen Folgen.

Man muss Honoré zugute halten, das er sich etwas traut und mit einer selbstverliebten Selbstverständlichkeit, die wir gerne auch als „typisch französisches Kino“ bezeichnen, nonchalant in einem Atemzug von Libertinage, sexueller Revolution, Prostitution, Aids und Kommunismus erzählt. Und zudem noch von reichlich Irrungen und Wirrungen sowie vom Scheitern und der Unmöglichkeit der Liebe.

Und dann die Darsteller: eine ganze Riege junger wie altgedienter Stars von Louis Garrel bis Milos Forman liefern sich hier hochdramatische wie unbeschwert-heitere Beziehungsvarianten. Allein schon wie Catherine Deneuve diese in Würde gealterte und doch immer noch sexuell brennende Madeleine spielt, ist die Kinokarte wert. Allerdings machen sich über die lange Strecke von 135 Kinominuten dann doch Ermüdungserscheinungen bemerkbar. „Die Liebenden“ erscheint überladen und an manchen Stellen auch weitschweifig, das Drama um Véras selbstzerstörerische Liebe zu dem schwulen Henderson ist überkonstruiert. Immerhin: Der schrille Schlussakkord mag ärgerlich sein, dürfte aber bei manchen Zuschauern für Diskussionen sorgen.

„Die Liebenden – von der Last, glücklich zu sein“ (Les Bien-Aimés). Frankreich/Großbritannien/Tschechien 2011. Regie und Drehbuch: Christophe Honoré. Mit Catherine Deneuve, Ludivine Sagnier, Milos Forman, Chiara Mastroianni, Louis Garrel, Paul Schneider, Radivoje Bukvic und anderen. 135 Minuten, Kinostart: 3. Mai 2012, DVD erschienen bei Wild Bunch Germany

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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