PhotoVoice ist eine auf Teilhabe angelegte kreative Methode, mit der Menschen, die bislang kaum gehört wurden, eine Stimme finden. Im Rahmen des Projekts AfroLebenVoice haben auch Tiko, Ama und King Solomon* ihre Geschichte erzählt

Tiko AfroLeben plus
AfroLebenVoice: Tiko erzählt, wie er fast aus Deutschland abgeschoben worden wäre (Foto: DAH)

Tiko: Vor einigen Jahren war ich Asylbewerber und habe etwas Schreckliches erlebt. Als ich zur Ausländerbehörde ging, um meinen Aufenthalt zu verlängern, wurde mir ohne vorherige Warnung gesagt: „Ihr Aufenthalt wird nicht verlängert. Sie müssen Deutschland in 14 Tagen verlassen. Ihr Flug ist gebucht.“ Ich war geschockt: Mein Asylverfahren war doch noch gar nicht entschieden, ich hatte eine Wohnung, eine Arbeit (mit Erlaubnis) und eine Freundin.

Ich wollte nicht zurück in mein afrikanisches Land. Ich hatte bei meiner Ankunft in Deutschland durch einen Zwangstest erfahren, dass ich HIV-positiv bin, und in meiner Heimat gab es damals keine Medikamente.

„HIV hat mich gerettet“

Nach dieser überraschenden Ankündigung meiner Abschiebung wurde ich sofort in ein Gericht und eine Stunde später in ein Gefängnis gebracht. In dem Gefängnis sollte ich auf meine Abschiebung warten. Es blieb mir nichts anderes übrig, als von meiner Infektion zu erzählen, denn ich war ja schon in Therapie und hatte nicht genug Medikamente dabei. Ich wurde auf eine Krankenstation gebracht. Etwas später wurde ich von zwei Zivilpolizisten in Handschellen zu meinem Hausarzt gebracht, um die Infektion zu bestätigen. Die Krankenschwester musste die Polizisten bitten, mir die Handschellen für den Bluttest abzunehmen.

Mithilfe meines Arztes, meines Anwaltes und der Aidshilfe konnten wir aber meine Abschiebung verhindern. Heute bin ich in Deutschland aus humanitären Gründen anerkannt. HIV hat mich vor der Abschiebung bewahrt.

Ama: Ich bin HIV-positiv und Afrikanerin. Wegen eines Hautproblems hatte mich meine HIV-Schwerpunktpraxis an die Dermatologie vermittelt. Wir vereinbarten noch am selben Tag einen Termin, man würde mich um zwölf Uhr erwarten.

Warteraum
Diskriminierung im Warteraum: Ama musste den ganzen Tag auf ihre Untersuchung warten (Foto: DAH)

Ich meldete mich eine halbe Stunde früher. Die Schwester im Empfang nahm meine Überweisung und schickte mich ins Wartezimmer. Die Patienten kamen nach und nach dran, mein Termin verstrich. Auch die nach mir gekommenen Patienten verschwanden, dann war ich allein. Darum habe ich das leere Wartezimmer abgebildet.

Die Schwester, die das Wartezimmer immer sehen konnte, bereitete sich schon auf ihren Feierabend vor. Endlich erschien der Arzt. Als er mich wahrnahm, sagte er, ich hätte längst erscheinen müssen. Ich erklärte ihm, dass ich sehr wohl pünktlich war. Er nahm mich zur Untersuchung mit. Danach sollte ich mir von der Schwester einen weiteren Termin geben lassen. Aber sie hatte schon Feierabend, der Computer war aus, ich sollte mich am nächsten Tag bei ihr melden.

„Das lange Warten war unverständlich, menschlich ziemlich mies“

Bis heute weiß ich nicht, wieso sie das mit mir gemacht hat. Das lange Warten war unnötig, unverständlich, menschlich ziemlich mies. Wieso also? Die Hautfarbe sollte kein Grund sein, obwohl in meiner Stadt Menschen mit anderer Hautfarbe immer noch auffallen. Ich bin aber höflich und immer um ein gutes Deutsch bemüht.

Dass ich HIV-positiv bin, dafür trage ich keine Schuld. Ich will nicht anders oder schlechter behandelt werden als andere, was leider öfter geschieht. Ich nenne es „Diskriminierung“.

King Solomon: Ich bin 1998 mit meiner Frau und meinen Kindern nach Deutschland gekommen und sage immer, in dem Jahr wurde ich neu geboren. Es war aber ein fremdes Land und eine andere Kultur – das war ein Schock.

Der zweite Schock war der HIV-Zwangstest, als ich in Bayern ankam und einen Asylantrag stellte. Es gab keine Beratung, nur die Untersuchung. Zwei Wochen später klopfte der Hausmeister früh um fünf an die Tür unseres Zimmers in der zentralen Asylbewerberunterkunft. Er sagte zu mir: „Kommen Sie mit zum Arzt!“ Im Warteraum saßen mehrere Leute, und wir wurden nach und nach einzeln in das Sprechzimmer gerufen. Der Arzt erklärte mir, dass ich HIV-positiv bin. Das war so schwer! Ich überlegte, mich umzubringen, dachte dann aber an meine Frau und meine Kinder. Der Arzt machte einen Bestätigungstest und gab mir die Adresse der Aids-Beratungsstelle der Caritas.

King Solomon
King Solomons Ankunft in Deutschland: „In dem Jahr wurde ich neu geboren“ (Foto: DAH)

In der Beratungsstelle hat man mir sehr geholfen. Auch meine Frau hat mich anfangs unterstützt. Aber da war das Leben im Asylheim: zu viert in einem Zimmer, mit Essenspaketen, ich durfte nicht arbeiten. Ich ging zum Arbeitsamt und sagte: „Ich will arbeiten, ich will keine Almosen.“ Und dann habe ich Arbeit bekommen, und das Leben wurde nach und nach einfacher. Die Kinder kamen in den Kindergarten und in die Schule. Ich unternahm vieles mit ihnen und half ihnen bei den Hausaufgaben. Besonders viel Spaß hatten wir beim Fußball spielen. Ich habe mich auch langsam integriert.

„Der HIV-Zwangstest war ein Schock“

Aber die Beziehung mit meiner Frau wurde schlechter. Sie konnte mit meiner Erkrankung nicht umgehen. Und dann musste ich wieder meinen kleinen Koffer packen und aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen. Ich kam mit so wenig nach Deutschland und bin auch nur mit diesem kleinen Koffer ausgezogen.

Heute lebe ich allein. Aber AfroLeben+ ist meine zweite Familie. Da sind wir alle gleich – wir sind alle HIV-positiv. Die Gruppe gibt mir Kraft und Unterstützung. Ich kann da über alles reden, denn das Vertrauen ist da.

* Namen von der Redaktion geändert

„AfroLebenVoice – Unsere Stimmen gegen Diskriminierung“ kann auf der Internetseite der DAH kostenlos bestellt oder als PDF-Datei heruntergeladen werden.

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