Blick in die Schau "LOVE AIDS RIOT SEX" (Foto: Uwe Boeck)
Blick in die Ausstellung „LOVE AIDS RIOT SEX“ (Foto: Uwe Boek)

1988 zeigte die europaweit einmalige Ausstellung „Vollbild Aids“ im stillgelegten Berliner S-Bahnhof Westend, wie Künstler in den USA und in Deutschland auf die Aidskrise reagierten. Daran knüpft nun die zweiteilige Schau „LOVE AIDS RIOT SEX“ in der „neuen Gesellschaft für Bildende Kunst“ (nGbK) in Berlin an. Axel Schock hat sich mit Kurator Frank Wagner unterhalten

Frank, in „LOVE AIDS RIOT SEX“ zeigst du Arbeiten von über 40 Künstlern und Künstlerkollektiven. Lassen sich die doch sehr unterschiedlichen Herangehensweisen an das Thema trotzdem auf eine bestimmte Ästhetik fokussieren? 

Bei dem Teil der Ausstellung, für den ich Arbeiten von 1987 bis 1995 ausgewählt habe, ist das tatsächlich möglich. Hier gibt es zum einen Werke, die aus einer stark aktivistischen Bewegung heraus entstanden sind und den Aufrufcharakter des Agitprop haben. Daneben gibt es aber auch die Auseinandersetzung mit den Urthemen der Kunst: Verzweiflung und Sehnsucht, Leben und Tod.

So unterschiedlich diese Formen auch sein mögen, lassen sie sich doch unter dem prägnanten Slogan „Silcence = Death“ – Schweigen bedeutet Tod – der Aids-Aktivistengruppe ACT UP zusammenfassen. Es ging darum, Aids im Gespräch zu halten: Einerseits sollten die Auswirkungen der Krankheit, die damals schrecklichen Lebensbedingungen der Erkrankten diskutiert werden. Andererseits galt es, die Pharmakonzerne anzutreiben, neue Medikamente zu entwickeln und sie auch verfügbar zu machen.

Jürgen Baldiga, fotografiert von Aron Neubert
Jürgen Baldiga, fotografiert von Aron Neubert

Außerdem sollten die politisch Verantwortlichen in die Pflicht genommen werden. In dieser ersten Dekade der Aidskrise setzte sich die Kunst nicht zuletzt auch für den Schutz der seinerzeit Hauptbetroffenen – Drogengebraucher, Bluter, Schwule, Prostituierte – vor Diskriminierung und Ausgrenzung ein.

„Silence = Death“ bedeutete natürlich nicht nur, gegen Aids anzukämpfen, sondern auch Infektionen zu vermeiden, also Präventionsarbeit zu leisten, wie etwa mit dem von Rinaldo Hopf gestalteten DAH-Plakat „Vergolde deinen Schwanz“, das zur Verwendung von Kondomen aufrief.

Viele künstlerische Arbeiten sind verloren gegangen

Die meisten Arbeiten stammen vom Ende der 80er-/Anfang der 90er-Jahre, einige waren bereits 1988 in der von dir kuratierten Ausstellung „Vollbild Aids“ zu sehen. Vieles war seinerzeit im besten Sinne für die Straße gedacht und eben nicht fürs Museum. Hast du erleben müssen, dass Arbeiten mittlerweile verschollen oder sogar vernichtet sind? 

Einiges musste in der Tat rekonstruiert werden, etwa die Großplakate der Künstlergruppe Gran Fury. Dafür wurden nun alte Vorlagen eingescannt, im Computer bearbeitet und neu gedruckt. Und es ist leider vieles auch verschollen, das gilt beispielsweise für die Nachlässe inzwischen verstorbener Künstler. Anderes befindet sich in keinem präsentablen Zustand, vor allem Videoarbeiten, bei denen man versäumt hat, sie rechtzeitig zu digitalisieren.

Einige Künstler wiederum haben mit Latex gearbeitet, einem Material, das auch für Kondome verwendet wird. Das Latex ist über die Jahre ausgetrocknet und braun geworden. Man kann diese Arbeiten heute eigentlich nicht mehr transportieren, weil sie sonst wie eine alte Schellackplatte zerbrechen würden.

Einige der damals gezeigten Arbeiten sind nun nach 25 Jahren erneut in einem ähnlichen Kontext zu erleben. Welche Form der Rezeption erhoffst du dir vom Publikum? 

Alltag eines Aidskranken 1998, fotografiert von Uwe Boek
Alltag eines Aidskranken 1988, fotografiert von Uwe Boek

Zum einen will ich der jüngeren Generation zeigen, wie es damals war: wie grausam viele an Aids Erkrankte damals regelrecht krepiert sind – an Kaposi-Sarkomen, die sich über und in ihrem Körper ausgebreitet hatten, oder an Pilzbefall der Speiseröhre, der es ihnen aufgrund der Schmerzen unmöglich machte, Nahrung aufzunehmen.

Ich sah aber auch die Gelegenheit, 25 Jahre nach „Vollbild Aids“ einen Rückblick auf die intensivste Phase der Aidskrise zwischen 1987 und 1995 zu werfen und aufzuzeigen, mit welchen künstlerischen Mitteln darauf reagiert wurde.

Nach welchen Kriterien hast du Arbeiten aus der damaligen Ausstellung für die neue Schau ausgewählt?

Es sind vor allem solche, die mir stark in Erinnerung geblieben sind, oder Künstler, die ich auch über „Vollbild Aids“ hinaus besonders unterstützt habe. So etwa die Künstlergruppe Gran Fury, die ich in verschiedenen Ausstellungen gezeigt habe.

Agitprop mit Mitteln der Werbeindustrie

Was hat dich an ihnen fasziniert?

Wie sie die unterschiedlichen Medien einsetzten, um im öffentlichen Raum ihre starken Parolen messerscharf zu setzen und zu verbreiten. Ein gutes Beispiel dafür ist Gran Furys „Kissing Doesn’t Kill: Greed and Indifference Do“, das speziell für Werbeflächen auf Bussen kreiert worden war.

Aids-Kunst auf Linienbussen von der Künstlergruppe Gran Fury
Aids-Kunst auf Linienbussen von der Künstlergruppe Gran Fury

Mit dieser Arbeit manipuliert Gran Fury eine Werbeidee des Textilunternehmens Benetton und gibt ihr damit eine neue Bedeutung. Im Original zeigt Benetton Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, um damit bunte Pullover zu verkaufen. Gran Fury zeigt stattdessen ein heterosexuelles Paar sowie ein Männer- und ein Frauenpaar, die sich auf sehr enthusiastische Art und Weise küssen. Das Motiv vermittelt einerseits die Information, dass HIV durch Küssen nicht übertragen werden kann, andererseits verweist es mit dieser Kiss-In-Form noch einmal auf die zweischneidige Rolle der Pharmakonzerne in der Aidskrise.

In den meisten Arbeiten lässt sich auch heute noch der Furor, die Wut und Energie spüren, die die HIV/Aids-Bewegung damals in weiten Teilen ausgezeichnet hat. Vermisst du diese Energie heute?

Ja, das vermisse ich in der Tat. Diese erste Phase der Aidskrise war freilich auch ein besonderer Moment. Es war eine solch ungeheuerliche Herausforderung und Ausnahmesituation, dass sich auch die Kunst, die sich sonst eher dem Endgültigen zuwendet, auch tagespolitisch einzumischen versuchte.

Wo würdest du dir heute ein solches Engagement erhoffen?

Wie viele Künstler sind künstlerisch in der Occupy-Bewegung oder in anderen sozialen Bewegungen tätig? Oder ist es vielleicht schon wieder anachronistisch, mit diesen alten Medien wie Malerei, Grafik und Skulptur zu hantieren, um jemanden hinter dem Ofen hervorzulocken?

Anderseits lassen sich ja auch populäre Medien wie Video, Film und Fotografie in diesem politischen Sinne einsetzen. Dass sich Künstler heute kaum mehr mit Aids beschäftigen, hat natürlich auch damit zu tun, dass nicht nur die breite Bevölkerung, sondern auch die Kunstinstitutionen das Interesse an diesem Thema weitgehend verloren haben. Wenn sie gut waren, haben sie tatsächlich auch mal eine Ausstellung dazu gemacht. Aber dann war das Thema für sie abgehakt. Womöglich kommen sie erst in ein paar Jahrzehnten wieder darauf zurück, wenn sie HIV und Aids in einem größeren, dann wohl historischen Zusammenhang aufgreifen.

In der gegenwärtigen Kunst tritt das Biografische, Private und Intime in den Vordergrund

Hat sich die künstlerische Auseinandersetzung mit HIV/Aids nach 1995 signifikant verändert?

Alltag eines Aidskranken 1998, fotografiert von Uwe Boek
Der Fotograf Jürgen Baldiga, 1992 porträtiert von Aron Neubert

In den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren stand im Mittelpunkt, größtmögliche Öffentlichkeit, Medienaufmerksamkeit und Zustimmung zu erlangen. Diese Beweggründe sind nun nur noch zweit- oder drittrangig. Dafür treten nun das Biografische, Private und Intime in den Vordergrund, auch Themen wie alternative Heilmethoden und esoterische Praktiken. Mir war besonders wichtig, auch solche Beispiele zu zeigen, die die zunehmende Diskriminierung von Homosexuellen in Osteuropa beleuchten.

Inzwischen ist eine jüngere Generation von Künstlerinnen und Künstlern nachgewachsen, bei der Aids lediglich ein Thema unter vielen ist. Auch die Formen der künstlerischen Auseinandersetzung haben sich geändert. Dadurch erscheinen die entsprechenden Arbeiten stiller. Aber im Gesamten entstand eine weitaus größere Vielfalt an Stilen, Mitteln und Herangehensweisen.

Und während die im ersten Teil vertretenen Künstler vor allem aus New York und wenigen anderen nordamerikanischen Städten oder aus Berlin stammten, ist der zweite Teil multinational. Nun sind auch Künstler etwa aus Osteuropa, Südamerika oder Asien beteiligt.

 

LOVE AIDS RIOT SEX I – Kunst Aids Aktivismus 1987–1995“ läuft noch bis zum 5. Januar 2014 in den Räumen der neuen Gesellschaft für Bildende Kunstin der Oranienstraße 25 in 10999 Berlin (Mo–Mi 12–19 Uhr, Do–Sa 12–20 Uhr, Eintritt frei).

Führungen mit dem Kurator Frank Wagner am 2. Januar, 18 Uhr.

LOVE AIDS RIOT SEX II – Kunst Aids Aktivismus 1995 bis heute eröffnet am 17. Januar 2014 um 19 Uhr. Ende Januar 2014 erscheint eine Publikation zum Ausstellungsprojekt u. a. mit Texten von Martin Dannecker, Frank Wagner und Gran Fury.

Bereits zum Thema erschienen: Beitrag im DAH-Blog zu „LOVE AIDS RIOT SEX I“

 

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Das war 2013

Über

Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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