Einmal mehr zeigt sich, dass die Bundesregierung sich aus globaler Verantwortung und Zusammenarbeit zurückzieht. Nachdem der Global Fonds durch Bundesentwicklungsminister Niebel erheblich geschädigt worden war, trifft es dieses Mal die internationale Kooperation in der Drogen- und Gesundheitspolitik: Wie erst jetzt bekannt wurde, hat sich die Bundesregierung aus der Pompidou-Gruppe des Europarates zurückgezogen. Von Peter Wiessner

Warum schweigt die Bundesregierung zum Austritt aus der Pompidou-Gruppe? Foto: Wilhelmine Wulff, pixelio.de

Der Rückzug ist bisher ein gut gehütetes Geheimnis der Bundesregierung. Über die Beweggründe des Ausstiegs ist wenig bekannt, offizielle Statements dazu gibt es nicht. Dass sich sogar die Drogenbeauftragte Mechthild Dyckmans an dieser Geheimniskrämerei beteiligt, ist mehr als ärgerlich. Der Ausstieg erfolgte während ihrer Amtszeit, und die Aufgabe einer Drogenbeauftragten sollte es eigentlich sein, die Bevölkerung über Entwicklungen in der Drogenpolitik der Bundesregierung zu informieren.

Das Schweigen der Bundesregierung öffnet Raum für Fragen und Spekulationen: Geht es einfach nur darum, Geld einzusparen, ohne dass man genau prüft, was weggestrichen wird? Sind der Bundesregierung die drogenpolitischen Ansätze der Pompidou-Gruppe zu progressiv? Verfolgt sie wieder einmal den Ausbau bilateraler Beziehungen, statt gemeinsame Verpflichtungen wahrzunehmen? So jedenfalls hatte sie auch die geplanten Kürzungen der Zahlungen an den Globalen Fonds begründet. Da auch Großbritannien und Dänemark ihre Mitgliedschaft beendet haben, stellt sich nicht zuletzt auch die Frage, ob es sich dabei um ein abgestimmtes Vorgehen handelt.

Pompidou-Gruppe ist Schnittstelle zwischen Zivilgesellschaft und Politik

Die Pompidou-Gruppe wurde 1971 auf Initiative des damaligen französischen Präsidenten Georges Pompidou durch ein Teilabkommen im Europarat gegründet. Deutschland gehörte neben Frankreich, Belgien, Italien, Luxemburg, den Niederlanden und Großbritannien zu den Gründungsmitgliedern. 1981 wurde die „Kooperationsgruppe zur Bekämpfung von Drogenmissbrauch und unerlaubtem Drogenhandel“ in den Europarat integriert und hat sich als einzige Regierungsorganisation Europas die Förderung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtstaatlichkeit im Feld der Drogenpolitik auf die Fahnen geschrieben.

Gemeinsam für eine humane Drogenpolitik in Europa – leider nicht mehr mit Deutschland. Bild: Gerd Altmann, pixelio.de

Die Arbeit der Gruppe bezieht sich auf illegale wie auch legale Drogen und stellt nicht, wie dies sonst meist der Fall ist, ordnungspolitische oder strafrechtliche Aspekte in den Vordergrund, sondern Gesundheitsförderung, Schadensminimierung und Suchtprävention. Sie führt Fachleute aus Forschung, Praxis und Politik zusammen und will in den Mitgliedsstaaten zur Entwicklung einer Drogenpolitik beitragen, die auf Forschungsergebnissen und praktischer Erfahrung basiert. Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie auch Menschen, die selbst Drogen konsumier(t)en, sind ständig in die Arbeit einbezogen, wodurch die Pompidou-Gruppe als Schnittstelle zwischen Zivilgesellschaft und Politik fungiert.

Heute gehören 37 der 47 Staaten, die derzeit im Europarat vertreten sind, der Pompidou-Gruppe an. In den vergangenen Monaten sind mit Mazedonien, Montenegro, Serbien und Moldawien vier weitere Länder beigetreten. Israel, Albanien, die Ukraine und weitere Staaten führen momentan Beitrittsverhandlungen.

Deutschland war Referenzland für Best-Practice-Beispiele

Der Ausstieg Deutschlands aus der Pompidou-Gruppe kann sich nachteilig auf seine Einbindung in die internationale Drogenforschung und Drogenpolitik auswirken und einen Imageverlust bedeuten. Zugleich ist zu befürchten, dass durch diesen Schritt die Entwicklung einer an den Menschenrechten orientierten Drogenpolitik in Europa beeinträchtigt wird. Vor allem für die Partner Osteuropas und des Mittelmeerraums war Deutschland immer Referenzland, was Wissensaustausch und Best-Practice-Beispiele in den Feldern Drogentherapie, HIV- und Hepatitis-Prävention und Schadensminderung (Harm Reduction), aber auch ethische und menschenrechtliche Fragen angeht.

Ein Wiedereintritt Deutschlands wäre wünschenswert

Die Pompidou-Gruppe ist das einzige drogenpolitische Forum Europas, in dem Nicht-EU-Staaten wie Russland und die Türkei vollwertige Partner sind und das sogar außereuropäische Staaten aufnehmen kann. Dass Deutschland nicht mehr Mitglied sein will, könnte man auch als Desinteresse an diesen Ländern interpretieren, was mit Blick auf die dortige Drogen- und Gesundheitspolitik wie auch die Menschenrechtslage dramatisch wäre. Als Mitglied der Pompidou-Gruppe sprach sich Deutschland immer auch für eine enge Zusammenarbeit mit Ost- und Südosteuropa aus. Durch neu beigetretene Staaten aus diesen Regionen hätte sich für die Bundesregierung eine gute Gelegenheit geboten, den Worten nun auch Taten folgen zu lassen. Diese Chance lässt sich nun nicht mehr nutzen.

Die Entscheidung Deutschlands lässt viele Fragen offen. Dass die Bundesregierung sie nicht begründet hat, ist bedauerlich und auch nicht akzeptabel. Für eine humane und effektive Drogenpolitik in Europa wäre ein Wiedereintritt wünschenswert. Vielleicht erfolgt dieser Schritt ja nach der nächsten Bundestagswahl.

 

Weitere Informationen:

Homepage zur Pompidou Gruppe

Beitrag des Hanfjournals zum Austritt Deutschlands aus der Pompidou-Gruppe

Peter Wiessner, Kontakt:peter-wiessner@t-online.de

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