Sie flohen vor Unterdrückung und Verfolgung. In Deutschland angekommen, machen viele LSBTI*-Geflüchtete erneut homo- oder transphobe Erfahrungen; sie sind Rassismus ausgesetzt und haben mit einem erschwerten Zugang zu medizinischer Versorgung und Wohnraum zu kämpfen. Umso wichtiger sind sensible Angebote.

Als Ahmed Awadalla nach Deutschland kam, musste er von Neuem anfangen. „Ich hatte überhaupt keine Verbindungen“, erzählt er. Aufgrund seiner politischen Arbeit aber sei es für ihn in Ägypten zu gefährlich geworden. „Ich wollte das Land eigentlich nicht verlassen, aber das Risiko wurde einfach zu groß.“

Regimekritiker_innen, aber auch lesbische, schwule, trans* und inter* Personen (LSBTI*) seien in Ägypten seit einigen Jahren stärkeren Repressionen ausgesetzt, sagt er. „Obwohl es kein Gesetz gibt, dass Homosexualität kriminalisiert.“ Stattdessen würden rechtliche Erlasse gegen Prostitution genutzt, um beispielsweise auf der Straße Männer zu verhaften, die sich über Dating-Apps verabredet hätten.

„Ich wollte Ägypten eigentlich nicht verlassen, doch das Risiko wurde zu groß“

Seit 2014 lebt Ahmed Awadalla in Deutschland. Der pharmazeutische Wissenschaftler hatte schon in seiner Heimat zum Thema HIV gearbeitet. In Deutschland begann er, sich ehrenamtlich bei der Berliner Aids-Hilfe zu engagieren. Seit Anfang 2016 ist er dort angestellt und berät vor allem arabischsprachige Migrant_innen.

Angst vor Outing

Für geflüchtete LSBTI*-Personen sei es schwer, sich zwischen den verschiedenen Anlaufstellen zu orientieren, sagt er. „Es gibt nicht die eine Organisation, die einem hilft.“

Eine zentrale Frage sei, wo man sich outen könne und wo nicht, erklärt Masha Beketova, die bei der Lesbenberatung Berlin arbeitet. Im Rahmen des Antigewalt- und Antidiskriminierungsbereichs LesMigraS wird dort unter anderem eine Rechtsberatung sowie traumasensible psychosoziale Beratung für Geflüchtete angeboten.

Viele Menschen in den Beratungsgesprächen seien unsicher, wo und mit wem sie über ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität sprechen können, erzählt sie. Eine Angst sei, sie könnten in der Unterkunft geoutet werden, wenn sie beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Angaben über ihre Homosexualität machten.

LSBTI*-Geflüchtete gelten als besonders schutzbedürftig. 2013 hat die EU es so festgelegt, doch nicht überall wird das auch umgesetzt. Wer aufgrund von Verfolgung wegen seiner sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität Asyl beantrage, müsse dies während der Anhörung beim BAMF beweisen, erzählt Ahmed Awadalla, der regelmäßig Asylbewerber_innen zu Terminen beim BAMF begleitet. Dies sei jedoch in den meisten Fällen unrealistisch. Eine Attacke durch die Polizei etwa lasse sich kaum belegen.

LSBTI*-Geflüchtete werden mit intimen Fragen konfrontiert

„Die Interviewer beim BAMF haben häufig keine Vorstellung davon, was es bedeutet, als homosexuelle oder trans* Person zu leben“, sagt Awadalla. Er habe das Gefühl, dass die Anhörungen in den letzten drei Jahren intensiver und länger geworden seien – bis zu sechs Stunden oder über mehrere Tage verteilt. Die Fragen drängten häufig in die Intimsphäre der Antragsteller_innen, kritisiert er. Für traumatisierte Personen, die Gewalt erlebt haben, sei dies äußerst problematisch. Besonders dann, wenn sie sich durch Erinnerungslücken in Ungereimtheiten und Widersprüche verstrickten.

„Wir hatten schon Fälle, bei denen Menschen während des Interviews starke Stressreaktionen hatten und medizinische Hilfe benötigten“, erzählt Antje Sanogo, Leiterin einer Unterkunft für queere Geflüchtete in Berlin-Treptow. Es sei bekannt, dass einige Dolmetscher_innen nicht besonders LSBTI*-sensibel seien. Theoretisch hätten die Interviewten zwar das Recht, auf einer anderen Person zu bestehen, aber dieses durchzusetzen, sei in dieser angespannten Situation meist illusorisch, sagt Antje Sanogo. „Wir sehen relativ viele Anerkennungen, aber wir sehen auch Ablehnungen“, erzählt sie aus ihren Erfahrungen mit Asyl-Anträgen von LSBTI*-Geflüchteten.

„Queere und minderjährige Flüchtlinge sind eine sehr verletzliche Gruppe“

Ahmed Awadalla nutzt seine Sprachkenntnisse und seinen fachlichen Hintergrund für die Arbeit bei der Aidshilfe. Er organisiert Workshops für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge oder besucht Willkommensklassen. In den Gesprächen mit Jugendlichen geht es um Themen wie sexuelle Gesundheit, Beziehungen, Gender-Normen, HIV und Aids. „Queere und minderjährige Flüchtlinge sind eine sehr verletzliche Gruppe“, betont Awadalla. Inzwischen wachse bei vielen Vereinen glücklicherweise die Sensibilität für das Thema, auch die kulturelle Diversität der Mitarbeiter_innen steige.

Barrieren in der medizinischen Versorgung

HIV sei für viele LSBTI*-Geflüchtete nach wie vor ein Tabuthema, sagt Antje Sanogo. Einige befürchteten, dass es sich negativ auf ihren Asylantrag auswirken könnte, wenn sie bei der Anhörung über ihre Infektion sprächen. Dabei sei eine chronische Krankheit, die im Herkunftsland vielleicht nicht behandelbar ist, auch ein Fluchtgrund.

„Ohne Begleitung können sie nicht zum Arzt gehen“

Der Zugang zu medizinischer Versorgung kann für HIV-positive Geflüchtete schwierig werden, erzählt Ahmed Awadallah. Zwar deckten die Versicherungsleistungen auch bei Asylsuchenden eigentlich eine HIV-Behandlung ab, doch die Sprachbarrieren seien ein großes Hindernis. „Ohne Begleitung können sie nicht zum Arzt gehen.“

Antje Sanogo kritisiert, dass es keine reguläre Finanzierung von Sprachmittlung in der medizinischen Versorgung gibt. Gerade in der psychotherapeutischen und psychiatrischen Behandlung, auf die viele LSBTI*-Geflüchtete angewiesen seien, sei dies ein großes Problem. Zwar gebe es Therapeut_innen, die zur Behandlung bereit seien, aber die wenigen Finanzierungsmöglichkeiten blieben sehr bürokratisch und schreckten diese eher ab. „Das ist ein Skandal“, betont sie.

Eine weitere Herausforderung sei der Zugang zu Hormonbehandlungen für trans* Menschen, sagt Ahmed Awadalla. Für Asylsuchende sei es nicht so leicht, da solche Behandlungen nicht grundsätzlich als lebensnotwendig angesehen würden. „Es ist nicht immer möglich, den im Heimatland begonnenen Transitionsprozess hier fortzuführen.“

Auch das Leben in den Unterkünften sei für trans* Personen besonders schwierig. „Das ist ein Paradox: Sie flüchten, weil sie aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Transgender-Identität diskriminiert werden, und treffen hier in den Unterkünften wieder auf Diskriminierungsstrukturen“, sagt Antje Sanogo.

Eine Unterkunft für LSBTI*-Geflüchtete

Im Februar 2016 hat die Schwulenberatung die queere Unterkunft in Berlin-Treptow eröffnet. 122 Plätze hält diese bereit, davon 33 im Bereich der Erstaufnahme. „Der Bedarf ist ziemlich hoch“, so Antje Sanogo. Im Schnitt komme jede Woche eine neue Person hinzu. „Wenn es funktionieren würde, dass die Leute nur drei bis fünf Monate in der Unterkunft bleiben müssten, würden die Plätze ausreichen.“ Doch für Geflüchtete sei es extrem schwierig, in Berlin oder in anderen Großstädten eine Wohnung zu finden. Die Schwulenberatung Berlin plane deshalb, queere Geflüchtete stärker in bestehende Wohnprojekte zu integrieren.

Für LSBTI*-Geflüchtete sei es zwar ein großer Fortschritt, erst einmal in Treptow unterkommen zu können, wo sie vor Diskriminierung und Anfeindungen besser geschützt sind. Aber Antje Sanogo betont: „Es ist trotzdem eine Flüchtlingsunterkunft.“ Das bedeutet: In den Wohnungen leben vier bis fünf Personen zusammen, jeweils zwei in einem Raum. Teilweise sind die Durchgangszimmer nicht einmal durch Türen voneinander getrennt. Man merkt: Dieses Apartmenthaus wurde für Familien oder Paare geplant, nicht für Geflüchtete.

„Nicht jeder schwule Mann ist per se trans*freundlich“

Inzwischen seien auch Mitarbeiter_innen anderer Einrichtungen aufmerksamer dafür, wer in der queeren Unterkunft vielleicht gut aufgehoben wäre. „Das funktioniert immer besser“, sagt Antje Sanogo. Sie glaube, dass allein die Existenz der queeren Unterkunft zu einer größeren Sensibilität beigetragen habe.

Wie in anderen Unterkünften kommt es aber auch in Treptow – allein schon durch die räumliche Enge – zu Konflikten. LSBTI* sind eine heterogene Gruppe. „Nicht jeder schwule Mann ist per se trans*freundlich“, sagt Antje Sanogo. Auch HIV sei ein diskriminierungsträchtiges Thema. Einige Bewohner_innen hätten Angst, über ihre Infektion zu sprechen. Es werde ihnen zwar nicht so explizit unmoralisches Verhalten vorgeworfen, wie sie es in anderen Unterkünften erlebt hätten. Aber: „Es gibt schon ein Vermeidungsverhalten.“ Antje Sanogo sagt aber auch: „Trotz aller Probleme besteht bei den Bewohner_innen ein starker Wunsch nach einem Ort, an dem sie gewaltfrei leben können. Das ist ein Konsens, auf dem man aufbauen kann.“

Wie die Leiterin der Unterkunft wünscht sich auch Masha Beketova von LesMigraS eine stärkere Sensibilisierung von Behörden und Spachmittler_innen. Dabei wäre es sinnvoll, Erfahrungen von Geflüchteten einzubeziehen. „In den Communities gibt es schon viel Wissen, auf das man zurückgreifen kann.“

Von Inga Dreyer

Weitere Informationen:

Auf www.queerrefugeeswelcome.de finden LSBTI*-Geflüchtete Informationen (auf Deutsch, Englisch und Arabisch) zum deutschen Gesundheitssystem, zum deutschen Asylrecht, zu den Themen HIV/Aids und andere Geschlechtskrankheiten, Safer Sex und Diskriminierung sowie eine Karte mit Beratungsstellen.

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